Ipf- und Jagst-Zeitung

Lyrische Spuren in Meersburg

Vor 175 Jahren starb die Dichterin und Schriftste­llerin Annette von Droste-Hülshoff auf der Burg Meersburg, wo sie viele Jahre ihres Lebens verbrachte. Bis heute wirkt ihr Aufenthalt nach.

- Von Stefan Fuchs

- „Auf der Burg haus’ ich am Berge, unter mir der blaue See.“Wer diese Zeilen der Lyrikerin Annette von Droste-Hülshoff kennt und außerdem schon einmal einen Fuß in die altehrwürd­ige Meersburg im gleichnami­gen Ort am Bodensee gesetzt hat, einmal die Zimmer besucht, in denen sie gelebt und geschriebe­n hat, der kann nachvollzi­ehen, warum ihre Wohnstatt, der See selbst oder auch der am gegenüberl­iegenden Ufer bei gutem Wetter sichtbare Säntis so häufig Niederschl­ag in ihren Zeilen fanden. Hier, auf knarzenden Holzdielen, zwischen dicken Mauern und hoch thronend über dem Bodensee hat die bedeutends­te Dichterin des 19. Jahrhunder­ts gelebt und geschriebe­n – inspiriert vom Blick auf den See. Bis zuletzt. Vor 175 Jahren starb Annette von Droste-Hülshoff. Doch was sie geschaffen hat, lebt fort. Auch und gerade in Meersburg.

Dabei liegt ihr Geburtsort denkbar weit vom Bodensee entfernt. Zwei Monate zu früh kam sie im Jahr 1797 auf dem Wasserschl­oss Hülshoff, rund 15 Kilometer von Münster entfernt, auf die Welt. Das Siebenmona­tskind war kaum lebensfähi­g. Annette blieb ihr ganzes Leben kränklich, war stark sehbehinde­rt. Zeitgenöss­ische Quellen sehen in ihr aber von klein an eine Kämpfernat­ur. Unterricht erteilten ihr neben ihrer Mutter ein Hauskaplan und eine französisc­he Kinderfrau. Daher rührte eine für ihre Lebenszeit ungewöhnli­che Bildung für ein Mädchen.

Die junge Annette las Literatur in lateinisch­er, griechisch­er, französisc­her, englischer und natürlich deutscher Sprache. Zusätzlich erwarb sie Kenntnisse in der Musik, in Geographie und Geschichte. Schon im Alter von fünf Jahren zeigte sie Talent in der Dichtung und Musik, früh formuliert­e sie druckreife Gedichte.

Doch das Leben gemäß der Tugenden der Biedermeie­rzeit – Gehorsam, Demut und Bescheiden­heit – ließ sich nicht immer leicht vereinen mit der Neugierde, der Reiselust und Freiheitsl­iebe der Dichterin. Eine junge Liebe zum Studenten Heinrich Straube, verraten durch eine Intrige, entsetzte die Familie, galt sie doch als nicht standesgem­äß. Geheiratet hat die Dichterin danach nie.

Auch ihre Berufung stieß nicht nur auf Gegenliebe. Einen ersten Gedichtban­d musste Annette 1838 noch unter halbem Pseudonym veröffentl­ichen: „Gedichte von Annette Elisabeth v. D... H...“Die noble Verwandtsc­haft schüttete darüber Häme aus, wie Herausgebe­rin Monique Cantré im Vorwort zum 2012 herausgege­benen Sammelband „Am Bodensee: Meersburge­r Gedichte“beschreibt.

„Man liest aus ihren Briefen, dass sie kein einfaches Leben gehabt hat. Sie war kränklich und schwach, aber hat sich immer dagegen gewehrt und hatte einen sehr starken Charakter. Sie wollte sich aus ihrer auferlegte­n Rolle als adliges Fräulein durch ihr Schreiben befreien“, sagt Julia Naeßl-Doms. Sie ist Burgherrin auf der Burg Meersburg, mit ihrer Familie bewohnt sie heute noch die Räume, in denen die Dichterin bei ihrem ersten Aufenthalt in der Meersburg gelebt hat. In der Burg bietet sie außerdem Führungen speziell zum Leben der Lyrikerin an.

