Lyrische Spuren in Meersburg
Vor 175 Jahren starb die Dichterin und Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff auf der Burg Meersburg, wo sie viele Jahre ihres Lebens verbrachte. Bis heute wirkt ihr Aufenthalt nach.
- „Auf der Burg haus’ ich am Berge, unter mir der blaue See.“Wer diese Zeilen der Lyrikerin Annette von Droste-Hülshoff kennt und außerdem schon einmal einen Fuß in die altehrwürdige Meersburg im gleichnamigen Ort am Bodensee gesetzt hat, einmal die Zimmer besucht, in denen sie gelebt und geschrieben hat, der kann nachvollziehen, warum ihre Wohnstatt, der See selbst oder auch der am gegenüberliegenden Ufer bei gutem Wetter sichtbare Säntis so häufig Niederschlag in ihren Zeilen fanden. Hier, auf knarzenden Holzdielen, zwischen dicken Mauern und hoch thronend über dem Bodensee hat die bedeutendste Dichterin des 19. Jahrhunderts gelebt und geschrieben – inspiriert vom Blick auf den See. Bis zuletzt. Vor 175 Jahren starb Annette von Droste-Hülshoff. Doch was sie geschaffen hat, lebt fort. Auch und gerade in Meersburg.
Dabei liegt ihr Geburtsort denkbar weit vom Bodensee entfernt. Zwei Monate zu früh kam sie im Jahr 1797 auf dem Wasserschloss Hülshoff, rund 15 Kilometer von Münster entfernt, auf die Welt. Das Siebenmonatskind war kaum lebensfähig. Annette blieb ihr ganzes Leben kränklich, war stark sehbehindert. Zeitgenössische Quellen sehen in ihr aber von klein an eine Kämpfernatur. Unterricht erteilten ihr neben ihrer Mutter ein Hauskaplan und eine französische Kinderfrau. Daher rührte eine für ihre Lebenszeit ungewöhnliche Bildung für ein Mädchen.
Die junge Annette las Literatur in lateinischer, griechischer, französischer, englischer und natürlich deutscher Sprache. Zusätzlich erwarb sie Kenntnisse in der Musik, in Geographie und Geschichte. Schon im Alter von fünf Jahren zeigte sie Talent in der Dichtung und Musik, früh formulierte sie druckreife Gedichte.
Doch das Leben gemäß der Tugenden der Biedermeierzeit – Gehorsam, Demut und Bescheidenheit – ließ sich nicht immer leicht vereinen mit der Neugierde, der Reiselust und Freiheitsliebe der Dichterin. Eine junge Liebe zum Studenten Heinrich Straube, verraten durch eine Intrige, entsetzte die Familie, galt sie doch als nicht standesgemäß. Geheiratet hat die Dichterin danach nie.
Auch ihre Berufung stieß nicht nur auf Gegenliebe. Einen ersten Gedichtband musste Annette 1838 noch unter halbem Pseudonym veröffentlichen: „Gedichte von Annette Elisabeth v. D... H...“Die noble Verwandtschaft schüttete darüber Häme aus, wie Herausgeberin Monique Cantré im Vorwort zum 2012 herausgegebenen Sammelband „Am Bodensee: Meersburger Gedichte“beschreibt.
„Man liest aus ihren Briefen, dass sie kein einfaches Leben gehabt hat. Sie war kränklich und schwach, aber hat sich immer dagegen gewehrt und hatte einen sehr starken Charakter. Sie wollte sich aus ihrer auferlegten Rolle als adliges Fräulein durch ihr Schreiben befreien“, sagt Julia Naeßl-Doms. Sie ist Burgherrin auf der Burg Meersburg, mit ihrer Familie bewohnt sie heute noch die Räume, in denen die Dichterin bei ihrem ersten Aufenthalt in der Meersburg gelebt hat. In der Burg bietet sie außerdem Führungen speziell zum Leben der Lyrikerin an.
