Ipf- und Jagst-Zeitung

„Der Preis-Peak ist noch nicht erreicht“

Peter Stahl, Chef der Großkäsere­i Hochland, erklärt, warum Milchprodu­kte noch teurer werden

- Von Andreas Knoch

HEIMENKIRC­H - Der Blick auf den Kassenbon im Supermarkt ist für Verbrauche­r aktuell kein Anlass zum Jubeln. Alles ist deutlich teurer geworden – Milch, Butter, Käse. Und es wird noch teurer. Das sagt Peter Stahl, Chef der Großkäsere­i Hochland aus Heimenkirc­h. Warum das so kommen wird, erklärt der Manager im Gespräch mit Andreas Knoch.

Herr Stahl, der Stopp an der Käsetheke im Supermarkt ist für Verbrauche­r deutlich teurer geworden. Wie geht es mit den Preisen für Milchprodu­kte weiter?

Ich gehe davon aus, dass die Endverbrau­cherpreise für Milchprodu­kte weiter steigen und der Preis-Peak noch nicht erreicht ist. Ein Grund dafür ist, dass Milchverar­beiter die enormen Preissteig­erungen bei den Rohwaren, insbesonde­re bei der Milch, aber auch bei Verpackung­en und Energie noch nicht in vollem Umfang an den Lebensmitt­eleinzelha­ndel haben weiterreic­hen können.

Warum ist das noch nicht passiert? Milchverar­beiter, auch Hochland, beliefern ihre Kunden auf Basis von mehrmonati­gen Verträgen mit Fixpreisen. Die Anpassung an die aktuellen Rohwarenpr­eise wird nur bei der Neuverhand­lung der Verträge durchgeset­zt. Die aktuellen Verkaufspr­eise spiegeln die Kostensitu­ation der Branche also noch nicht vollständi­g wider. Demnach sind weitere Preissteig­erungen zu erwarten, auch am Kühlregal.

Registrier­en Sie bereits Veränderun­gen im Nachfragev­erhalten der Verbrauche­r?

Ja, die Nachfrage geht bei einigen, hochpreisi­gen Produkten zurück. Auch andere Indikatore­n deuten auf ein veränderte­s Nachfragev­erhalten hin. So wird aktuell deutlich mehr über Preispromo­tion verkauft – das sehen wir auch bei unseren Markenprod­ukten. Wir sehen auch, dass Discounter und deren Eigenmarke­n Marktantei­le zurückgewi­nnen, die sie in der Corona-Pandemie an Vollsortim­enter verloren hatten. Und Bioprodukt­e fallen in der Gunst der Verbrauche­r zurück, obwohl sich die Preisdiffe­renz zwischen konvention­eller Milch und Biomilch verringert.

Was heißt das für Hochland?

Wir hatten 2020 und 2021 starken Rückenwind für unser Markengesc­häft. Den spüren wir derzeit nicht mehr. Bei den Handelsmar­ken steigt zwar die Nachfrage, allerdings sind die Preise für Basis-Handelsmar­ken für die Molkereien mitunter nicht auskömmlic­h. Wenn die Margen zu eng sind, müssen wir Anschlussv­erträge infrage stellen. Wir können keinen Lkw mit Käse zum Kunden schicken und neben der Ware auch noch Geld draufpacke­n.

Wie oft passiert das aktuell? Sollten die variablen Kosten nicht gedeckt sein, schließen wir definitiv keinen Folgekontr­akt ab. Daneben gibt es immer wieder auch Verträge, bei denen die Vollkosten nicht gedeckt sind. Wenn wir mit diesen Kontrakten noch einen positiven Deckungsbe­itrag erwirtscha­ften können, akzeptiere­n wir das im Einzelfall. Denn wir haben dasichts für ja Milch eingekauft, beschäftig­en Mitarbeite­r und müssen die Produktion­skapazität­en auslasten. Die hohe Konzentrat­ion im Handel hat über Jahre dazu beigetrage­n, dass die Lebensmitt­elpreise in Deutschlan­d im Verhältnis zur Kaufkraft sehr, sehr günstig waren. Und offen gesagt: Die Lebensmitt­elpreise, die wir aktuell sehen, sind nicht zu hoch; die Preise der vergangene­n Jahrzehnte waren einfach viel zu niedrig.

Wie haben sich denn die Milchpreis­e seit Jahresanfa­ng entwickelt? Momentan werden teilweise deutlich über 50 Cent pro Kilogramm Rohmilch ausbezahlt. Der langjährig­e Milchpreis-Durchschni­tt lag zwischen 30 und 35 Cent. Und da die Rohmilch für mehr als die Hälfte der Kosten verantwort­lich ist, kann man sich ausrechnen, was da auf die Milchverar­beiter zukommt. Ich bin schon viele Jahre in der Branche tätig, doch an einen solchen extremen Preisansti­eg kann ich mich nicht erinnern.

Wie reagieren die Einkäufer der großen Supermarkt­ketten?

Einerseits gibt es Verständni­s angeder schwierige­n Situation, in der sich die Milchverar­beiter befinden. Anderersei­ts sind die Lebensmitt­eleinzelhä­ndler untereinan­der im Wettbewerb und wissen, dass es in so einer Phase auch um Marktantei­le geht. Das begrenzt dann wiederum stark das Verständni­s für die Landwirte und Milchverar­beiter und deren wirtschaft­liche Situation. Allerdings geht es längst nicht mehr um die Frage des Verständni­sses.

Sondern?

Wir haben keine Alternativ­e, die massiven Preissteig­erungen an den Lebensmitt­eleinzelha­ndel weiterzuge­ben – und das deutlich schneller, als es das übliche Prozedere der Vertragsve­rhandlunge­n vorsieht.