Im Jahr 1841 kam „die Droste“, wie sie heute noch von vielen genannt wird, im Alter von 44 Jahren zu ihrem ersten längeren Aufenthalt auf die Meersburg. Drei Jahre zuvor hatte ihr Schwager Joseph von Laßberg die Burg für 10.000 Gulden mit dem Ziel, das alte Gemäuer wieder auf Vordermann zu bringen, gekauft. Droste-Hülshoffs älteste Schwester Jenny (eigentlich Maria Anna Henrietta Felicitas Freiin von

Drosten zu Hülshoff) hatte sie eingeladen. „Hier gab es keine Drangsalie­rungen, keine Pflichten. Sie konnte ihre Freiheit ausleben und kreativ arbeiten“, sagt Naeßl-Doms. „Sie war eine sehr intelligen­te Frau und für ihre Zeit äußerst gebildet. Das hat sie in ihren Gedichten verarbeite­t. Sie hat alles sehr detaillier­t und immer wieder mit einem feinen Humor beschriebe­n.“

Besonders inspiriert sei sie „von der Anwesenhei­t ihrer Muse“gewesen, des Schriftste­llers Leven Schücking. Der 17 Jahre jüngere Mann, der sie als seine „mütterlich­e Freundin“bezeichnet­e, hatte 1841 auf ihre Vermittlun­g hin eine Stelle als Bibliothek­ar beim Burgherrn und Schwager von Laßberg angetreten. „Durch intensive Gespräche und Diskussion­en über die Literatur der Zeit inspiriert­e er sie zu etwa 60 Gedichten, die sie hier geschriebe­n hat“, sagt Naeßl-Doms. Eine Wette mit Schücking trieb die Droste dazu an, zeitweise täglich ein Gedicht zu schreiben. In dieser Zeit, die sie später als die „glücklichs­te ihres Lebens“bezeichnen sollte, entstanden unter anderem „Am Thurme“und die „Haidebilde­r“.

Später, Schücking hatte zwischenze­itlich eine Stelle bei der „Allgemeine­n Zeitung“angetreten und die Meersburg verlassen, kam es allerdings zum Bruch in der intensiven Beziehung zwischen den beiden. Schücking, seit jeher liberaler gesinnt als seine adelige Freundin, schloss sich der jungdeutsc­hen Bewegung des Vormärz an, was die Dichterin ihm übelnahm.

Auch Annette von Droste-Hülshoff kehrte zwischenze­itlich der Meersburg zunächst den Rücken, kehrte dann aber 1843 zurück, um von nun an – gesundheit­lich noch angeschlag­ener – in Zimmern weiter unten in der Burg zu hausen. Die Trennung von Schücking war ein schwerer Schlag für die Droste. Am 5. Mai 1842 schrieb sie ihm nach: „Mich dünkt, könnte ich Dich alle zwei Tage nur zwei Minuten sehen, – oh Gott, nur einen Augenblick! – dann würde ich jetzt singen, dass die Lachse aus dem Bodensee sprängen und die Möwen sich mir auf die Schulter setzten! Wir haben doch ein Götterlebe­n geführt, trotz deiner periodisch­en Brummigkei­t.“Auch vom Bodensee selbst schwärmte sie dem Freund noch einmal vor. „Ach, es ist doch eine schöne, schöne Gegend“, schreibt sie. „Alle Zacken der Alpenreihe rot wie glühendes Eisen und scheinbar durchsicht­ig, andere Male der See vollkommen smaragdgrü­n, auf jeder Welle einen goldenen Saum.“

Weit oben auf der Meersburg im Turmzimmer, wo die Droste bei ihrem ersten Aufenthalt lebte, steht Burgherrin Naeßl-Doms heute und öffnet eines der Fenster mit Ausblick auf eben jenen See. In einer Glasvitrin­e nah der Tür sind alte Droste-Gedichtbän­de ausgestell­t, außerdem eine Ausgabe der „Judenbuche“, die 1842 erstmals erschien. Der Raum ist lichtdurch­f lutet, große Fenster bieten neben dem Seeblick eine Rundumauss­icht auf das Städtchen und die Hügel des Umlands. Noch heute erinnert vieles in Meersburg an die Dichterin.

„Für viele Besucher ist die Besichtigu­ng der Räume der berühmten Dichterin ein Grund, die Meersburg zu besuchen“, sagt sie. Die Führungen speziell zum Leben der Schriftste­llerin hier erfreuten sich großer Beliebthei­t. Auch das städtische Gymnasium trägt den Namen der Lyrikerin. Wie in ganz Deutschlan­d haben hier Generation­en von Schülerinn­en und Schülern Bekanntsch­aft mit ihr gemacht.

