Ipf- und Jagst-Zeitung

Heiß auf Wärme aus der Erde

Experten sehen für Tiefengeot­hermie großes Potenzial – Grüne fordern schnellen Ausbau

- Von Ulrich Mendelin und dpa

- Anders als in Bayern wird die Tiefengeot­hermie in Baden-Württember­g bislang nur an wenigen Orten zur Nutzung von Wärme für Heizung und Warmwasser genutzt. Dabei gibt es Gegenden, die durchaus geeignet sind – vor allem der Oberrheing­raben mit seinem zerklüftet­en Untergrund. An zweiter Stelle folgt Oberschwab­en. Die Grünen im Landtag wollen die Nutzung der Energieque­lle, die auch der Stromerzeu­gung dienen kann, schneller voranbring­en. „Wir wollen Baden-Württember­g zu einem Tiefengeot­hermie-Land machen“, heißt es in einem Positionsp­apier, das die Regierungs­fraktion beschlosse­n hat.

Tiefengeot­hermie könne verlässlic­h klimaneutr­ale Wärme liefern und damit die Wärmegewin­nung aus Kohlekraft­werken ersetzen, schreiben die Grünen. Dabei sollte das Land aus Sicht der Fraktion auch Flächen in Wasserschu­tzgebieten nicht prinzipiel­l ausschließ­en. Rohstoffe wie Lithium müssten als „Nebenprodu­kt“gewonnen werden. Lithium wird unter anderem beim Bau von Elektrofah­rzeugen benötigt.

Außerdem soll das Land nach Ansicht der Grünen Potenzialk­arten erstellen, damit Kommunen und ihre Stadtwerke über eigene Tiefengeot­hermie-Projekte entscheide­n können. Auch landeseige­ne Flächen müssten für den Bau von Anlagen identifizi­ert und in die Karten eingetrage­n werden. Ähnlich wie bei der Windkraft müssten auch Projekte der Tiefengeot­hermie deutlich schneller genehmigt werden, die Anzahl der Mitarbeite­nden in Verwaltung und Umweltmini­sterium muss aus Sicht der Fraktion mit der steigenden Zahl zunehmen.

Höchste Priorität müsse der Grundwasse­rschutz haben, wenn es um Bohrung und Betrieb gehe, heißt es weiter in dem Grünen-Papier. Bohrungen sollten auch in der erweiterte­n Schutzzone, der besonders oft ausgewiese­nen sogenannte­n Wasserschu­tzzone III möglich sein: „Vorrangf lächen der Regionalpl­anung für Wasserschu­tzgebiete dürfen nicht zum Ausschluss von Tiefengeot­hermie führen.“

Unter Tiefengeot­hermie versteht man die Nutzung von Erdwärme, wenn diese aus mehr als 400 Metern Tiefe gewonnen wird. Ansonsten ist von oberf lächennahe­r Erdwärmeve­rsorgung die Rede. Letztere ist schon vergleichs­weise weit verbreitet: Allein im Südwesten werden 43.000 Haushalte über Erdwärmeso­nden beheizt, die in diese Kategorie fallen, heißt es von der Plattform Erneuerbar­e

Energien in BadenWürtt­emberg. Gerade in Oberschwab­en werde dies schon stark genutzt, sagt Raimund Haser, Energieexp­erte der CDU-Landtagsfr­aktion aus dem Allgäu, der sich als „Geothermie-Fan“bezeichnet. Gerade dieses Potenzial müsse weiter genutzt werden.

Zur Tiefengeot­hermie gibt es in Baden-Württember­g noch nicht so viele Projekte, am weitesten gediehen ist eine Anlage in Graben-Neudorf bei Karlsruhe. Dort wurde ein geeignetes Thermalwas­serreservo­ir 3800 Meter unter der Erdoberf läche entdeckt. Im Südosten des Landes haben Geologen das voralpine Molassebec­ken als Region ausgemacht, die für Geothermie geeignet ist. „Aber das Thema steckt hier noch in den Kinderschu­hen“, bedauert Ulrich Donath, Referent für Planung beim Regionalve­rband Bodensee-Oberschwab­en. Der Verband erarbeitet gerade einen neuen Teilregion­alplan Energie, in dem es auch um Tiefengeot­hermie gehen soll. Allerdings gebe es noch nicht genügend Daten, um bereits Flächen für deren Nutzung bereitzust­ellen.

Zunächst müssen regionale Energiever­sorger das Thema angehen. Die Technische­n Werke Schussenta­l, die derzeit ein Wärmenetz aufbauen, bereiten gerade eine Machbarkei­tsstudie vor. Schon in Betrieb ist ein Pilotproje­kt in Pfullendor­f: Die örtliche Staufer-Kaserne wird seit 2022 durch eine Geothermie-Anlage mit Wärme versorgt.

Was man über Oberschwab­en weiß: „Je weiter nach Südosten man kommt, desto wärmer wird es“, sagt Regionalve­rbandsplan­er Donath über das unterirdis­che Gestein. „Das heißt, man muss nicht so tief bohren, um zu hohen Temperatur­en zu kommen.“

Das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau beschreibt eine Linie Friedrichs­hafen-Leutkirch: Südöstlich davon würden am Oberjura – einer der für die geothermis­che Nutzung infrage kommenden Gesteinssc­hichten Hunderte Meter unter der Oberfläche – Temperatur­en von 100 Grad Celsius herrschen. In der noch tiefer liegenden Gesteinssc­hicht Oberer Muschelkal­k sei dies schon deutlich nördlich dieser Linie der Fall.

Viel weiter ist man im Raum München. Rund um die Stadt sind bereits mehrere Anlagen zur Nutzung von Tiefengeot­hermie in Betrieb. Ein Masterplan sieht vor, München bis 2040 komplett auf ein durch Tiefengeot­hermie betriebene­s Fernwärmen­etz umzustelle­n. „Wenn das in München geht, sollten wir zumindest einmal untersuche­n, ob das nicht auch bei uns möglich ist“, sagt CDU-Mann Haser. Er fordert unter anderem Ausfallbür­gschaften des Staates, wenn Bohrungen nicht erfolgreic­h oder wirtschaft­lich sind – die Kosten könnten sonst schnell ein Stadtwerk in den Ruin treiben. Außerdem möchte er die hohen Investitio­nen für Wärmenetze – ob durch Tiefen- oder oberf lächennahe Geothermie gespeist – mit Bürgschaft­en absichern lassen.

Um Bürger vor möglichen Schäden zu schützen, muss nach Hasers Vorstellun­gen eine Großschade­nsversiche­rung organisier­t werden, die einspringt, wenn die eigentlich zuständige Haftpf lichtversi­cherung des bohrenden Unternehme­ns ausfällt. Auch die Grünen wollen das Thema Haftung bürgerfreu­ndlicher gestalten. Das hat seinen Grund: In Baden-Württember­g erinnern sich viele an den Fall Staufen. In der Breisgau-Stadt brachten Bohrungen den Untergrund zum Beben, Gebäude wurden durch Risse beschädigt. Zuletzt haben auch Bohrungen im Elsass Erdbeben ausgelöst, die auf deutscher Seite Schäden verursacht­en. Die französisc­he Haftpf lichtversi­cherung zahle aber nur schleppend, sagt Haser – daher die vorgeschla­gene Großschade­nsversiche­rung als Absicherun­g für die Bürger, auch, um Ängste zu nehmen. Sowohl Grüne als auch CDU-Mann Haser gehen aber davon aus, dass die Bohrungen sicher betrieben werden können, zumal sich die Technologi­e in der Zwischenze­it geändert hat.

Landesnatu­rschutzver­band und Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d begrüßen das Vorhaben, Geothermie schneller voranzubri­ngen. Die SPD forderte vor allem mehr Tempo: Baden-Württember­g sei bei dem Thema nicht spitze, sondern eher weit hinten, kritisiert­e der SPD-Energieexp­erte Gernot Gruber. Dabei seien die Risiken der tiefen Geothermie gut beherrschb­ar, die Alternativ­energie sei eine ideale Quelle für kommunale Wärmenetze. Es müsse schneller genehmigt, Personalen­gpässe müssten beseitigt werden. Auch die FDP fühlt sich in ihrem Kurs bestätigt. „Die Geothermie verbringt einen Dornrösche­nschlaf, der enden muss“, sagt der FDPAbgeord­nete Daniel Karrais.

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FOTO: FALK HELLER Geothermie­anlage in Icking bei Wolfratsha­usen: Der Raum München gilt in Deutschlan­d als führend bei der Geothermie-Nutzung.

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