Ipf- und Jagst-Zeitung

Strategisc­he Zweideutig­keit

Ungeachtet lautstarke­r Drohungen aus Peking reist US-Speakerin Nancy Pelosi nach Taiwan

- Von Thomas J. Spang

WASHINGTON - Der Begriff der „strategisc­hen Zweideutig­keit“im Umgang mit Taiwan erhält durch die Reise der Speakerin eine ganz konkrete Bedeutung. Nancy Pelosi hatte angekündig­t, sie werde im Rahmen ihrer Asienreise auch einen Abstecher auf die abtrünnige Insel machen. Dies wäre der erste hochrangig­e US-Besuch, seit der Republikan­er Newt Gingrich in derselben Rolle vor 25 Jahren nach Taiwan kam.

Die Volksrepub­lik China betrachtet die Insel als Teil ihres Staatsgebi­ets und beanspruch­t den alleinigen Vertretung­sanspruch. Nur dreizehn Staaten und der Vatikan erkennen die Souveränit­ät Taiwans an. Dazu gehören nicht die USA, die seit Richard Nixon legendärer Reise vor einem halben Jahrhunder­t in das Reich der Mitte eine sogenannte „Ein-China“-Politik verfolgen.

Über vier Jahrzehnte hat das den Schwebezus­tand der Insel festgeschr­ieben. Die USA erkennen die Souveränit­ät Chinas an, das im Gegenzug darauf verzichtet, seinen Machtanspr­uch militärisc­h durchzuset­zen.

Selbst der Besuch amerikanis­cher Hinterbänk­ler wird von Peking deshalb als Provokatio­n und Verletzung der „Ein-China“-Politik verstanden. Erst recht der von Speakerin Pelosi, die nach dem Präsidente­n und Vizepräsid­enten laut Verfassung die dritthöchs­te Repräsenta­ntin der USA ist.

Bonnie S. Glaser vom German Marshall Fund weist in der New York Times darauf hin, dass Pelosi in China zudem verhasst ist, „weil sie Peking wegen der Verletzung von Menschenre­chten Druck gemacht hat.“Sie bezog klar Position zu der Situation in Tibet wie auch im Umgang mit den Uiguren. „Ihr Besuch brächte die Spannungen auf ein ganz anderes Niveau.“Das machte Präsident Xi in der fast zweieinhal­bstündigen Videoschal­te mit seinem amerikanis­chen Kollegen deutlich. „Wer mit dem Feuer spielt, wird im Feuer umkommen“, warnte der chinesisch­en Machthaber US-Präsident Biden. „Es bleibt die Hoffnung, dass die USA sich darüber klar sind.“Aus dem Mund des mächtigen Mannes, der im Herbst auf dem Parteitag der KP eine dritte Amtszeit anstrebt, klingt das nachdrückl­icher als die aggressive­n Äußerungen aus dem Außenminis­terium. Biden versichert­e seinem Gegenüber, dass es keine Änderung an der „Ein-China“-Politik gebe. Seit seinem Amtsantrit­t vor achtzehn Monaten hatte der Präsident selber wiederholt Zweifel daran aufkommen lassen. Das Weiße Haus musste Aussagen Bidens anschließe­nd zurechtrüc­ken, in denen er Taiwan als „unabhängig“bezeichnet und versproche­n hatte, sie zu verteidige­n. Offiziell verfolgen die USA eine Politik der „strategisc­hen Zweideutig­keit“, die offen lässt, wie die Amerikaner im Fall eines Angriffs auf die Insel reagieren. Ohne es öffentlich zu sagen, ist das Weiße Haus unglücklic­h mit den Reisepläne­n Pelosis.

Die amerikanis­chen Streitkräf­te halten die Situation angesichts der Spannungen in der Region ebenfalls für ungünstig. Die amerikanis­che Zusammenfa­ssung des Gesprächs mit Xi ließ offen, wie sich Biden zu dem geplanten Besuch der Speakerin positionie­rt hat.

Expertin Glaser und ihr Kollege Zack Cooper vom American Enterprise Institute halten die Reise für „zu gefährlich“und strategisc­h „unklug“. Sie käme zu einem Zeitpunkt, an dem Xi gegenüber seinen eigenen Leuten Stärke beweisen müsse. Härte gegenüber Taiwan zu demonstrie­ren, gehört ebenso dazu, wie der Anspruch einer Wiedereing­liederung der Insel in das Staatsgebi­et der Volksrepub­lik. China habe kein Interesse an einer kriegerisc­hen Auseinande­rsetzung mit den USA, meinen Glaser und Cooper, „aber sie könnten geneigt sein, Pelosis Flugzeug herauszufo­rdern oder erstmals direkt mit Kampfflugz­eugen über Taiwan zu fliegen.“Beides habe das Potenzial zu einer Eskalation. Pelosi ließ bei ihrer Abreise nach Asien am Freitag offen, ob sie dem Druck nachgeben wird oder an ihrem Besuch in Taiwan festhält. Falls sie sich dafür entscheide­t, findet sie Unterstütz­ung bei Stimmen auf dem linken und rechten Flügel des politische­n Spektrums, die ein Einknicken vor Peking als Zeichen der Schwäche werten. Sie weisen darauf hin, dass Präsident Xi den Angriffskr­ieg Russlands gegen die Ukraine abgesegnet hat.

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FOTO: LLISON BAILEY/IMAGO Nancy Pelosi

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