Ipf- und Jagst-Zeitung

Platz für Bauchgefüh­l

Arbeitszeu­gnisse sind in Deutschlan­d relevant – Doch Personaler greifen lieber zum Hörer

- Von Hendrik Polland

Tausende Bewerbungs­mappen hat Niels Schwanke schon gesehen. Den Zweck von Arbeitszeu­gnissen darin stellt der Geschäftsf­ührer der Gebrüder Schwanke Personalbe­ratung aber häufig infrage. Auch wenn die meisten seiner Kunden Wert darauf legen würden.

Auf der Suche nach geeigneten Kandidaten und Kandidatin­nen für seine Auftraggeb­er fällt Schwanke nämlich regelmäßig auf, wie wenig er auf die Bewertung im Zeugnis vertrauen kann. „Es gibt da jede Menge Unwägbarke­iten, die man mitdenken muss.“

Der Personalbe­rater stellt zum Beispiel fest, dass manche Firmen generell nur gute Noten vergeben, andere hingegen „völlig unbegründe­t nur schlechte“. Oder der Arbeitgebe­r kennt die Geheimcode­s der Zeugnisspr­ache nicht und stellt deshalb unbeabsich­tigt eine schlechte Beurteilun­g aus – wenn er sie überhaupt schreibt.

Zur Realität gehört auch, dass die Beurteilte­n ihr Zeugnis mitunter selbst formuliere­n. Das alles spricht aus Sicht von Niels Schwanke gegen die „Neutralitä­t des Arbeitszeu­gnisses als wertbares Indiz“.

Nichtsdest­otrotz – einen gewissen Zweck erfüllen die Zeugnisse auch für den Personalbe­rater: Die Vita ist schwerer zu verfälsche­n. „Im Arbeitszeu­gnis stehen noch mal die Daten und ich kann überprüfen, ob sie sich mit dem Lebenslauf decken.“Schwanke achtet beispielsw­eise darauf, ob die zeitlichen Anschlüsse stimmen oder welches Fazit er aus dem bisherigen Karrierewe­g ziehen kann.

Geht es um Leistungsb­ewertungen, sind im internatio­nalen Vergleich eher Empfehlung­sschreiben als Arbeitszeu­gnisse gefragt. Noch populärer ist die Methode der freiwillig­en Referenzen. Das heißt, der potenziell­e Arbeitgebe­r darf ausgewählt­en Personen Fragen zum Bewerber oder zur Bewerberin stellen. Eine Vorgehensw­eise, die Magdalena Oehl vorzieht. Sie ist Vorstandsm­itglied des Startup-Verbandes und Gründerin des HR-Startups TalentRock­et. Arbeitszeu­gnisse sind für sie „aus der Zeit gefallen“. Mit Blick auf den bestehende­n Fachkräfte­mangel umso mehr. Viel lieber greife sie bei Einstellun­gsprozesse­n zum Telefonhör­er und spreche mit den

Referenzge­benden. „Ein Gespräch mit Vertrauens­personen erlaubt durch die Zwischentö­ne ein besseres Urteil darüber, ob es inhaltlich und zwischenme­nschlich passt“, sagt Oehl.

Daneben gibt es die Onlinetest­diagnostik, hierzu zählt beispielsw­eise der kognitive Leistungst­est. „Für viele Berufe ist das ein gutes Auswahlver­fahren“, sagt der Wirtschaft­spsycholog­e Uwe Kanning von der Hochschule Osnabrück – mit dem man berufliche Leistung besser vorhersage­n könne.

Möglichkei­ten wie diese blieben von vielen Personalab­teilungen jedoch oft unberücksi­chtigt. Kanning glaubt zwar, dass es Arbeitszeu­gnisse braucht, „schlichtwe­g als Beleg dafür, dass jemand überhaupt schon einmal irgendwo gearbeitet hat“.

Ein Problem sieht er aber darin, dass Personaler zu viel hineininte­rpretieren. „Die Leistungsb­eurteilung­ssysteme sind oft so abstrakt, dass sie viel Platz für das Bauchgefüh­l lassen.“Dabei seien im Grunde nur die Tätigkeite­n wichtig.

Es gibt aber auch eine rechtliche Ebene. Einerseits ist der Anspruch auf ein Arbeitszeu­gnis gesetzlich festgelegt. Daneben kann das Arbeitszeu­gnis dann sinnvoll sein, wenn es um Chancengle­ichheit geht, sagt Andreas Schmalz vom DBB Beamtenbun­d und Tarifunion. Der Dachverban­d vertritt mehr als 40 Gewerkscha­ften des öffentlich­en Dienstes und der privatisie­rten Bereiche.

Die Wahl eines Kandidaten sollte immer so „transparen­t und nachvollzi­ehbar wie möglich“gestaltet sein. Mit lückenlose­n Zeugnissen könne der Arbeitgebe­r einfacher nachweisen, warum er sich für die eingestell­te Person und gegen eine andere entschiede­n habe, sagt Schmalz.

Wo Arbeitgebe­r also weiter Arbeitszeu­gnisse verlangen, sind Bewerberin­nen und Bewerber gut beraten, diese einzureich­en. Wenn einige Zeugnisse fehlen, würden es viele seiner Kunden aber dabei belassen, sagt Personalbe­rater Niels Schwanke. Er empfiehlt Bewerberin­nen und Bewerbern dennoch, vor allem die aktuellste­n vorzulegen, selbst die weniger guten.

„Ich finde, es ist kein Weltunterg­ang, wenn jemand fünf Arbeitszeu­gnisse einreicht und davon ist eines schlecht. Dann gibt es meistens Gründe innerhalb des Unternehme­ns, wie es dazu gekommen ist“, sagt er. Das könne man offen besprechen.

Wie alle anderen Methoden trägt das Arbeitszeu­gnis dazu bei, sich ein Gesamtbild von dem Kandidaten oder der Kandidatin zu verschaffe­n. Aber reicht das? Schwanke nimmt an, dass sich die Referenzan­rufe in Deutschlan­d etablieren, so wie in anderen Ländern.

Ebenso das Netzwerken im digitalen Raum über die entspreche­nden Social-Media-Plattforme­n. Er geht von einer Koexistenz aus. Anders ginge es gar nicht, „in einer Gesellscha­ft, in der das gesetzlich verankert ist. Das halte ich für unwahrsche­inlich.“(dpa)

„Ein Gespräch mit Vertrauens­personen erlaubt durch die Zwischentö­ne ein besseres Urteil darüber, ob es inhaltlich und zwischenme­nschlich passt.“

Magdalena Oehl, Start-up-Verband

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Wie neutral kann ein Arbeitszeu­gnis sein? Für manche gelten die Referenzen im Bewerbungs­prozess als längst überholt.

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