Social Media für Geparde
Ein Forschungsprojekt in Namibia entschärft Konflikte zwischen Raubkatzen und Menschen
Raubtiere ●in der Nachbarschaft? Für Viehhalter rings um die Welt war das traditionell ein Grund, zum Gewehr oder Giftköder zu greifen. Die hungrige Konkurrenz auf vier Beinen hat vielerorts einen regelrechten Hass auf sich gezogen. Doch für Namibias Geparde scheint sich die Lage langsam zu entspannen. Und das ist ein Ergebnis jahrelanger Forschungsarbeit. Ein Team um Bettina Wachter und Jörg Melzheimer vom Berliner Leibniz-Institut für Zoound Wildtierforschung (IZW) hat den Alltag der gefleckten Katzen akribisch untersucht – mit überraschenden Ergebnissen, die einigen Zündstoff aus dem Konflikt zwischen Mensch und Tier genommen haben. „Inzwischen arbeiten wir sehr gut mit den Farmern zusammen“, betont Jörg Melzheimer.
Das ist auch dringend nötig. Denn in den Händen der Landwirte liegt die Zukunft von Afrikas seltenster Großkatze. Das dünn besiedelte Namibia ist mit etwa 1500 erwachsenen Tieren eine der absoluten Hochburgen der Art. „Doch die allermeisten dieser Geparde leben nicht in Schutzgebieten, sondern auf Farmland“, erklärt der Forscher. Dort haben sie nämlich keine übermächtige und mitunter sogar lebensgefährliche Konkurrenz zu fürchten: Löwen, Leoparden und Hyänen haben die Viehhalter auf ihrem Land schon vor Jahrzehnten ausgerottet. Nur bei den Geparden, die generell kein Aas fressen und daher auch Giftköder verschmähen, hat das nicht geklappt.
So wurden die riesigen Rinderfarmen Namibias zum Eldorado für die schnellen Sprinter: „Es ist hier alles naturbelassen“, schildert Heiko Freyer die Situation auf seinem Betrieb in der Nähe der Hauptstadt Windhoek. „Wir stellen nur künstlich Wasser zur Verfügung und haben das Gelände durch Zäune in kleinere Einheiten unterteilt. Es kommen aber noch alle Wildarten vor, die es immer hier gab.“Besser kann die Lage aus Geparden-Sicht kaum sein: Keine gefährlichen Gegner auf vier Pfoten, dafür aber reichlich Wasser und Beute in Form von OryxAntilopen, Springböcken oder Kudus. Wenn nur der Konflikt mit den Viehhaltern nicht wäre. Zwar wagt sich kein Gepard an ein ausgewachsenes Rind. „Weil sie aber immer mal wieder Kälber reißen, werden sie von den Farmern traditionell als eine
Bedrohung
Freyer.
Tatsächlich gab es Jahre, in denen einige Betriebe bis zu 30 Prozent ihrer Kälber an die schnellen Jäger verloren – ohne dass die Schäden kompensiert worden wären. Doch auch auf der anderen Seite waren die Verluste verheerend: Zahlreiche der gefleckten Katzen wurden erschossen oder mit Fallen gefangen und getötet. In manchen Jahren hat der Konflikt bis zu einem Viertel der Population das Leben gekostet. „Das war also sowohl für die Menschen als auch für die Tiere ein Riesenproblem“, sagt Jörg Melzheimer. Umso wichtiger war es ihm, zusammen mit den Farmern eine Lösung zu suchen.
Bis diese Kooperation ins Laufen kam, hat es allerdings eine Weile gedauert. „Bei uns herrschte erst mal eine etwas abwartende Haltung“, erinnert sich Heiko Freyer. „Für uns war es etwas Neues, dass die Forscher hier waren und einfach nur ganz objektiv Informationen sammeln wollten.“Doch nicht nur er, sondern auch etliche seiner Kollegen haben den Wissenschaftlern eine Chance gegeben – und so viel Neues über ihre vierbeinigen Nachbarn erfahren. gesehen“, sagt Heiko
Mehr als 250 Geparde haben die Forscher gefangen, narkotisiert und mit einem GPS-Gerät um den Hals wieder freigelassen. Anschließend konnten sie jeden Halsbandträger im Schnitt zwei Jahre lang verfolgen und alle Viertelstunde seine genaue Position bestimmen. So kam heraus, dass Geparde ihren Lebensraum auf sehr ungewöhnliche Weise nutzen. Die normalerweise etwa 380 Quadratkilometer großen Territorien der
Männchen grenzen nämlich nicht direkt aneinander, sondern verteilen sich in großem Abstand relativ gleichmäßig über die Landschaft. In jedem dieser Reviere gibt es Bereiche, die für die Kommunikation der gefleckten Katzen entscheidend sind. Diese sind ungefähr 25 Quadratkilometer groß und liegen 20 bis 25 Kilometer auseinander. Der Revierbesitzer setzt in diesen Zonen Duftmarken wie Urin und Kot an
Bäumen, Felsen oder Termitenhügeln ab.
„Für Artgenossen spielen diese Stellen eine ganz ähnliche Rolle wie für uns die Sozialen Medien“, erklärt Jörg Melzheimer. Man geht dort regelmäßig vorbei und schaut nach, was es Neues gibt. Die Weibchen, die große Gebiete von rund 650 Quadratkilometern durchstreifen, kommen auf der Suche nach Paarungspartnern hierher. Und auch für junge Männchen, die bisher noch kein Revier erobert haben, entwickeln diese Punkte eine geradezu magische Anziehungskraft. Schwächelt der Besitzer des Territoriums, so dass man ihn ablösen könnte? Oder ist ein Weibchen in der Nähe, das sich vielleicht becircen lässt? Das alles lässt sich aus den Duftmarken herauslesen. Kein Wunder also, dass die revierlosen Männchen die Neuigkeiten so oft wie möglich checken.
Entsprechend viel Betrieb herrscht in diesen Nachrichtenbörsen. Auch wenn sie nur etwa zehn Prozent der Fläche einnehmen, konzentriert sich dort der größte Teil der Geparden-Aktivitäten. Lassen sich die bedrohten Kälber also vielleicht schützen, wenn man sie einfach in einen anderen Bereich der Farm bringt? Insgesamt 25 Betriebe haben ihr Herdenmanagement inzwischen entsprechend umgestellt und lassen an den Geparden-Hotspots nur noch erwachsene Rinder weiden. Fast immer sank die Zahl der gerissenen Kälber daraufhin drastisch, die Verluste gingen im Schnitt um 86 Prozent zurück.
Die dazu nötige Verlegung der Herden ließ sich auf vielen Farmen gut bewerkstelligen. Denn die Orte, an denen die Geparde ihre Neuigkeiten austauschen, bieten weder besonders üppiges Weideland noch andere für Viehhalter wichtige Vorteile. Wo sie liegen, scheint nur von der Entfernung zur nächsten Nachrichtenzentrale abzuhängen. Wenn die nicht stimmt, bricht das Kommunikations-Netzwerk der Geparde offenbar zusammen. Und das scheint für sie ein ähnlich großes Problem zu sein wie für menschliche Social-Media-Junkies. Auch wenn die schmackhaften Kälber plötzlich nicht mehr da sind, halten die gefleckten Katzen deshalb stur an ihren Hotspots fest. „Sie würden der Herde wahrscheinlich schon gern folgen“, vermutet Jörg Melzheimer. „Aber ein funktionierender Nachrichtenaustausch ist ihnen wichtiger.“
Zwar könne der neue Ansatz nicht alle Geparden-Probleme lösen, betont der Forscher. Und auch in Namibia sei nicht jeder Viehhalter zum Geparden-Fan geworden. Doch vom traditionellen Raubtierhass früherer Generationen seien viele inzwischen abgekommen. Die Stimmung sei deutlich entspannter als etwa bei den aufgeheizten Diskussionen über die Rückkehr des Wolfes in Deutschland: „Selbst Geparden-Gegner respektieren uns und vertrauen unseren wissenschaftlichen Ergebnissen.“
Heiko Freyer und etliche seiner Kollegen sind inzwischen sogar überzeugt davon, dass die Raubkatzen auf ihrem Land ihre Daseinsberechtigung haben. „Für mich war die Zusammenarbeit mit den Forschern wichtig und sehr interessant, weil wir gemerkt haben, dass wir diese Ergebnisse brauchen“, sagt der Rinderzüchter. „Davon sollten alle einen Nutzen haben, die Tiere und die Farmer.“So könne man die Nachbarschaft der schnellen Jäger auch viel besser akzeptieren. „Das ist ja immer deren Lebensraum gewesen. Warum sollten sie jetzt plötzlich nicht mehr hier sein?“