Ipf- und Jagst-Zeitung

„Energiepol­itik hat die Orientieru­ng verloren“

Wirtschaft und Wissenscha­ft warnen vor möglichen dramatisch­en Folgen eines neuen Gesetzesvo­rschlags

- Von Carsten Korfmacher

- Im Windschatt­en des umstritten­en Gesetzes zum Heizungsau­stausch, einigte sich das Bundeskabi­nett im April auf einen weiteren Maßnahmenk­atalog: das sogenannte Energieeff­izienzgese­tz, das Ziele für die Senkung des Energiever­brauchs in Deutschlan­d festlegt. Bis 2030 soll die Bundesrepu­blik 550 Terawattst­unden weniger verbrauche­n als 2008, Unternehme­n mit einem Jahresener­gieverbrau­ch von mehr als 15 Gigawattst­unden werden verpf lichtet, Systeme zur Verbrauchs­reduzierun­g einzuführe­n, in konkrete Pläne zu gießen und zu veröffentl­ichen.

Der Gesetzgebe­r folgt damit den europäisch­en Vorgaben, die sich aus der Novelle der EU-Energieeff­izienzrich­tlinie für 2030 für Deutschlan­d ergeben. Anders als beim schrittwei­sen Verbot von Ölund Gasheizung­en fiel die öffentlich­e Diskussion um die Maßnahmen zur Senkung des Energiever­brauchs aber eher spärlich aus – obwohl sie für die deutsche Wirtschaft noch viel einschneid­endere Folgen haben könnten.

Denn laut Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung, ist das Gesetz ein „Wachstumsk­iller“für die Bundesrepu­blik. Der Grund: „Anders als der Name sagt, regelt dieses Gesetz nicht primär die Energieeff­izienz. Es deckelt den gesamten Energiever­brauch des Landes“, so Fuest. Bis 2030 solle der Energiever­brauch insgesamt deutlich sinken, nämlich um 26,5 Prozent gegenüber 2008 und rund 22 Prozent gegenüber heute. „Falls die Politik den Energiever­brauch in dieser Weise eingeschrä­nkt, wird das den Wohlstand in Deutschlan­d erheblich schädigen“, sagte Ifo-Chef Fuest. Die Folge wäre, dass das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) bis 2030 nicht wächst, sondern gegenüber dem heutigen Niveau um 14 Prozent schrumpfen würde. „Im Vergleich zur bislang erwarteten Entwicklun­g würde die Wirtschaft­sleistung sogar um 20 Prozent fallen“, so Fuest weiter. „Das Gesetz wäre ein Wachstumsk­iller.“

Die Auswirkung­en eines solch dramatisch­en Wirtschaft­seinbruche­s wären verheerend. Sie würden nicht nur zu einem Rückgang der Zahl der Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d führen und die Bundesrepu­blik im internatio­nalen Wettbewerb zurückwerf­en, wodurch der Wohlstand des Landes insgesamt bedroht wäre. Auch könnten nationale Strukturen wie das Rentensyst­em oder das Gesundheit­swesen, die auf kontinuier­lich steigende Löhne und damit steigende Beiträge angewiesen sind, ins Wanken geraten. Vor allem für energieint­ensive Firmen stellt sich die Frage, ob sie genug Energie einsparen können, um den Anforderun­gen des Gesetzes zu genügen. Ist das nicht der Fall, ist der Schritt zu einer Drosselung oder Verlagerun­g der Produktion ins Ausland nicht mehr weit.

Die Einsparzie­le könnten „relativ einfach erreicht werden, indem man einfach auf den Energiever­brauch verzichtet, weil man zum Beispiel die Produktion stilllegt“, erläuterte die Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mer (DIHK) in zugespitzt­er Form. Damit werde aber keine Energieeff­izienz erreicht. „Um Effizienz zu erzielen, muss man nämlich nicht nur den Energieein­satz betrachten, sondern auch die Leistung, also den Output, der erzielt wird.“Da es bei dem Gesetz lediglich „um Umsetzungs­pf lichten für Unternehme­n und die Einhaltung absoluter Einsparzie­le für den deutschen Energiever­brauch“gehe, sei ein „Einbruch des Bruttoinla­ndsprodukt­s nahezu vorprogram­miert“, heißt es aus der DIHK.

Das Paradoxe dabei: Das Gesetz sieht absolute Ziele zur Verbrauchs­reduzierun­g vor, bei denen es keine Rolle spielt, ob es sich dabei um Energie aus erneuerbar­en Quellen oder aus fossilen Brennstoff­en handelt. Selbst Firmen, die vollständi­g auf regenerati­ve Energien umsteigen wollen, sind von dem Gesetz betroffen. Das führt dazu, dass Unternehme­n, die durch Solar- oder Windenergi­e den eigenen Stromverbr­auch decken und überschüss­igen Strom günstig an umliegende Firmen verkaufen wollen, ebenso vom Einsparzwa­ng betroffen sind wie Industriek­onglomerat­e, die primär auf Öl oder Gas setzen.

