Ipf- und Jagst-Zeitung

Neue Lust aufs Landleben

Der ländliche Raum erlebt deutlich mehr Zuwanderun­g als in den Jahrzehnte­n zuvor – Pandemie und Homeoffice verstärken den Trend

- Von Dominik Guggemos

BERLIN - Der ländliche Raum war lange ein politische­s Sorgenkind. Der damalige Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) ließ sein Ressort extra um die Abteilung H für Heimat erweitern, um die Landflucht zu bekämpfen. Wie sich nun zeigt, braucht es kein Heimatmini­sterium, um die Menschen zum Umzug aus der Stadt zu bewegen. „Einen guten Internetzu­gang vorausgese­tzt, ist das Land für viele wieder attraktiv“, sagt Catherina Hinz. Sie ist Direktorin des Berlin-Instituts für Bevölkerun­g und Entwicklun­g, das kürzlich in einer Studie die Wanderungs­bewegungen der vergangene­n Jahre analysiert hat.

In der Studie wurde der Wanderungs­saldo gemessen, also die Differenz zwischen Zu- und Wegzug. Die Ergebnisse sind verblüffen­d: Zwei Drittel der ländlichen Gemeinden konnten zwischen 2018 und 2020 mehr Zu- als Abwanderun­g verzeichne­n. Auch zwischen West- und Ostdeutsch­land hat sich die Dynamik angegliche­n. „Die neue Landlust hat die gesamte Republik erfasst“, sagt Studienlei­ter Frederick Sixtus. Und die Menschen ziehen nicht nur in die Speckgürte­l der Großstädte, sondern weit raus aufs Land. 2020, das erste Pandemieja­hr, hat laut Sixtus den „sehr peripheren Gegenden den stärksten Wanderungs­schub beschert“.

Wer wohin zieht, ist allerdings weiterhin stark vom Alter und der Lebenssitu­ation abhängig. Die 18- bis 24-Jährigen zieht es weiterhin in großer Zahl in die urbanen Zentren – dort sind die Studien- und Ausbildung­splätze. Neu ist, dass nicht nur Familien mit kleinen Kindern von der Stadt aufs Land ziehen, sondern auch sogenannte Berufswand­erer zwischen 25 und 30 Jahren.

„Ob eine Region attraktiv ist, hat viel mit den dortigen Arbeitgebe­rn zu tun. Das ist ein zentraler Faktor“, sagt Tobias Mettenberg­er vom Thünen-Institut für Lebensverh­ältnisse in ländlichen Räumen. Die Verdienstm­öglichkeit­en müssten stimmen, das Unternehme­n sollte familienfr­eundlich sein und flexible Arbeitszei­ten zulassen. „Was Arbeitgebe­r eben attraktiv macht“, fasst Mettenberg­er zusammen.

Das Phänomen der neuen Landlust lässt sich nicht nur mit der Pandemie und Homeoffice erklären. „Der Trend wurde bereits in anderen

Studien beobachtet“, sagt Mettenberg­er. Auch der Deutsche Städteund Gemeindebu­nd (DStGB) sieht „Anzeichen für eine Trendwende“. „Viele Menschen können sich den

BERLIN - Woran hakt es beim Breitbanda­usbau in Deutschlan­d – insbesonde­re im ländlichen Raum? Stephan Albers (Foto: BREKO) repräsenti­ert als Geschäftsf­ührer des Branchenve­rbands Breko mehr als 230 Netzbetrei­ber. Im Gespräch erklärt er, warum er sich weniger staatliche Förderung wünscht.

Warum tut sich Deutschlan­d so schwer damit, flächendec­kend schnelles Internet zur Verfügung zu stellen?

Stephan Albers: Weil die Politik viel zu lange auf kupferbasi­erte Internetve­rbindungen gesetzt hat. Die Ampel-Koalition hat sich jetzt endlich ein Glasfaserz­iel in den Koalitions­vertrag geschriebe­n. Es wird allerdings knappen Wohnraum in großen Städten nicht mehr leisten und entschließ­en sich bewusst zum Pendeln“, sagt DStGB-Sprecher Alexander Handschuh. Diese Entwicklun­g sei günstig noch bis 2030 dauern, bis wir das Ziel erreichen.

So lange?

Ja. Bis dahin müssen wir drei Dinge angehen. Wir müssen dringend die Genehmigun­gsverfahre­n beschleuni­gen. Derzeit sind sieben Genehmigun­gen nötig – alles noch analog. Mecklenbur­gVorpommer­n geht voran: Für ein Projekt gibt es einen Ansprechpa­rtner und die Anträge sollen digital gestellt werden können. Zweitens, in den Ämtern muss die Akzeptanz moderner Verlegemet­hoden größer werden. Es muss nicht immer der sowohl für Städte, die entlastet werden, als auch für ländliche Gemeinden, die aufgewerte­t werden.

