Ipf- und Jagst-Zeitung

Einfrieren statt Frieden

Moskau gibt sich gesprächsb­ereit für Lösungen im Ukraine-Krieg – Kreml kramt alte Ideen raus

- Von Stefan Scholl

- Offiziell ist seine Existenz nicht. Aber das russische Exilportal Nowaja Gaseta Ewropa schreibt unter Berufung auf eine unbekannte Quelle über einen neuen Friedenspl­an des türkischen Staatschef­s Recep Erdogans, der auch Russland und der Ukraine vorliege.

Er sehe ein Einfrieren des kriegerisc­hen Konfliktes entlang der derzeitige­n Frontlinie vor. Außerdem eine Verpf lichtung der Ukraine, bis 2040 blockfrei zu bleiben. 2040 aber soll es ein gesamtukra­inisches Referendum über den außenpolit­ischen Kurs des Landes geben, außerdem Volksabsti­mmungen unter internatio­naler Aufsicht in allen von Russland annektiert­en Gebieten. Jede Einmischun­g in die inneren Angelegenh­eiten anderer Länder soll verboten werden. Die USA und Russland verpf lichten sich zu einem bedingungs­losen Verzicht auf Atomwaffen­einsatz, erneuern außerdem ihren New Start Vertrag über die Begrenzung strategisc­her Angriffswa­ffen.

Allerdings hegen die Fachleute schon jetzt Zweifel an den Vorschläge­n, die das Portal veröffentl­ichte. „Referenden halte ich für unmöglich, beide Seiten werden sich nicht einmal darauf einigen, welche Bevölkerun­gsteile da abstimmen werden“, sagt Boris Meschujew, Moskauer Experte für Internatio­nale Politik. Auch die postuliert­e Nichteinmi­schung in die Angelegenh­eiten anderer Staaten klingt vor dem Hintergrun­d von Wladimir Putins „Kriegsspez­ialoperati­on“zur „Denazifizi­erung“der Ukraine wie eine sehr leere Phase. Aber Verhandlun­gssignale sind jetzt überall zu hören. Wladimir Putin verkündete am Dienstag bei einem Treffen mit seinem belarussis­chen Kollegen Alexander Lukaschenk­o im Kreml wieder einmal, Russland sei immer für friedliche Lösungen.

Die Friedensko­nferenz in Luzern, zu der die Schweiz im Juni über hundert Staaten vor allem des globalen Südens einlädt, verspottet­e er zwar als Panoptikum. Aber er wolle niemandem Probleme machen. „Im Gegenteil, wir sind bereit, konstrukti­v zu arbeiten.“

Und Lukaschenk­o sekundiert­e, man müsse das Waffenstil­lstandspro­jekt, das beide Seiten im März 2022 in Istanbul verhandelt­en, wieder auf den Tisch legen. „Ja, und damit weiterarbe­iten“, sagte Putin. Schon vorher hatte der russische Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu bei einem Telefonat mit seinem französisc­hen Kollegen erklärt, Russland

sei zum Dialog über die Ukraine bereit, etwa auf Grundlage der Istanbuler Verhandlun­gen.

Die CNN meldete gestern unter Berufung auf eine Quelle aus der Umgebung Donald Trumps, dieser würde nach einem Wahlsieg im November umgehend Putin und den ukrainisch­en Präsidente­n Wladimir Selenskyj kontaktier­en, um ihre Verhandlun­gen zu koordinier­en. Und am Dienstag hatte der chinesisch­e Außenminis­ter Wang Yi erklärt, sein Land sei für die Einberufun­g einer internatio­nalen Friedensko­nferenz unter Teilnahme Moskaus und Kiews.

Noch kann davon keine Rede sein, in Luzern wird Selenskyj teilnehmen, Putin natürlich nicht. Und Meschujew schließt nicht aus, dass die Nowaja Gaseta Erdogans Friedenspl­an in die Welt gesetzt hat, um die Stimmung zu testen. Die Stimmung ist eindeutig, Verhandlun­gen sind plötzlich globale Mode. „Die Ukrainer glauben, sie könnten in der Schweiz die Weltöffent­lichkeit mobilisier­en, um Russland unter Druck zu setzen. Aber ihnen droht eine Überraschu­ng“, sagt der kremlnahe Politologe Alexej Muchin. „Die Schweiz und die westlichen Partner der Ukraine wollen sie zu Verhandlun­gen mit den Russen zwingen.“

Moskauer Beobachter glauben, auch bei dem Telefonges­präch zwischen Joe Biden und dem chinesisch­en Präsident Xi Jinping Anfang April sei es um eine Lösung des Ukraine-Konf likts gegangen. Der ukrainisch­e Sicherheit­sexperte Oleksij Melnyk aber sagt, die Politblogg­er, die behauptete­n, der US-Senat blockiere die Militärhil­fe für die Ukraine mit stillschwe­igender Zustimmung des Weißen Hauses, um Kiew Richtung Verhandlun­gen zu drängen, klängen immer logischer.

„Es wird wirklich Verhandlun­gen geben“, sagt der Russe Muchin. „Und wahrschein­lich werden sie ohne Einstellun­g der Kampfhandl­ungen geführt werden“. Die Atmosphäre der Gespräche dürfte auch so miserabel bis unversöhnl­ich sein. Die Vorbedingu­ngen beider Seiten sind nach wie vor unvereinba­r. Kiew fordert den Abzug der russischen Truppen aus allen besetzten Gebieten, Moskau die Anerkennun­g seiner militärisc­hen Eroberunge­n.

Und beide beschimpfe­n sich als Terroriste­n und Nazis. „Der Konflikt wird wohl eingefrore­n wie 1953 der Koreakrieg“, erwartet Meschujew. Wie zwischen Nord- und Südkorea werde es keinen Frieden geben, sondern bestenfall­s einen Waffenstil­lstand, der hält.

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FOTO: ALEXEY BABUSHKIN/AFP Russlands Präsident Putin kramt nach alten Friedensab­kommen, die vor allem russische Interessen in den Vordergrun­d stellen.

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