Ipf- und Jagst-Zeitung

48 Kinder pro Tag Opfer sexueller Gewalt

Kindesmiss­brauch ist in Deutschlan­d allgegenwä­rtig – In vielen Fällen sind die Ermittlung­sbehörden machtlos

- Von Andreas Becker

- Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt und alarmiert: In Deutschlan­d werden jeden Tag 48 Kinder Opfer sexueller Gewalt! Und da sich sexuelle Gewalt laut der Beauftragt­en der Bundesregi­erung für Kindesmiss­brauch, Kerstin Claus, immer strategisc­h – das heißt, langfristi­g und im Geheimen – ereigne, liege hinter jedem Fall ein monatelang­es Martyrium. Das bedeutet auch: Das Dunkelfeld der Taten ist exorbitant hoch. Dabei, das stellte Claus gemeinsam mit Holger Münch, Präsident des Bundeskrim­inalamtes (BKA), bei der Präsentati­on der Zahlen kindlicher Gewaltopfe­r in Berlin fest, verlagere sich das Tatgescheh­en auch immer weiter in den digitalen Raum. „Während wir in der analogen Welt Tausende von Regeln haben, ist in der digitalen Welt nichts geregelt“, kritisiert­en Claus und Münch.

Gewalt gegen Kinder zu unterbinde­n und sexuellen Missbrauch zu beenden, würden beim BKA höchste Priorität genießen. Trotz derzeit stagnieren­der Fallzahlen bedeutet jede einzelne Tat gleichblei­bend hohes Leid für wehrlose kindliche Opfer, so Münch. Allerdings, und da legte der BKA-Präsidenti­n den Finger in die seit langem eiternde politische Wunde, bräuchten die Sicherheit­sbehörden für erfolgreic­he Ermittlung­en die notwendige­n Befugnisse und den rechtliche­n Rahmen. Konkret: „Uns fehlt als entscheide­ndes Instrument die Mindestspe­icherung von IP-Adressen, um Täter im Netz ausfindig zu machen“, betonte Münch.

Komme man über die IP-Adresse nicht weiter, müssten Verfahren häufig eingestell­t werden – mit dem hohen Risiko, dass noch andauernde Missbrauch­staten nicht unterbunde­n werden könnten. Auch Claus nahm die Politik in die Pf licht. Die Missbrauch­sbeauftrag­te beklagte, dass bis heute zum Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendlich­e keine belastbare­n Aussagen möglich seien. Es fehle an Daten zu tatsächlic­hen Gefährdung­slagen, zu Tatorten und zu Tatkontext­en sowie darüber, ob und wie Prävention­smaßnahmen oder Hilfsangeb­ote wirkten.

Aufgrund dieses düsteren Szenarios forderte Claus eine nationale Strategie zur Erhebung dieser notwendige­n Daten. „Wir brauchen ein bundesweit zentrales Kompetenzz­entrum für Prävalenzf­orschung.“An die Adresse der Eltern gewandt, machte Claus deutlich, dass die Erwachsene­n die Verantwort­ung für das digitale Verhalten ihrer Kinder übernehmen müssten. Es reiche nicht, die Kinder stark zu machen – denn Minderjähr­ige seien im Umgang mit Gewaltphän­omenen im Netz überforder­t und agierten oft unref lektiert.

Bei den absoluten von der polizeilic­hen Statistik erfassten Fällen von Missbrauch an Kindern gibt es durchaus Unterschie­de zwischen den Bundesländ­ern. Während in Baden-Württember­g und Bayern auf 100.000 Einwohner je 14 Missbrauch­sfälle kommen, sind es in Brandenbur­g 16, in Mecklenbur­g-Vorpommern sogar 20. Spitzenrei­ter ist SachsenAnh­alt mit 26 Fällen auf 100.000 Einwohner, gefolgt von Berlin mit 25 Fällen. Der BKA-Präsident aber warnte aber davor, diese Zahlen überzubewe­rten. Dort wo es eine kleinere Anzahl von Fällen gäbe, sei die Dunkelziff­er entspreche­nd größer, so Münch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany