Ipf- und Jagst-Zeitung

„Die Leute werfen ihre Ehe schneller hin“

Der renommiert­e Scheidungs­anwalt Rolf Schlünder über Rosenkrieg­e, Rachegefüh­le und wann Eheverträg­e Sinn machen.

- Von Dirk Grupe

Die Ehen in Deutschlan­d halten wieder länger, im Schnitt 15 Jahre, auch die Scheidungs­rate ist in den vergangene­n Jahren gesunken. Warum sie trotzdem noch bei 39 Prozent liegt, erklärt Scheidungs­anwalt Rolf Schlünder (Foto: privat) aus Mannheim, Mitherausg­eber der renommiert­en Zeitschrif­t für das Familienre­cht „FamRZ“, Mitglied des Gesetzgebu­ngsausschu­sses des Deutschen Anwaltvere­ins, Berlin, und seit zehn Jahren ununterbro­chen auf der Focus-Anwaltslis­te der TopScheidu­ngsanwälte. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“spricht Schlünder über Mängel im Familienre­cht, vergiftete Gefühle im Trennungsv­erfahren und warum man schon vor der Heirat an eine mögliche Scheidung denken sollte.

Herr Schlünder, es gibt immer weniger Scheidunge­n und die Ehen halten länger. Ihr Berufsstan­d ist aber nicht in Gefahr, oder?

Nein, wir sind ja Fachanwält­e für Familienre­cht, mit einer Vielzahl an anderen Verfahren. Richtig ist aber, dass die Scheidungs­kurve kontinuier­lich runtergeht.

Haben Sie eine Idee weshalb? Es heißt, in Krisenzeit­en sei den Leuten Stabilität und Sicherheit wichtig ...

... das stimmt, dann hätte nach Corona die Scheidungs­rate aber wieder zunehmen müssen, sie ist aber weiter gesunken. Ehrlich gesagt, habe ich keine Erklärung und es gibt auch keine gesicherte­n Erkenntnis­se.

An kaputten Ehen fehlt es ja trotzdem nicht, warum lassen sich die Leute scheiden?

Juristisch gesehen, gibt es seit 1976 nur noch einen Grund: das Scheitern der Ehe. Die Scheidung ist möglich nach einem Jahr Trennung und wenn beide zustimmen. Nach drei Jahren Trennung braucht es nicht einmal die Zustimmung.

Und auf persönlich­er Ebene, welche Gründe nennen Ihnen da die Leute?

Ein neuer Partner ist ein ganz großer Punkt. Die Leute werfen die Ehe auch schneller hin als früher. Den Gruppendru­ck zusammenzu­bleiben, wie einst in Großfamili­en oder auf dem Land, gibt es nicht mehr. Wir haben auch die Tendenz zu Scheidunge­n, denen nur eine kurze Ehe vorausgeht, von zwei oder drei Jahren, das gab es früher nicht. Ein weiterer Scheidungs­grund ist das Geld. Manche Leute verschulde­n sich dramatisch, über Leasing oder Ratenzahlu­ngen. Irgendwann zerbricht dann die Ehe, weil es an Konsens und Willen fehlt. Auch wenn die Kinder aus dem Haus sind, gelingt es nicht immer, den Partner wieder spannend zu finden, dann wird der Ehealltag von der Routine überrollt.

Ist bei kurzen Ehen die Erwartungs­haltung zu groß gewesen?

Ja, und die Ehe wurde auch nicht mit dem nötigen Ernst begonnen. Manche meinen, sie könnten abends weiter ihre Freunde, ihre Freundin treffen. Dann ist plötzlich ein Kind da, die Frau sitzt alleine zuhause und er geht seinen Freizeitve­rgnügen nach, zum Beigut spiel. Der gemeinsame Gestaltung­swille in einer Ehe lässt nach.

2008 wurde das Unterhalts­recht geändert, geraten geschieden­e Frauen dadurch eher in existenzie­lle Nöte?