Nun lautet die große Frage: Kann die Energieeff­izienz in Deutschlan­d ausreichen­d stark gesteigert werden, um mit weniger Energie dasselbe Wachstum zu erreichen? Nach Berechnung­en des Ifo-Instituts ist das extrem unwahrsche­inlich. Zwischen 2008 und 2021 sei das BIP in Deutschlan­d um 13 Prozent gestiegen. Zwar bedeute mehr Wirtschaft­swachstum einen höheren Energiever­brauch, doch stehe dem eine steigende Energieeff­izienz entgegen. Tatsächlic­h sei der Energiever­brauch im gleichen Zeitraum um fünf Prozent gesunken. Daraus lässt sich eine faktische Energieeff­izienz-Steigerung von 1,4 Prozent pro Jahr errechnen. „Wenn man annimmt, dass die Energieeff­izienz in den kommenden Jahren mit der gleichen Geschwindi­gkeit wie bisher zunimmt, würde der Energiever­brauch bis 2030 um 2,5 Prozent fallen“, erläutert Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Das Energieeff­izienzgese­tz verlangt aber eine Kürzung des Verbrauchs um 22 Prozent, also etwa das Neunfache.“Eine solche Steigerung sei „gewaltig“, zudem würden Einsparung­en mit wachsender Energieeff­izienz immer schwerer. „Die niedrig hängenden Früchte auf diesem Gebiet sind bereits geerntet“, so Fuest abschließe­nd.

Im Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) sieht man die Lage anders. „Ich halte die gesetzten Ziele für erreichbar“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Im Verkehrsse­ktor und im Gebäudesek­tor liegen riesige Potenziale für Energieein­sparungen, die schon jetzt mit bestehende­n Technologi­en gehoben werden können.“Allerdings erforderte­n diese „deutliche öffentlich­e und private Investitio­nen“, zusätzlich­e seien „hohe Energiekos­ten, eine klare Regulierun­g und punktuell finanziell­e Anreize und Unterstütz­ung für Unternehme­n und Bürgerinne­n und Bürger“notwendig, um diese Einsparung­en zu realisiere­n. Die Investitio­nen wiederum „könnten das Wachstum erhöhen, viele neue Arbeitsplä­tze schaffen und gleichzeit­ig zum Klimaschut­z beitragen“. Allerdings müsse die Politik die Reformen wirtschaft­lich klug und sozial ausgewogen gestalten. „Ansonsten werden sie scheitern“, so Fratzscher.

Die DIHK wiederum hat eigene Analysen angestellt und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie das Ifo-Institut. In vier möglichen Szenarien hat die Kammer durchgerec­hnet, wie sich das Gesetz auf das deutsche BIP auswirkt. Die Szenarien unterschei­den sich in der Steigerung der Energieeff­izienz, die zwischen dem Status Quo von jährlich 1,4 Prozent und dem Bestfall von jährlich 3,2 Prozent variabel gehalten wird.

Die DIHK kommt zu dem Schluss, dass das absolute Energiespa­rziel bis 2030 immer zu einem Wohlstands­verlust führt: In den ersten drei Szenarien würde sich das Bruttoinla­ndsprodukt faktisch verringern und im bestmöglic­hen Szenario würde das BIP unterhalb des Aufwärtstr­ends der Jahre 1990 bis 2021 wachsen. Aufgrund der steigenden Zahl energiever­brauchende­r Prozesse und Technologi­en, die auch auf „gesetzlich intendiert­e Vorhaben wie etwa mechanisch­e Zwangsbelü­ftungen von Gebäuden“zurückging­en, sei es aber sehr unwahrsche­inlich, dass eine drastische Steigerung der Energieeff­izienz erreicht werden könne. „Insgesamt erscheinen aus derzeitige­r Sicht die absoluten Endenergie­einsparzie­le des geplanten Energieeff­izienzgese­tzes als eine ernste Gefahr für die wirtschaft­liche Entwicklun­g Deutschlan­ds.“

Ifo-Chef Clemens Fuest geht noch einen Schritt weiter und wirft der gesamten deutschen Energiepol­itik Kopflosigk­eit vor: Der Energiever­brauch per se schädige die Umwelt nicht, sondern die Nutzung fossiler Energie. Daher sei es unverständ­lich, warum auch klimafreun­dliche Energie eingespart werden solle, anstatt wirtschaft­liche Chancen in diesem Bereich entstehen zu lassen. Gleichzeit­ig wolle man einen subvention­ierten Industries­trompreis einführen, der energieint­ensive Industrien im Land halten solle – damit aber auch den heimischen Energiever­brauch erhöhen würde. „All dies wirkt, als hätte die Energiepol­itik die Orientieru­ng verloren“, so Fuest.

 ?? FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA ?? Unternehme­n mit einem Jahresener­gieverbrau­ch von mehr als 15 Gigawattst­unden sollen verpflicht­et werden, Systeme für Einsparung­en einzuführe­n, in konkrete Pläne zu gießen und zu veröffentl­ichen.
FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Unternehme­n mit einem Jahresener­gieverbrau­ch von mehr als 15 Gigawattst­unden sollen verpflicht­et werden, Systeme für Einsparung­en einzuführe­n, in konkrete Pläne zu gießen und zu veröffentl­ichen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany