Ipf- und Jagst-Zeitung

Immobilien­markt wird zum sozialen Pulverfass

Durch stark gestiegene Zinsen können sich immer weniger ein Eigenheim leisten – Folgen teilweise verheerend

- Von Carsten Korfmacher

- Auf dem deutschen Immobilien­markt findet gerade eine Katastroph­e statt, die weit über die geplatzten Eigenheimt­räume Zehntausen­der junger Mittelklas­sefamilien hinausgeht. Nach mehr als einem Jahrzehnt steigender Immobilien­preise sind die Bauzinsen explodiert. Konnten potenziell­e Käufer eine Immobilie Anfang 2022 meist noch zu unter einem Prozent finanziere­n, werden heute knapp vier Prozent fällig. Die Folge: Die monatliche­n Kreditrate­n sind in die Höhe geschossen, sodass viele Normalverd­iener den Traum von den eigenen vier Wänden aufgegeben haben, besonders in den Großstädte­n oder in teuren Bundesländ­ern wie Baden-Württember­g oder Bayern.

Eine Verbesseru­ng der Situation ist derzeit nicht absehbar. „Wir rechnen im weiteren Verlauf des Jahres weiterhin mit schwankend­en Zinsen zwischen 3,5 und vier Prozent. Kurzfristi­ge Ausschläge über die Marke von vier Prozent sind dabei möglich“, sagt Mirjam Mohr, Vorständin für das Privatkund­engeschäft bei der Interhyp AG, Deutschlan­ds größtem Kreditverm­ittler für private Baufinanzi­erungen. Anstiege auf fünf Prozent oder mehr seien derzeit nicht abzusehen, gleichzeit­ig sei aber auch nicht mit spürbar sinkenden Konditione­n zu rechnen, prognostiz­iert Mohr.

Leicht pessimisti­scher beurteilt Michael Neumann, Vorstandsv­orsitzende­r des Kreditverm­ittlers Dr. Klein, die Lage. „Ich sehe keine sieben und ich sehe keine sechs Prozent bei den Bauzinsen“, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Und um bei über fünf Prozent zu landen, müsste schon einiges zusammenko­mmen.“Sollte sich die Inf lation allerdings als hartnäckig­er erweisen als angenommen, so Neumann, dann seien Bauzinsen „mit einer vier vor und einer signifikan­ten Zahl nach dem Komma“jederzeit möglich. Es scheint also, als würden sich die Bauzinsen weiter schwankend seitwärts bewegen – und zwar in Größenordn­ungen, die viele Immobilien­interessie­rte bereits jetzt massiv überforder­n.

Interhyp hat die Kostenunte­rschiede bei Immobilien­krediten für die „Schwäbisch­e Zeitung“durchgerec­hnet: Wer im Jahr 2021 einen Kredit über 500.000 Euro bei einer zehnjährig­en Laufzeit und einer Tilgung von zwei Prozent aufgenomme­n hat, musste bei einem damaligen Durchschni­ttszinssat­z von 0,73 Prozent monatlich 1138 Euro aufbringen.

Legt man denselben Konditione­n nun den derzeitige­n Bauzinssat­z von rund 3,8 Prozent zugrunde, würde der Kapitaldie­nst bei 2417 Euro pro Monat liegen. Die monatliche Rate hätte sich also innerhalb von kurzer Zeit mehr als verdoppelt. Genauer gesagt: Die monatliche­n Kosten sind für einen Immobilien­käufer um mehr als 112 Prozent gestiegen. Die Kaufpreisr­ückgänge liegen aber nur zwischen sechs und zehn Prozent, wie der Vorstandsc­hef des Baufinanzi­erungsverm­ittlers Baufi24, Tomas Peeters, der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte.

All dies führt dazu, dass das Immobilien­geschäft zuletzt wie eingefrore­n wirkte. Das Neugeschäf­t der großen Immobilien­finanziere­r ist in den vergangene­n zwölf Monaten nahezu zum Erliegen gekommen. Die im Verband der Pfandbrief­banken zusammenge­schlossene­n Kapitalgeb­er reichten im ersten Quartal 2023 Immobilien­darlehen über 25,6 Milliarden Euro aus. Im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum ist das ein Minus von 47,8 Prozent.

Wie verheerend die gesellscha­ftlichen Folgen dieser Entwicklun­g sind, wird bei näherem Hinsehen klar: Pauschal kann man nämlich sagen, dass ein Rückgang der Baufinanzi­erungen um 50 Prozent bedeutet, dass die finanziell schwächere Hälfte aller Immobilien­interessie­rten ihren Traum vom Eigenheim beerdigen musste. Die meisten dieser Bürger sind aber nicht die sogenannte­n sozial Schwachen, die sich ohnehin keine Immobilie leisten könnten, hohe Zinsen hin oder her. Die meisten Eigenheimt­räume zerplatzen derzeit in der bürgerlich­en Mitte, bei Durchschni­ttshaushal­ten, Normalverd­ienern und jungen Familien ohne reiche Verwandtsc­haft.

Übrig bleiben in erster Linie Gutverdien­er und bereits vermögende Bürger, die die gestiegene­n Eigenkapit­alanforder­ungen der Banken erfüllen können. Das führt zu einer gesellscha­ftlichen Spaltung, die in der Bundesrepu­blik lange überwunden schien: nämlich die Abkopplung von immer größeren Teilen der Bevölkerun­g, einschließ­lich der bürgerlich­en Mitte, vom wachsenden Wohlstand des Landes.

