Einfrieren statt Frieden
Moskau gibt sich gesprächsbereit für Lösungen im Ukraine-Krieg – Kreml kramt alte Ideen raus
- Offiziell ist seine Existenz nicht. Aber das russische Exilportal Nowaja Gaseta Ewropa schreibt unter Berufung auf eine unbekannte Quelle über einen neuen Friedensplan des türkischen Staatschefs Recep Erdogans, der auch Russland und der Ukraine vorliege.
Er sehe ein Einfrieren des kriegerischen Konfliktes entlang der derzeitigen Frontlinie vor. Außerdem eine Verpf lichtung der Ukraine, bis 2040 blockfrei zu bleiben. 2040 aber soll es ein gesamtukrainisches Referendum über den außenpolitischen Kurs des Landes geben, außerdem Volksabstimmungen unter internationaler Aufsicht in allen von Russland annektierten Gebieten. Jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder soll verboten werden. Die USA und Russland verpf lichten sich zu einem bedingungslosen Verzicht auf Atomwaffeneinsatz, erneuern außerdem ihren New Start Vertrag über die Begrenzung strategischer Angriffswaffen.
Allerdings hegen die Fachleute schon jetzt Zweifel an den Vorschlägen, die das Portal veröffentlichte. „Referenden halte ich für unmöglich, beide Seiten werden sich nicht einmal darauf einigen, welche Bevölkerungsteile da abstimmen werden“, sagt Boris Meschujew, Moskauer Experte für Internationale Politik. Auch die postulierte Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten klingt vor dem Hintergrund von Wladimir Putins „Kriegsspezialoperation“zur „Denazifizierung“der Ukraine wie eine sehr leere Phase. Aber Verhandlungssignale sind jetzt überall zu hören. Wladimir Putin verkündete am Dienstag bei einem Treffen mit seinem belarussischen Kollegen Alexander Lukaschenko im Kreml wieder einmal, Russland sei immer für friedliche Lösungen.
Die Friedenskonferenz in Luzern, zu der die Schweiz im Juni über hundert Staaten vor allem des globalen Südens einlädt, verspottete er zwar als Panoptikum. Aber er wolle niemandem Probleme machen. „Im Gegenteil, wir sind bereit, konstruktiv zu arbeiten.“
Und Lukaschenko sekundierte, man müsse das Waffenstillstandsprojekt, das beide Seiten im März 2022 in Istanbul verhandelten, wieder auf den Tisch legen. „Ja, und damit weiterarbeiten“, sagte Putin. Schon vorher hatte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einem Telefonat mit seinem französischen Kollegen erklärt, Russland
sei zum Dialog über die Ukraine bereit, etwa auf Grundlage der Istanbuler Verhandlungen.
Die CNN meldete gestern unter Berufung auf eine Quelle aus der Umgebung Donald Trumps, dieser würde nach einem Wahlsieg im November umgehend Putin und den ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskyj kontaktieren, um ihre Verhandlungen zu koordinieren. Und am Dienstag hatte der chinesische Außenminister Wang Yi erklärt, sein Land sei für die Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz unter Teilnahme Moskaus und Kiews.
Noch kann davon keine Rede sein, in Luzern wird Selenskyj teilnehmen, Putin natürlich nicht. Und Meschujew schließt nicht aus, dass die Nowaja Gaseta Erdogans Friedensplan in die Welt gesetzt hat, um die Stimmung zu testen. Die Stimmung ist eindeutig, Verhandlungen sind plötzlich globale Mode. „Die Ukrainer glauben, sie könnten in der Schweiz die Weltöffentlichkeit mobilisieren, um Russland unter Druck zu setzen. Aber ihnen droht eine Überraschung“, sagt der kremlnahe Politologe Alexej Muchin. „Die Schweiz und die westlichen Partner der Ukraine wollen sie zu Verhandlungen mit den Russen zwingen.“
Moskauer Beobachter glauben, auch bei dem Telefongespräch zwischen Joe Biden und dem chinesischen Präsident Xi Jinping Anfang April sei es um eine Lösung des Ukraine-Konf likts gegangen. Der ukrainische Sicherheitsexperte Oleksij Melnyk aber sagt, die Politblogger, die behaupteten, der US-Senat blockiere die Militärhilfe für die Ukraine mit stillschweigender Zustimmung des Weißen Hauses, um Kiew Richtung Verhandlungen zu drängen, klängen immer logischer.
„Es wird wirklich Verhandlungen geben“, sagt der Russe Muchin. „Und wahrscheinlich werden sie ohne Einstellung der Kampfhandlungen geführt werden“. Die Atmosphäre der Gespräche dürfte auch so miserabel bis unversöhnlich sein. Die Vorbedingungen beider Seiten sind nach wie vor unvereinbar. Kiew fordert den Abzug der russischen Truppen aus allen besetzten Gebieten, Moskau die Anerkennung seiner militärischen Eroberungen.
Und beide beschimpfen sich als Terroristen und Nazis. „Der Konflikt wird wohl eingefroren wie 1953 der Koreakrieg“, erwartet Meschujew. Wie zwischen Nord- und Südkorea werde es keinen Frieden geben, sondern bestenfalls einen Waffenstillstand, der hält.