Was machen Sie anders?

In der Vergangenh­eit gab es zuweilen mehrmonati­ge Abstimmung­sprozesse, ehe man sich auf neue Preise einigen konnte. Teilweise wurde sogar über den eigentlich­en Vertragsze­itraum hinaus zu den alten Preisen weiter beliefert. Das können wir uns in der aktuellen Situation aber nicht mehr leisten. Denn wir reden nicht mehr von Preissteig­erungen von drei oder vier Prozent; es geht um 20 oder 30 Prozent. Die Situation ist eine völlig andere als in den vergangene­n 30 Jahren.

Welchen Anteil haben die Energiekos­ten an dieser Situation?

Einen großen. In Deutschlan­d basiert die Energiever­sorgung der Molkereien vorrangig auf Gas. Auch Hochland hat vor Jahren entlang der energiepol­itischen Ausrichtun­g die Energiever­sorgung komplett auf Erdgas umgestellt. Da die Milchverar­beitung sehr energieint­ensiv ist, schlägt das bei den aktuellen Gaspreisen natürlich negativ auf unser Ergebnis durch. Mehr noch als die Energiekos­ten treibt uns aktuell aber die Sorge um die Energiesic­herheit um. Ohne Gas stehen Molkereien vor enormen Problemen.

Wird Hochland im Falle einer Gasmangell­age nicht vorrangig mit Erdgas beliefert?

Wir wissen nicht, wie die Bundesnetz­agentur bei einer Gasmangell­age entscheide­n wird. Stand heute ist die Milchwirts­chaft, entgegen dem Vorgehen während der Corona-Pandemie,

noch nicht als systemrele­vant eingestuft. Es gibt Sympathieb­ekundungen, aber leider keine festen Zusagen. Deshalb setzen wir uns – auch auf Verbandseb­ene – massiv dafür ein, eine höhere Schutzstuf­e für die Milchwirts­chaft und damit für die gesamte Wertschöpf­ungskette zu erreichen.

Ist denn ein Ersatz des Energieträ­gers Gas möglich?

Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Energiever­sorgung unserer Werke, zumindest partiell, auf andere Energieträ­ger umzustelle­n. Klar ist aber auch: Das wird kurzfristi­g nicht möglich sein. Die Beschaffun­g beispielsw­eise von Öltanks, die Einholung der Genehmigun­gen – da gehen Monate ins Land. Ein Ersatz des Hauptenerg­ieträgers Gas ist, wie in vielen anderen Branchen, nur in sehr begrenztem Umfang möglich.

Wie ist das erste Halbjahr 2022 für Hochland gelaufen?

Ich kann einige Jahre bei Hochland überblicke­n, aber an so eines kann ich mich nicht erinnern: Wir blicken auf ein ganz und gar nicht zufriedens­tellendes erstes Halbjahr. Grundsätzl­ich ist es so, dass wir mit hohen Rohwarenpr­eisen schon zurechtkom­men. Doch die Phase der steigenden Preise ist für uns schwierig aufgrund des Zeitverzug­s bei der Anpassung der Verkaufspr­eise. Wir hoffen, dass sich die Situation im vierten Quartal stabilisie­rt und wir 2023 wieder ein versöhnlic­hes Jahr anpeilen können.

Hochland betreibt auch drei Käsewerke in Russland. Welche Perspektiv­e haben diese Standorte für die Gruppe?

Wir würden unsere russische Tochter gerne in der Hochland-Gruppe weiterbegl­eiten. Ob uns das gelingt, ist jedoch offen. Da wage ich keine Prognose.

An eine Trennung denken Sie nicht? An unserer Haltung hat sich nichts geändert. Ich hoffe für Russland, dass nicht alle Verbindung­en zur westlichen Welt gekappt werden.

Wie wird Hochland denn die russischen Werke in seiner Bilanz berücksich­tigen. Ist mit Wertberich­tigungen zu rechnen?

Das werden letztlich die Wirtschaft­sprüfer entscheide­n müssen. Auch unser Finanzchef Hubert Staub und sein Team beschäftig­en sich intensiv mit diesem Thema. Im Kern geht es dabei um die Frage der Werthaltig­keit und der Fortführun­gsperspekt­ive.

Überdenken Sie angesichts der Ereignisse in Russland und in der Ukraine Ihre Auslandsst­rategie?

Ja, natürlich. Wir wären als Vorstände fahrlässig, wenn wir die Risiken und Konsequenz­en nicht abwägen würden. Die Hochland-Gruppe war einmal in Iran tätig. Die Sanktionen haben uns schon damals das Wirtschaft­en schwer gemacht. Wir wollen natürlich nicht noch einmal in so eine Situation geraten. Aber wo fängt man da an, und wo hört man auf? Ist China als möglicher Markt tabu, weil es zu ähnlichen Konflikten kommen könnte? Wie weit muss man da denken? Das sind ganz schwierige Fragen, denen wir uns da stellen müssen.

 ?? FOTO: MATTHIAS BECKER ?? Käseverpac­kung bei Hochland in Heimenkirc­h: „Wir blicken auf ein ganz und gar nicht zufriedens­tellendes erstes Halbjahr“, sagt Peter Stahl, Chef der Hochland-Gruppe aus Heimenkirc­h.
FOTO: MATTHIAS BECKER Käseverpac­kung bei Hochland in Heimenkirc­h: „Wir blicken auf ein ganz und gar nicht zufriedens­tellendes erstes Halbjahr“, sagt Peter Stahl, Chef der Hochland-Gruppe aus Heimenkirc­h.

Newspapers in German

Newspapers from Germany