Benjamin Poliak gewinnt den Poetry Slam
Dichterwettstreit über Kartoffelsalat, Bartagamen und sonstige Räptilien
ELLWANGEN - Ist es nun der zwölfte oder der 13. Poetry Slam gewesen? Bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Wie auch immer – der literarische Wettkampf ist ein Highlight des Sommers in der Stadt und zieht nach wie vor jede Menge Fans an. Allerdings sind es in diesem Jahr mit rund 150 deutlich weniger gewesen als in den Jahren zuvor, als regelmäßig über 500 die Große Stallung bis auf den allerletzten Platz füllten. 2021 waren es rund 250.
Sei’s drum. Die, die da waren, hatten jede Menge Spaß. Die bekannten Slammer Alexander Willrich und Johannes Elster moderierten den von Stadt, Stadtbibliothek und Jugendzentrum organisierten Abend gewohnt launig, mit überraschenden Erkenntnissen zur Atmung von Fitzroy-Schildkröten und der essenziellen Frage, ob Pinguine Knie haben (sie haben). Sechs erstklassige Poeten lieferten sich tiefschürfende, gereimte und ungereimte, sinnige und unsinnige, absurde und nachdenkliche Wortgefechte.
Als erster enterte Andreas Rebholz aus Ulm die Bühne und schwäbelte auf Teufel komm raus über militante Frührentner und die hierzulande verpönte Unsitte, Kartoffelsalat mit Mayonnaise anzumachen. Dann doch lieber „Explosion“schlürfen, sprich Wodka mit Sauerkrautsaft.
Die Münchnerin Leah Weigand ist Poetin und Krankenschwester. „Manche Tage gehen subkutan“, sagte sie in ihrem bemerkenswerten Text. Unter die Haut gehen ihr die Berührung hundertjähriger Hände, aber auch erste Schreie neuer Erdenbürger. Jeder trage sein Päckchen, habe sie in der auf Kante genähten Pflege gelernt. „Du sagst, du könntest das nicht. Ich sage: wir auch nicht. Nicht so.“
Die Ellwangerin Petra Home vertrat heimische Farben mit Witz und Humor. „Noch heute übern Brennerpass und morgen schon im kühlen Nass“, reimte sie zum aktuellen Thema Ferien. Trotz eines kühlen Glases Beaujolais mit der Hautevolee schaffte sie es nicht in die nächste Runde.
Das gelang dem jungen Essener Benjamin Poliak mit wortgewaltigen Betrachtungen zu den veganen Freuden des Lebens wie zum Beispiel, Milch mit einer BiFi umzurühren. Vegane Wurst? Schließlich gebe es doch auch keine Karotte aus Hack. Immerhin habe er neue Lebensmittel kennengelernt: „Kennt ihr Äpfel?“Das katapultierte den jungen Poeten mit Zehn-Punkte-Beifall ins Finale.
Großartig war auch Poesiepädagogin und Bühnenpoetin Meike Harms aus München. Sie verblüffte mit literarischen Kostproben zu Nischenproblemen rund um „Raptilien“(sprich Räptilien) wie Bartagamen ohne Bart, SUV-Laufställen in Nobelvororten und markanten Sätzen
wie „Das Klima kriegt die Krise und hält uns den Meeresspiegel vor“oder „Lebe jeden Tag, als ob dieser Planet dein letzter wäre.“
Annika Biedermann aus Zürich, Siegerin des U20-Slam-Finales ebenda, dachte laut nach über ihre „Generation Rastlos“, die vieles wahr-, aber wenig Verantwortung übernehme: „Nichts Ganzes, nichts Halbes.“Immerhin: „Wir geben alles und hoffen, das reicht.“
Das Finale machten Harms, Weigand und Poliak unter sich aus. Meike Harms beeindruckte mit Überlegungen zu einer Welt voller „Anstreicher“(wie Hitler) und machte klar, dass man Kochbücher nicht essen könne, auch nicht die von Jamie Oliver. Leah Weigands Text über „Kinderschokolade, von Kindern gemacht“ und die dunklen, bitteren Seiten von Kakao ließ aufhorchen.
Der letzte Finalist hatte schließlich die Nase vorn: Benjamin Poliak flashte mit Gedanken übers Erwachsenwerden und dem Geständnis, mehr als 40 Kilo abgenommen zu haben, um keine Brüste mehr zu haben, größer als die der Mädchen. Jetzt könne er Essen wieder genießen. Genießen kann er nun auch die von einer Besucherin bemalte Karte mit dem rauschenden finalen Beifall zum Immer-wieder-Abspielen. Wenn er auf den roten Knopf drückt, ist der Sound allerdings unwiderruflich weg.
Das blüht dem Ellwanger Poetry Slam nicht. Der wird bleiben, denn die Kraft der Poesie und die Macht der Worte sind unwiderstehlich.