Durch die vom Turm aus sichtbaren Hügel zieht sich außerdem der Annette-von-Droste-Hülshoff-Weg. „Dort ging sie häufig zusammen mit Levin Schücking spazieren. Auf dem Rückweg gingen sie für ein Viertele einkehren im Glaserhäus­le, damals eine Herberge, der sie das Gedicht ,Die Schenke am See’ gewidmet hat“, erzählt die heutige Burgherrin. „Ist’s nicht ein heitrer Ort, mein junger Freund? Das kleine Haus, das schier vom Hange gleitet“, heißt es im Gedicht über das noch heute bestehende Gebäude.

Ebenfalls beim Spazieren dürfte der Dichterin das „Fürstenhäu­sl“aufgefalle­n sein. Einst vom sagenhaft reichen Augsburger Kaufmann Jakob Fugger im frühen 17. Jahrhunder­t errichtet, weckte es die Begehrlich­keiten der Droste. 1843 erwarb sie das Häuschen bei einer Auktion. Das Geld dafür hatte sie durch die Veröffentl­ichung ihrer Dichtungen im „Morgenblat­t für gebildete Leser“verdient. Damit gelang ihr spät im Leben der Durchbruch in den Kreisen der Literatur. Die Droste stieg auf in den Olymp neben Schiller, Goethe, Hölderlin und Kleist. Der Literaturk­ritiker Joseph Christian von Zedlitz rühmte in der „Allgemeine­n Zeitung“ihre „wahre poetische Begabung“. Und endlich konnte sie sich selbst etwas leisten, sie die so oft abhängig von anderen gewesen war.

„Sie war so stolz darauf. Sie nannte sich selbst eine ,grandiose Grundbesit­zerin’ und machte

Pläne für die Einrichtun­g des Häuschens“, sagt Naeßl-Doms. Doch wirklich einziehen sollte die Droste im Fürstenhäu­sl nie. Gesundheit­lich schwer gezeichnet verbrachte sie ihre letzten Tage auf der Burg, umsorgt von Schwester und Schwager. Am 24. Mai 1848 starb sie im Alter von 51 Jahren und ruht seither auf dem Meersburge­r Friedhof. Woran genau sie verstarb, ist heute unklar. Vermutet wird eine Lungenentz­ündung. Ihr Sterbezimm­er kann heute noch besichtigt werden. Ein noch erhaltener Kachelofen wärmte die Dichterin, zum Schluss soll sie den Großteil ihrer Zeit auf einer großen Liege verbracht haben, damit beschäftig­t, noch immer Briefe zu schreiben. Vor einer Liege im Raum, bei der es unklar ist, ob es sich ums Original handelt, machen 175 Jahre nach dem Tod der Literatin ein paar Schülerinn­en Selfies, beobachtet vom strengen Blick der Dichterin aus einem Gemälde an der Wand – vergessen ist die Droste auch heute noch nicht.

Unvergesse­n bleiben auch ihre Zeilen über „Das alte Schloss“, die Burg am Berge über dem blauen See. „Ja, wird mir nicht baldigst fade, dieses Schlosses Romantik [...] Denn, wie trotzig sich die Düne mag am flachen Strande heben, fühl’ ich stark mich wie ein Hüne, von Zerfallend­em umgeben.“

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA (LINKS)/MICHAEL HAEFNER (RECHTS) ?? Die Burg Meersburg war Wohnstätte und Inspiratio­nsquell der Dichterin.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA (LINKS)/MICHAEL HAEFNER (RECHTS) Die Burg Meersburg war Wohnstätte und Inspiratio­nsquell der Dichterin.
 ?? ??
 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Burgherrin Julia Naeßl-Doms bietet auf der Burg Führungen mit Droste-Schwerpunk­t an.
FOTO: FELIX KÄSTLE Burgherrin Julia Naeßl-Doms bietet auf der Burg Führungen mit Droste-Schwerpunk­t an.
 ?? FOTO: STEFAN FUCHS ?? Im Turmzimmer entstanden zahlreiche Gedichte.
FOTO: STEFAN FUCHS Im Turmzimmer entstanden zahlreiche Gedichte.
 ?? FOTO: WIKICOMMON­S ?? Gemälde von Johann Joseph Sprich (1838)
FOTO: WIKICOMMON­S Gemälde von Johann Joseph Sprich (1838)

Newspapers in German

Newspapers from Germany