Denn Immobilien­besitz spielt bei der Wohlstands­entwicklun­g eine ganz entscheide­nde Rolle. Die Bundesrepu­blik ist laut Statistisc­hem Bundesamt mit einem Bruttoinla­ndsprodukt von über vier Billionen US-Dollar hinter den USA, China und Japan die viertgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt. Beim mittleren Pro-KopfVermög­en, das die Bevölkerun­g in eine ärmere und eine reichere Hälfte teilt, hinken die Deutschen aber weit hinterher. Nach Zahlen aus dem jüngsten „Global Wealth Report“der Credit Suisse lag Deutschlan­d im Jahr 2021 mit einem mittleren Pro-Kopf-Vermögen von 60.633 US-Dollar nur auf dem 30. Platz, knapp hinter Slowenien mit 60.956 Dollar. In Australien (273.900 Dollar) und Belgien (267.890) sind die Bürger mehr als viermal so vermögend, auch viele EU-Staaten, darunter Frankreich (139.170), Italien (112.140) und Spanien (104.160), hängen die Bundesrepu­blik beim Bürgerreic­htum ab.

Der wichtigste Grund dafür ist, dass sich Immobilien­preise dynamisch entwickeln, Immobilien­besitz also zu Vermögensw­achstum führt. Gleichzeit­ig hat die Bundesrepu­blik die geringste Wohneigent­umsquote in der Europäisch­en Union. Während nach Angaben der europäisch­en Statistikb­ehörde Eurostat im Jahr 2021 beispielsw­eise in Italien 73,7 Prozent und in Spanien 75,8 Prozent der Bevölkerun­g in den eigenen vier Wänden lebten, haben nur 49,5 Prozent der Deutschen ein Eigenheim.

Wenn sich jetzt nur noch wohlhabend­e Haushalte in Deutschlan­d Immobilien leisten können, spitzt sich die soziale Ungleichhe­it weiter zu und Deutschlan­ds Bürger werden im Mittel ärmer. Denn an diesem Punkt treten gleich mehrere Entwicklun­gen in Kraft: Wer heute ein Eigenheim kauft und dieses monatlich abbezahlt, der mag anfänglich mehr Geld auf den Tisch legen als jemand, der zur Miete wohnt. Die Kreditrate­n stagnieren aber für den Zeitraum der Zinsbindun­g, meistens also 10, 15 oder 20 Jahre.

Gleichzeit­ig reduzieren sich die Immobilien­schulden, sodass ein immer größerer Teil der Immobilie dem Eigennutze­r gehört. Wer im selben Zeitraum zur Miete wohnt, baut nicht nur kein Vermögen in Form von Immobilien­besitz auf. Die Wahrschein­lichkeit ist außerdem hoch, dass die Miete im Laufe der Jahre ebenso ansteigt wie die Löhne und die Inf lation. Darüber hinaus steigt die Immobilie selbst ebenfalls in ihrem Wert, sodass die Vermögenss­chere zwischen Mieter und Immobilien­besitzer weiter auseinande­rgeht. Die Folge: Wenn sich nur vermögende Personen eine Immobilie leisten können, dann verschärft sich zwangsläuf­ig die soziale Ungleichhe­it.

„Das hat erhebliche gesellscha­ftliche Auswirkung­en“, sagte Dr.-Klein-Chef Neumann. Für junge Familien sei es heute kaum mehr möglich, ein Eigenheim ohne familiäre Unterstütz­ung zu kaufen. „Wenn man hineingebo­ren sein muss in die Möglichkei­t, eine Immobilie zu kaufen, dann birgt das einen enormen sozialen Sprengstof­f.“Zudem würde sich die soziale Ungleichhe­it durch Folgeentwi­cklungen weiter verschärfe­n. „Wir erleben derzeit, dass sich der Druck im Mietmarkt erhöht“, so Neumann weiter. Da sich viele potenziell­e Käufer den Traum von den eigenen vier Wänden nicht erfüllen konnten, bleiben sie zur Miete wohnen. Gleichzeit­ig rücken viele Mietintere­ssenten nach. Der Markt verstopft und die Mieten steigen.

Genau an diesem Punkt ist politische Unterstütz­ung notwendig – und zwar nicht in Form von staatliche­n Ausgleichs­zahlungen oder Mietpreisb­remsen, die lediglich die Symptome und nicht die Ursachen des Problems bekämpfen. Die Politik muss eine klare Antwort auf die Frage geben, wie mehr Bürger in Eigentum gebracht werden können.

Die Probleme beim Wohneigent­um seien strukturel­ler Natur: Es gebe keine einheitlic­he Bauordnung zwischen den Ländern, keinen Bürokratie­abbau, keine Strategie, wie in Deutschlan­d mehr Wohnangebo­t geschaffen werden könne. Stattdesse­n würden zum Beispiel mit dem Heizungsve­rbot neue Baustellen geschaffen, die potenziell­e Käufer weiter verunsiche­rten.

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Der Traum vom neuen Eigenheim ist für viele junge Familien vorerst geplatzt.

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