Im Jahr 1841 kam „die Droste“, wie sie heute noch von vielen genannt wird, im Alter von 44 Jahren zu ihrem ersten längeren Aufenthalt auf die Meersburg. Drei Jahre zuvor hatte ihr Schwager Joseph von Laßberg die Burg für 10.000 Gulden mit dem Ziel, das alte Gemäuer wieder auf Vordermann zu bringen, gekauft. Droste-Hülshoffs älteste Schwester Jenny (eigentlich Maria Anna Henrietta Felicitas Freiin von
Drosten zu Hülshoff) hatte sie eingeladen. „Hier gab es keine Drangsalierungen, keine Pflichten. Sie konnte ihre Freiheit ausleben und kreativ arbeiten“, sagt Naeßl-Doms. „Sie war eine sehr intelligente Frau und für ihre Zeit äußerst gebildet. Das hat sie in ihren Gedichten verarbeitet. Sie hat alles sehr detailliert und immer wieder mit einem feinen Humor beschrieben.“
Besonders inspiriert sei sie „von der Anwesenheit ihrer Muse“gewesen, des Schriftstellers Leven Schücking. Der 17 Jahre jüngere Mann, der sie als seine „mütterliche Freundin“bezeichnete, hatte 1841 auf ihre Vermittlung hin eine Stelle als Bibliothekar beim Burgherrn und Schwager von Laßberg angetreten. „Durch intensive Gespräche und Diskussionen über die Literatur der Zeit inspirierte er sie zu etwa 60 Gedichten, die sie hier geschrieben hat“, sagt Naeßl-Doms. Eine Wette mit Schücking trieb die Droste dazu an, zeitweise täglich ein Gedicht zu schreiben. In dieser Zeit, die sie später als die „glücklichste ihres Lebens“bezeichnen sollte, entstanden unter anderem „Am Thurme“und die „Haidebilder“.
Später, Schücking hatte zwischenzeitlich eine Stelle bei der „Allgemeinen Zeitung“angetreten und die Meersburg verlassen, kam es allerdings zum Bruch in der intensiven Beziehung zwischen den beiden. Schücking, seit jeher liberaler gesinnt als seine adelige Freundin, schloss sich der jungdeutschen Bewegung des Vormärz an, was die Dichterin ihm übelnahm.
Auch Annette von Droste-Hülshoff kehrte zwischenzeitlich der Meersburg zunächst den Rücken, kehrte dann aber 1843 zurück, um von nun an – gesundheitlich noch angeschlagener – in Zimmern weiter unten in der Burg zu hausen. Die Trennung von Schücking war ein schwerer Schlag für die Droste. Am 5. Mai 1842 schrieb sie ihm nach: „Mich dünkt, könnte ich Dich alle zwei Tage nur zwei Minuten sehen, – oh Gott, nur einen Augenblick! – dann würde ich jetzt singen, dass die Lachse aus dem Bodensee sprängen und die Möwen sich mir auf die Schulter setzten! Wir haben doch ein Götterleben geführt, trotz deiner periodischen Brummigkeit.“Auch vom Bodensee selbst schwärmte sie dem Freund noch einmal vor. „Ach, es ist doch eine schöne, schöne Gegend“, schreibt sie. „Alle Zacken der Alpenreihe rot wie glühendes Eisen und scheinbar durchsichtig, andere Male der See vollkommen smaragdgrün, auf jeder Welle einen goldenen Saum.“
Weit oben auf der Meersburg im Turmzimmer, wo die Droste bei ihrem ersten Aufenthalt lebte, steht Burgherrin Naeßl-Doms heute und öffnet eines der Fenster mit Ausblick auf eben jenen See. In einer Glasvitrine nah der Tür sind alte Droste-Gedichtbände ausgestellt, außerdem eine Ausgabe der „Judenbuche“, die 1842 erstmals erschien. Der Raum ist lichtdurchf lutet, große Fenster bieten neben dem Seeblick eine Rundumaussicht auf das Städtchen und die Hügel des Umlands. Noch heute erinnert vieles in Meersburg an die Dichterin.
„Für viele Besucher ist die Besichtigung der Räume der berühmten Dichterin ein Grund, die Meersburg zu besuchen“, sagt sie. Die Führungen speziell zum Leben der Schriftstellerin hier erfreuten sich großer Beliebtheit. Auch das städtische Gymnasium trägt den Namen der Lyrikerin. Wie in ganz Deutschland haben hier Generationen von Schülerinnen und Schülern Bekanntschaft mit ihr gemacht.
Durch die vom Turm aus sichtbaren Hügel zieht sich außerdem der Annette-von-Droste-Hülshoff-Weg. „Dort ging sie häufig zusammen mit Levin Schücking spazieren. Auf dem Rückweg gingen sie für ein Viertele einkehren im Glaserhäusle, damals eine Herberge, der sie das Gedicht ,Die Schenke am See’ gewidmet hat“, erzählt die heutige Burgherrin. „Ist’s nicht ein heitrer Ort, mein junger Freund? Das kleine Haus, das schier vom Hange gleitet“, heißt es im Gedicht über das noch heute bestehende Gebäude.
Ebenfalls beim Spazieren dürfte der Dichterin das „Fürstenhäusl“aufgefallen sein. Einst vom sagenhaft reichen Augsburger Kaufmann Jakob Fugger im frühen 17. Jahrhundert errichtet, weckte es die Begehrlichkeiten der Droste. 1843 erwarb sie das Häuschen bei einer Auktion. Das Geld dafür hatte sie durch die Veröffentlichung ihrer Dichtungen im „Morgenblatt für gebildete Leser“verdient. Damit gelang ihr spät im Leben der Durchbruch in den Kreisen der Literatur. Die Droste stieg auf in den Olymp neben Schiller, Goethe, Hölderlin und Kleist. Der Literaturkritiker Joseph Christian von Zedlitz rühmte in der „Allgemeinen Zeitung“ihre „wahre poetische Begabung“. Und endlich konnte sie sich selbst etwas leisten, sie die so oft abhängig von anderen gewesen war.
„Sie war so stolz darauf. Sie nannte sich selbst eine ,grandiose Grundbesitzerin’ und machte
Pläne für die Einrichtung des Häuschens“, sagt Naeßl-Doms. Doch wirklich einziehen sollte die Droste im Fürstenhäusl nie. Gesundheitlich schwer gezeichnet verbrachte sie ihre letzten Tage auf der Burg, umsorgt von Schwester und Schwager. Am 24. Mai 1848 starb sie im Alter von 51 Jahren und ruht seither auf dem Meersburger Friedhof. Woran genau sie verstarb, ist heute unklar. Vermutet wird eine Lungenentzündung. Ihr Sterbezimmer kann heute noch besichtigt werden. Ein noch erhaltener Kachelofen wärmte die Dichterin, zum Schluss soll sie den Großteil ihrer Zeit auf einer großen Liege verbracht haben, damit beschäftigt, noch immer Briefe zu schreiben. Vor einer Liege im Raum, bei der es unklar ist, ob es sich ums Original handelt, machen 175 Jahre nach dem Tod der Literatin ein paar Schülerinnen Selfies, beobachtet vom strengen Blick der Dichterin aus einem Gemälde an der Wand – vergessen ist die Droste auch heute noch nicht.
Unvergessen bleiben auch ihre Zeilen über „Das alte Schloss“, die Burg am Berge über dem blauen See. „Ja, wird mir nicht baldigst fade, dieses Schlosses Romantik [...] Denn, wie trotzig sich die Düne mag am flachen Strande heben, fühl’ ich stark mich wie ein Hüne, von Zerfallendem umgeben.“