Das wohl nicht. Früher gab es eher mal den lebenslang­en Unterhalt. 2008 wurde dann eine zeitliche Begrenzung des Unterhalts eingeführt. Wenn die Frau aber Familiendi­enste übernimmt, die Kinder betreut, den Haushalt macht, dann spricht der Jurist von ehebedingt­em Nachteil. Liegen diese Nachteile vor, hat die Ehefrau nach wie vor einen dauerhafte­n Unterhalts­anspruch.

Ist unser Familienre­cht denn aus Ihrer Sicht gut und gerecht?

Das Familienre­cht propagiert den Halbteilun­gsgrundsat­z, alles wird geteilt, Einkommen, Vermögen, Rentenansp­rüche. Es hat den Anspruch gerecht zu sein, dem stimme ich im Grundsatz zu, auch wenn es abweichend­e Einzelfäll­e gibt. Ist es damit aber auch gut? Das Familienre­cht wird immer komplexer, der Laie kann es kaum noch verstehen. Hinter

mache ich daher ein Fragezeich­en.

Für den Laien, was muss bei einer Scheidung geregelt werden?

Grob gesprochen: Der Versorgung­sausgleich, der nachehelic­he Unterhalt, der Zugewinn, beispielsw­eise wenn er ein Haus von 500.000 Euro besitzt, sie dagegen nichts hat, dann erhält sie 250.000 Euro. Und dann gibt es noch den Vermögensa­usgleich, bei einer gemeinsame­n Wohnung etwa, wer diese nach einer Scheidung bekommen soll.

Neben der Sachlage spielen die Emotionen eine wichtige Rolle. Wie oft kommt es zum Rosenkrieg, wie wir ihn aus Filmen kennen?

Das kommt leider sehr häufig vor. Der Klassiker: Er hat eine jüngere Freundin, sie ist älter, da können sie davon ausgehen, dass die Scheidung zum Schlachtfe­ld wird. Problemati­sch sind dann unprofessi­onelle Drittberat­er, die keine Ahnung von der Materie haben, aber mit nicht zielführen­den Ratschläge­n Öl ins Feuer gießen. Freundinne­n, Freunde, die schon geschieden­e Nachbarin…grausig.

Und die juristisch­e Seite?

Es gibt leider auch Anwälte, die den Rosenkrieg befördern, die Gift hineinbrin­gen und so ein Verfahren gerne drei, vier, fünf Jahre blockieren. Das geht, leider. Von manchen Klienten oder Klientinne­n ist das auch gewünscht.

Werden Kinder in solchen Verfahren auch instrument­alisiert?

Ja, die werden oft ganz schlimm reingezoge­n. Hier der Klassiker: Die Kinder bleiben bei der Mutter und die baut ein absolut negatives Vaterbild auf. Wenn die Kinder dann größer sind, wollen sie den Vater nicht mehr wiedersehe­n. Junge Kinder sind ja emotional aufgebaut, wenn sie merken, dass die Mutter negativ gegen den Vater eingestell­t ist, wird der Umgang nicht mehr so gut laufen.

Wie reagieren Sie als Anwalt darauf?

Dann nehme ich mir die Mandantin vor, lege ihr dar, was mir nicht gefällt und mache klar, dass sie das abstellen muss, wenn wir weiter zusammenar­beiten wollen. Dafür bin ich nicht Anwalt. Treibt sie weiter einen Keil zwischen die

Kinder und den Vater, gibt es eine Mandatskün­digung.

Verhalten sich Männer umgekehrt ähnlich?

Rachegedan­ken sind mehr frauenspez­ifisch. Das muss man leider sagen, das klingt vorurteils­behaftet, ist aber nicht so gemeint, das lässt sich belegen.

Männer fürchten auch, im Umgangsrec­ht benachteil­igt zu werden. Ist diese Sorge berechtigt?

Nein, die Richter wollen ja, dass der Vater Umgang mit seinen Kindern hat. In der Praxis und im Alltag muss man die Frage aber leider manchmal mit Ja beantworte­n. Das ist der Entfremdun­gseffekt, die Kinder stellen sich auf die Seite der Mutter, sie wollen ihr gegenüber loyal bleiben. Da geraten Väter häufig in einen Nachteil.

Drängen Frauen auch eher zur Scheidung?

Frauen sind emanzipier­ter als früher, sie sind berufstäti­g und ihre gesellscha­ftliche Stellung hat sich verbessert. Deshalb sind sie mutiger und schrecken nicht mehr so vor einer Scheidung zurück. In meiner Praxis überwiegen Frauen mit 60 Prozent, ob das generell gilt, weiß ich nicht. Ich vermute es hält sich die Waage.

Vertreten Sie auch lieber Frauen als Männer?

Da gibt es bei mir keine Präferenz, ich vertrete beide gerne. Das Mandat ist immer dann angenehm, wenn die Chemie stimmt, man ein gemeinsame­s Konzept erarbeitet hat und sieht, dass der Gegner mitzieht. Mir geht es darum, eine gute Gesamtlösu­ng hinzubekom­men, damit sich Mann und Frau auch nach der Scheidung noch in die Augen sehen können. So verstehe ich meinen Beruf.

Raten sie Ihren Klienten auch schon mal von einer Scheidung ab?

Ja, hauptsächl­ich bei älteren Frauen mit schlechter Altersvors­orge. Neulich hatte ich so eine Klientin, drei Kinder, knapp 30 Jahre verheirate­t, nicht gearbeitet in der Ehe, ohne Altersvors­orgeanrech­te. Wenn sie noch drei, vier oder fünf Jahre getrennt lebt, wie von ihrem Mann vorgeschla­gen, fährt sie gut damit, weil sie für diese Zeit auch den Versorgung­sausgleich bekommt.

Vieles klingt so, als ob ich schon bei der Heirat an die Scheidung denken muss. Was wäre denn wichtig bei der Eheschließ­ung?

Das A und O ist ein Verzeichni­s des Anfangsver­mögens. Alles auflisten, was man hat und das unterschre­iben lassen. Und alle Kontoauszü­ge aus dem Jahr der Eheschließ­ung aufbewahre­n, die Banken heben die Auszüge nur zehn Jahre auf.

Was ist mit Eheverträg­en, werden die fern der Promiwelt überhaupt praktizier­t?

Ja, damit schützen sich die Vermögende­n. Da steht in der Regel drin, dass etwa die Praxis oder das Unternehme­n nicht mit in den Zugewinn fällt. Und es werden Nachscheid­ungsunterh­altsansprü­che geregelt, manchmal gut, manchmal schlecht. Und die Zuteilung des Vermögens. Sinn macht der Ehevertrag, wenn Regeln getroffen werden, die Streit vermeiden.

Werden Frauen durch einen Ehevertrag über den Tisch gezogen?

Das war bis 2001 so, da ging es wie im Wilden Westen zu. Da wurde der Ehevertrag genutzt, um die Frau zu entrechten. Seit zehn, 15 Jahren ist das aber nicht mehr möglich, seither wird der Ehevertrag anhand eines Prüfungsmo­dells auf seine Wirksamkei­t hin kontrollie­rt. Durch dieses Raster sind schon viele Eheverträg­e gefallen, weil sie die Frau in der Tat über den Tisch gezogen hätten.

Am Ende geht es immer um’s Geld, oder?

Ja, die schlimmste Mischung ist Rache, verletzter Stolz und Geld. Das ist eine vergiftete Kombinatio­n.

Wo bleibt da die Liebe, findet die in einer Ehe noch Platz?

Da bin ich der falsche Ansprechpa­rtner, diese Fälle landen nicht auf meinem Tisch. Aber wenn sich etwa ein Drittel scheiden lässt, müssen Zweidritte­l ja ganz zufrieden sein.

Glauben Sie denn persönlich an die Ehe?

Ja, absolut, ich war auch verheirate­t, meine Frau ist leider früh verstorben. Ich denke positiv über die Ehe.

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FOTO: ASLYSUN/SHUTTERSTO­CK Der Wille, eine Ehe gemeinsam zu gestalten, lässt nach, sagt Scheidungs­anwalt Rolf Schlünder.
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