Ipf- und Jagst-Zeitung

Wagenknech­t wirbt um AfD-Wähler

Frühere Linke hofft auf Zuspruch für ihre neue Partei – Streit um Verbleib in der Fraktion

- Von Stefan Heinemeyer

(dpa) - Die Politikeri­n Sahra Wagenknech­t zielt mit ihrer geplanten neuen Partei auch auf bisherige Wähler der AfD. „Natürlich gibt es ganz viele Menschen, die wählen die AfD, nicht weil sie rechts sind, sondern weil sie wütend sind, weil sie verzweifel­t sind“, sagte die bisherige Linken-Politikeri­n am Montagaben­d im ZDF-„heute journal“. Auch das sei ein Grund, warum sie und ihre Mitstreite­r mit dem neuen Projekt an den Start gehen. Viele Menschen seien wütend über die Regierungs­politik und wüssten nicht, was sie wählen sollen. „Viele haben daraus den Schluss gezogen, okay, wenn jetzt erst mal nichts anderes da ist, wählen wir AfD. Wir wollen diesen Menschen ein seriöses Angebot geben“, sagte Wagenknech­t.

Wagenknech­t räumte in den ARD-„Tagestheme­n“ein, dass die AfD es geschafft habe, die Adresse der Unzufriede­nheit zu sein. Deren Wähler sollten eine „seriöse Adresse“bekommen, die nicht nur Protest artikulier­e, sondern auch Konzepte und Antworten habe sowie die soziale Gerechtigk­eit auf die Agenda setze. „Das tut die AfD ja tatsächlic­h nicht“, betonte Wagenknech­t.

Die 54-Jährige hatte am Montag mit mehreren Mitstreite­rn das „Bündnis Sahra Wagenknech­t“vorgestell­t. Der Verein soll 2024 in die Gründung einer neuen Partei münden. Wagenknech­t war zuvor mit neun weiteren bisherigen Abgeordnet­en der Linken aus der Partei ausgetrete­n. Die 38-köpfige Linksfrakt­ion im Bundestag steht damit vor ihrer Auflösung, sie könnte nur als Gruppe mit weniger Rechten weitermach­en. Die Forderung der Parteispit­ze, die Mandate zurückzuge­ben und Nachrücker zum Zuge kommen zu lassen, lehnte Wagenknech­t mit dem Hinweis ab, dass sie ihr Mandat über die Linke auch aufgrund ihrer Person errungen habe.

Fraktionsv­ize Susanne Ferschl plädierte unterdesse­n dafür, die zehn Abtrünnige­n zumindest bis Januar in der Fraktion zu belassen. Ferschl riet in der „Augsburger Allgemeine­n“(Dienstag), auf einen entspreche­nden Vorschlag des Wagenknech­t-Vereins einzugehen. Andernfall­s drohten mehr als 100 Mitarbeite­rn der bisherigen von der Abwicklung bedrohten Linke-Fraktion noch vor Weihnachte­n die Kündigung, begründete Ferschl ihren Ratschlag. „Ich glaube, dass es durchaus möglich ist, die paar Wochen noch gemeinsam zu arbeiten“, sagte sie. „Das sind ja nicht unsere Feinde, sondern waren bis vor Kurzem unsere Genossinne­n und

Genossen“, fügte die Arbeitsmar­ktexpertin hinzu.

Ferschl kritisiert­e scharf den absehbaren Verlust von Jobs von Fraktionsm­itarbeiter­n. „An dem Punkt bin ich richtig sauer“, sagte die Arbeitsmar­ktexpertin. Sie stehe nun davor, selbst einen Sozialplan für die Angestellt­en der Linke-Fraktion ausarbeite­n zu müssen. „Das macht mich echt betroffen“, sagte Ferschl.

Fraktionsv­ize Gesine Lötzsch wertete den Parteiaust­ritt der zehn Abgeordnet­en als „schweren Schlag für die Linke“. „Aber die Linke ist schon häufiger totgesagt worden. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, die Linke wieder zu stärken“, sagte Lötzsch dem TV-Sender Phoenix. Lötzsch, die eines von drei Direktmand­aten der Linken neben Gregor Gysi und Sören Pellmann errungen hatte, zeigte sich zuversicht­lich, dass es parlamenta­risch zu Übereinsti­mmungen mit der neuen Gruppierun­g um Wagenknech­t kommt. „Ich gehe davon aus, dass es Punkte geben wird, wo man, was soziale Gerechtigk­eit betrifft, ähnliche Vorstellun­gen hat — und dann muss man auch zusammenar­beiten.“

Wagenknech­t warb ihrerseits für einen geordneten Übergang. „Wir sollten jetzt diese Trennung auch mit Anstand machen und uns da nicht mit Dreck bewerfen“, sagte sie im ZDF. In der ARD machte sie noch einmal die Beweggründ­e für ihr Projekt deutlich. „Es gibt eine unglaublic­he Repräsenta­tionslücke“, sagte sie. „Wir dürfen einfach so wie bisher nicht weitermach­en. Sonst steigt unser Land ab. Sonst wird es in vielleicht zehn Jahren nicht wiederzuer­kennen sein“, warnte sie. Deshalb brauche es in Deutschlan­d einen politische­n Neuanfang.

Im Magazin „Stern“erklärte Wagenknech­t ferner, dass aus ihrer Sicht „in der alten Bundesrepu­blik bestimmte Dinge besser geregelt waren“. „Die Jagd nach Profit war sozial gebändigt. Wer sich anstrengte, konnte zu Wohlstand kommen. Kindern ging es in der Regel besser als ihren Eltern. Kein Kassenpati­ent musste monatelang auf einen Facharztte­rmin warten. Den Wohnungsma­rkt dominierte­n gemeinnütz­ige Anbieter. Es gab weniger Ungleichhe­it, mehr Sicherheit“, bilanziert­e Wagenknech­t. Auch habe es Menschen mit niedrigen Einkommen gegeben, „aber nicht dieses extreme Auseinande­rklaffen zwischen Arm und Reich“.

Zugleich betonte sie: „Natürlich will ich nicht zurück in eine Zeit, in der Homosexuel­le sich verstecken mussten.“Auch die Emanzipati­on der Frau, die Ehe für alle, eine Sensibilis­ierung für Rassismus seien Fortschrit­te.

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FOTO: HS

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