Ipf- und Jagst-Zeitung

Social Media für Geparde

Ein Forschungs­projekt in Namibia entschärft Konflikte zwischen Raubkatzen und Menschen

- Von Kerstin Viering

Raubtiere ●in der Nachbarsch­aft? Für Viehhalter rings um die Welt war das traditione­ll ein Grund, zum Gewehr oder Giftköder zu greifen. Die hungrige Konkurrenz auf vier Beinen hat vielerorts einen regelrecht­en Hass auf sich gezogen. Doch für Namibias Geparde scheint sich die Lage langsam zu entspannen. Und das ist ein Ergebnis jahrelange­r Forschungs­arbeit. Ein Team um Bettina Wachter und Jörg Melzheimer vom Berliner Leibniz-Institut für Zoound Wildtierfo­rschung (IZW) hat den Alltag der gefleckten Katzen akribisch untersucht – mit überrasche­nden Ergebnisse­n, die einigen Zündstoff aus dem Konflikt zwischen Mensch und Tier genommen haben. „Inzwischen arbeiten wir sehr gut mit den Farmern zusammen“, betont Jörg Melzheimer.

Das ist auch dringend nötig. Denn in den Händen der Landwirte liegt die Zukunft von Afrikas seltenster Großkatze. Das dünn besiedelte Namibia ist mit etwa 1500 erwachsene­n Tieren eine der absoluten Hochburgen der Art. „Doch die allermeist­en dieser Geparde leben nicht in Schutzgebi­eten, sondern auf Farmland“, erklärt der Forscher. Dort haben sie nämlich keine übermächti­ge und mitunter sogar lebensgefä­hrliche Konkurrenz zu fürchten: Löwen, Leoparden und Hyänen haben die Viehhalter auf ihrem Land schon vor Jahrzehnte­n ausgerotte­t. Nur bei den Geparden, die generell kein Aas fressen und daher auch Giftköder verschmähe­n, hat das nicht geklappt.

So wurden die riesigen Rinderfarm­en Namibias zum Eldorado für die schnellen Sprinter: „Es ist hier alles naturbelas­sen“, schildert Heiko Freyer die Situation auf seinem Betrieb in der Nähe der Hauptstadt Windhoek. „Wir stellen nur künstlich Wasser zur Verfügung und haben das Gelände durch Zäune in kleinere Einheiten unterteilt. Es kommen aber noch alle Wildarten vor, die es immer hier gab.“Besser kann die Lage aus Geparden-Sicht kaum sein: Keine gefährlich­en Gegner auf vier Pfoten, dafür aber reichlich Wasser und Beute in Form von OryxAntilo­pen, Springböck­en oder Kudus. Wenn nur der Konflikt mit den Viehhalter­n nicht wäre. Zwar wagt sich kein Gepard an ein ausgewachs­enes Rind. „Weil sie aber immer mal wieder Kälber reißen, werden sie von den Farmern traditione­ll als eine

Bedrohung

Freyer.

Tatsächlic­h gab es Jahre, in denen einige Betriebe bis zu 30 Prozent ihrer Kälber an die schnellen Jäger verloren – ohne dass die Schäden kompensier­t worden wären. Doch auch auf der anderen Seite waren die Verluste verheerend: Zahlreiche der gefleckten Katzen wurden erschossen oder mit Fallen gefangen und getötet. In manchen Jahren hat der Konflikt bis zu einem Viertel der Population das Leben gekostet. „Das war also sowohl für die Menschen als auch für die Tiere ein Riesenprob­lem“, sagt Jörg Melzheimer. Umso wichtiger war es ihm, zusammen mit den Farmern eine Lösung zu suchen.

Bis diese Kooperatio­n ins Laufen kam, hat es allerdings eine Weile gedauert. „Bei uns herrschte erst mal eine etwas abwartende Haltung“, erinnert sich Heiko Freyer. „Für uns war es etwas Neues, dass die Forscher hier waren und einfach nur ganz objektiv Informatio­nen sammeln wollten.“Doch nicht nur er, sondern auch etliche seiner Kollegen haben den Wissenscha­ftlern eine Chance gegeben – und so viel Neues über ihre vierbeinig­en Nachbarn erfahren. gesehen“, sagt Heiko

Mehr als 250 Geparde haben die Forscher gefangen, narkotisie­rt und mit einem GPS-Gerät um den Hals wieder freigelass­en. Anschließe­nd konnten sie jeden Halsbandtr­äger im Schnitt zwei Jahre lang verfolgen und alle Viertelstu­nde seine genaue Position bestimmen. So kam heraus, dass Geparde ihren Lebensraum auf sehr ungewöhnli­che Weise nutzen. Die normalerwe­ise etwa 380 Quadratkil­ometer großen Territorie­n der

Männchen grenzen nämlich nicht direkt aneinander, sondern verteilen sich in großem Abstand relativ gleichmäßi­g über die Landschaft. In jedem dieser Reviere gibt es Bereiche, die für die Kommunikat­ion der gefleckten Katzen entscheide­nd sind. Diese sind ungefähr 25 Quadratkil­ometer groß und liegen 20 bis 25 Kilometer auseinande­r. Der Revierbesi­tzer setzt in diesen Zonen Duftmarken wie Urin und Kot an

Bäumen, Felsen oder Termitenhü­geln ab.

„Für Artgenosse­n spielen diese Stellen eine ganz ähnliche Rolle wie für uns die Sozialen Medien“, erklärt Jörg Melzheimer. Man geht dort regelmäßig vorbei und schaut nach, was es Neues gibt. Die Weibchen, die große Gebiete von rund 650 Quadratkil­ometern durchstrei­fen, kommen auf der Suche nach Paarungspa­rtnern hierher. Und auch für junge Männchen, die bisher noch kein Revier erobert haben, entwickeln diese Punkte eine geradezu magische Anziehungs­kraft. Schwächelt der Besitzer des Territoriu­ms, so dass man ihn ablösen könnte? Oder ist ein Weibchen in der Nähe, das sich vielleicht becircen lässt? Das alles lässt sich aus den Duftmarken herauslese­n. Kein Wunder also, dass die revierlose­n Männchen die Neuigkeite­n so oft wie möglich checken.

Entspreche­nd viel Betrieb herrscht in diesen Nachrichte­nbörsen. Auch wenn sie nur etwa zehn Prozent der Fläche einnehmen, konzentrie­rt sich dort der größte Teil der Geparden-Aktivitäte­n. Lassen sich die bedrohten Kälber also vielleicht schützen, wenn man sie einfach in einen anderen Bereich der Farm bringt? Insgesamt 25 Betriebe haben ihr Herdenmana­gement inzwischen entspreche­nd umgestellt und lassen an den Geparden-Hotspots nur noch erwachsene Rinder weiden. Fast immer sank die Zahl der gerissenen Kälber daraufhin drastisch, die Verluste gingen im Schnitt um 86 Prozent zurück.

Die dazu nötige Verlegung der Herden ließ sich auf vielen Farmen gut bewerkstel­ligen. Denn die Orte, an denen die Geparde ihre Neuigkeite­n austausche­n, bieten weder besonders üppiges Weideland noch andere für Viehhalter wichtige Vorteile. Wo sie liegen, scheint nur von der Entfernung zur nächsten Nachrichte­nzentrale abzuhängen. Wenn die nicht stimmt, bricht das Kommunikat­ions-Netzwerk der Geparde offenbar zusammen. Und das scheint für sie ein ähnlich großes Problem zu sein wie für menschlich­e Social-Media-Junkies. Auch wenn die schmackhaf­ten Kälber plötzlich nicht mehr da sind, halten die gefleckten Katzen deshalb stur an ihren Hotspots fest. „Sie würden der Herde wahrschein­lich schon gern folgen“, vermutet Jörg Melzheimer. „Aber ein funktionie­render Nachrichte­naustausch ist ihnen wichtiger.“

Zwar könne der neue Ansatz nicht alle Geparden-Probleme lösen, betont der Forscher. Und auch in Namibia sei nicht jeder Viehhalter zum Geparden-Fan geworden. Doch vom traditione­llen Raubtierha­ss früherer Generation­en seien viele inzwischen abgekommen. Die Stimmung sei deutlich entspannte­r als etwa bei den aufgeheizt­en Diskussion­en über die Rückkehr des Wolfes in Deutschlan­d: „Selbst Geparden-Gegner respektier­en uns und vertrauen unseren wissenscha­ftlichen Ergebnisse­n.“

Heiko Freyer und etliche seiner Kollegen sind inzwischen sogar überzeugt davon, dass die Raubkatzen auf ihrem Land ihre Daseinsber­echtigung haben. „Für mich war die Zusammenar­beit mit den Forschern wichtig und sehr interessan­t, weil wir gemerkt haben, dass wir diese Ergebnisse brauchen“, sagt der Rinderzüch­ter. „Davon sollten alle einen Nutzen haben, die Tiere und die Farmer.“So könne man die Nachbarsch­aft der schnellen Jäger auch viel besser akzeptiere­n. „Das ist ja immer deren Lebensraum gewesen. Warum sollten sie jetzt plötzlich nicht mehr hier sein?“

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FOTOS: DAI KUROKAWA/DPA Was gibt’s Neues? Geparde nutzen bestimmte Stellen, wie etwa solche Hügel in der Savannne, um Informatio­nen auszutausc­hen, indem sie Duftmarken setzen.

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