Neben den Arbeitgebe­rn, die aus Sicht von Handschuh so viel mobiles klassische Tiefbau sein. Es gibt Methoden, die minimal invasiv sind und den Glasfasera­usbau schneller und günstiger machen. Die Skandinavi­er nutzen diese rege.

Und drittens, mehr Geld vom Staat?

Nein, ganz im Gegenteil. Es ist etwas paradox, das als Verband zu sagen, aber der Bund sollte auf die Bremse treten. Wenn er seine Förderprog­ramme weiter ausbaut, wäre das fatal. Denn das würde den privatwirt­schaftlich­en Ausbau zurückdrän­gen, der viel schneller geht. Wir sprechen hier im Durchschni­tt von eineinhalb statt viereinhal­b Jahren für ein Ausbauproj­ekt.

In sehr ländlichen Regionen regelt der Markt die Versorgung nicht.

Arbeiten wie möglich ermögliche­n sollten – denn nur so gebe es für viele Arbeitnehm­er eine Perspektiv­e zum Leben auf dem Land –, sei auch die Politik im Bund gefragt: „Viele auf

Richtig, das rechnet sich nicht. Um in die letzten Winkel zu kommen, brauchen wir Förderung. Deswegen sollte die sich auch darauf konzentrie­ren. Beim Glasfasera­usbau haben wir ansonsten ein Land-Stadt-Gefälle. Die Speckgürte­l sind besser ausgebaut als die Städte.

Was würden Sie einem Bürgermeis­ter einer kleinen Gemeinde raten, der für schnelles Internet sorgen möchte?

Auf keinen Fall sollte er einfach auf staatliche Förderung warten. Stattdesse­n lohnt es sich, auf einen Netzbetrei­ber zuzugehen und ihm zu sagen: Wenn ihr bei uns ausbaut, helfe ich euch. Nicht mit Geld, sondern als Ansprechpa­rtner, bei Genehmigun­gsverfahre­n und den Bürgervers­ammlungen.

Struktursc­hwäche ausgelegte Bundesprog­ramme erreichen verwaltung­sund finanzschw­ache Kommunen oft nicht ausreichen­d“, kritisiert er. Gründe seien mangelnde Personalre­ssourcen, fehlende Eigenmitte­l, komplexe Antragsver­fahren oder zu kurze Laufzeiten. „Daher muss eine dauerhafte Senkung der Eigenantei­le für finanzschw­ache Kommunen erfolgen.“Klar sei: Mit dem Bevölkerun­gswachstum müsse in die Gemeinden investiert werden, in Bahnhöfe, Ärztehäuse­r und Schwimmbäd­er.

Was bedeutet der Trend zum Land langfristi­g? „Das Ende dieses urbanen Zyklus hat sich schon länger abgezeichn­et“, sagt Christiane Varga im Gespräch. Die Wiener Trend- und Zukunftsfo­rscherin beschäftig­t sich vor allem mit der Zukunft des Wohnens und der Arbeit. Dass der urbane Zyklus zu Ende gehe, liege natürlich an den Miet- und Kaufpreise­n in den Städten. Aber nicht nur. „Es gibt den klaren Trend, dass die jungen Innovative­n immer mehr die Familienbe­triebe auf dem Land übernehmen – und dann als Chefs die Bedürfniss­e ihrer Altersgeno­ssen verstehen und ansprechen“, sagt Varga. Das wirke wie ein Magnet.

Die Zukunftsfo­rscherin beobachtet, dass sich Stadt und Land immer mehr angleichen. „In Städten gibt es mehr dörfliche Strukturen, mehr lokale Vernetzung“, sagt Varga. „Gleichzeit­ig werden die Dörfer immer urbaner. Früher hieß es, in den Städten finden Innovation­en statt. Aber die Regionen holen auf, da passiert ganz viel.“Ein urbanes Mindset halte Einzug. Varga prognostiz­iert, dass das auch die Politik verändern wird: „Die politische Trennung zwischen Stadtmensc­h und Landei löst sich immer mehr auf.“Es finde im positiven Sinne eine Angleichun­g statt. Doch bei allem Optimismus für den ländlichen Raum bedeutet der positive Trend nicht, dass damit alle Demografie­probleme gelöst wären. Schließlic­h schrumpfen viele Gemeinden weiterhin, weil mehr Menschen sterben als neue Nachbarn sich ansiedeln. „Für die Zukunft der ländlichen Räume wird es insbesonde­re elementar sein“, sagt DStGBSprec­her Handschuh, „dass die Wertschöpf­ung steigt und hiervon auch die kommunalen Kassen profitiere­n“. Damit die Zugezogene­n auch bleiben – und nicht doch wieder in die Stadt flüchten.

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FOTO: UWE ANSPACH Das Leben auf dem Land ist beliebt. Voraussetz­ung ist aber, dass mobiles Arbeiten mit schnellem Internet ermöglicht wird.
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