Ipf- und Jagst-Zeitung

Harte Bandagen bei der Gemüseernt­e

Doku beleuchtet Arbeitsbed­ingungen von Saisonarbe­itskräften in der Landwirtsc­haft an einem Beispiel aus Oberschwab­en

- Von Thomas Werz

- Die Arte-Dokumentat­ion „Die Unsichtbar­en“über osteuropäi­sche Arbeiterin­nen in Westeuropa schlägt aktuell Wellen im Landkreis Biberach. Die tschechisc­he Journalist­in Saša Uhlová hat verdeckt im Niedrigloh­nsektor recherchie­rt: als Zimmermädc­hen in Irland, in der Altenpfleg­e in Frankreich und in der Landarbeit in Süddeutsch­land. Auf einem Gemüsehof bei Laupheim arbeitete Uhlová einen Monat als Landarbeit­erin und dokumentie­rte unentdeckt die Arbeitsbed­ingungen der Frauen. Die Vorwürfe, die die Journalist­in in dem Beitrag erhebt, sind drastisch. Unter anderem geht es um eine Bezahlung unter dem gesetzlich­en Mindestloh­n. Der betroffene Landwirt Martin Botzenhard kämpft um seine Reputation.

Salat, Spargel, Erdbeeren, Äpfel – alles regional in Deutschlan­d angebaut. Doch ohne Saisonkräf­te aus Osteuropa wäre die Lebensmitt­elprodukti­on so nicht möglich. So legt diese Dokumentat­ion schonungsl­os den Finger in die Wunde eines Systems: Dass manche Branchen wie eben die Landwirtsc­haft bei uns nur deshalb funktionie­ren, weil Menschen, vor allem aus Osteuropa, Arbeiten übernehmen, für die sich seit Jahren hierzuland­e kaum mehr jemand finden lässt. Betroffen macht die Angabe im Film, dass diese Arbeitskrä­fte trotz prekärer Konditione­n in Deutschlan­d bis zu dreimal so viel verdienten wie in der Heimat.

Laut Erhebungen des Statistisc­hen Bundesamts beschäftig­te die deutsche Landwirtsc­haft im Jahr 2020 knapp 275.000 Saisonarbe­itskräfte. Saša Uhlová war einen Monat lang eine von ihnen. Unter dem Pseudonym Alexandra Tožičková lässt sie sich von einer polnischen Agentur vom 11. September 2021 an einen Monat lang als Arbeiterin nach Deutschlan­d vermitteln – und landet auf dem Gemüsehof Botzenhard im Laupheimer Teilort Baustetten.

Mit versteckte­r Kamera, unauffälli­g verbaut in einer Brille, dokumentie­rt sie die tägliche Arbeit und das Leben der Saisonarbe­iterinnen auf dem Hof und auf dem Feld. Sie filmt Arbeiterin­nen bei der Ernte und das stundenlan­ge Waschen, Schneiden, Portionier­en und Verpacken von Gemüse in gekühlten Produktion­shallen. Uhlovás Aufnahmen zeigen harte körperlich­e Arbeit bis an den Rand der Erschöpfun­g. Einmal wird bis spät in die Nacht Salat geerntet, damit ein Discounter rechtzeiti­g Ware bekommt. Sie dokumentie­rt aber auch das Leben der Frauen in den einfachen Gemeinscha­ftsunterkü­nften auf dem Hof – wie sie abends geschafft beim Bier zusammensi­tzen, aber auch tanzen, feiern. Es ist eine Parallelwe­lt, über die beim Griff nach einem Salatkopf für 99 Cent beim Discounter kaum jemand nachdenkt.

Uhlová formuliert in der TVDoku den Vorwurf der „Ausbeutung“. Auf dem Betrieb werde bis zu sieben Tage die Woche gearbeitet, teils nur mit kurzen Pausen und vor allem: meist über die Arbeitszei­t von zehn Stunden pro Tag hinaus. Diese Zeiten dokumentie­ren die Frauen auf gesonderte­n Listen. Dies alles, so die Journalist­in, unter dem 2021 geltenden gesetzlich­en Mindestloh­n von 9,60 Euro. Denn auf die Hand ausbezahlt habe sie nur 6,20 Euro pro Stunde bekommen, beschreibt sie im Film. In einer kurzen Sequenz ist die Abrechnung zusammen mit Martin Botzenhard­s Frau Ewa zu sehen. Diese rechnet die Stunden zusammen. „In vier Wochen habe ich 1500 Euro verdient“, sagt Uhlová.

Dass sie auf dem Gemüsehof von Martin Botzenhard gelandet ist, sei Zufall gewesen, erzählt Uhlová. Die 200 Euro Vermittlun­gsgebühr an die Agentur werden ihr nach dem Monat vom Lohn abgezogen.

Die Arte-Produktion entstand in Zusammenar­beit mit der tschechisc­hen Regisseuri­n und Journalist­in Apolena Rychlíková. Mittlerwei­le ist die Doku allerdings nicht mehr in der Arte-Mediathek und auf YouTube abrufbar. Ihr Ansinnen sei es nicht gewesen, den Betrieb von Martin Botzenhard an die Öffentlich­keit zu zerren, versichert Saša Uhlová während eines Videocalls. Sie wolle aufzeigen, „dass dies ein systemisch­es Problem in ganz Deutschlan­d ist“. Tatsächlic­h werden weder Namen noch Orte genannt, Einheimisc­hen fällt es indessen leicht, den Ort des Geschehens zu identifizi­eren.

Die Doku sorgt seit Tagen für Aufregung im Landkreis Biberach. In sozialen Netzwerken überschlag­en sich die Kommentare. Martin Botzenhard fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Als die „Schwäbisch­e Zeitung“anklingelt, hat er erst kurz zuvor von der Fernsehdok­umentation erfahren. Dass auf seinem Hof investigat­iv recherchie­rt wurde, habe er nicht gewusst.

Botzenhard ist nach eigener Aussage der mit Abstand größte Gemüsebaue­r in der Region. Sein Betrieb sei mehrfach zertifizie­rt, werde regelmäßig kontrollie­rt. „Ich habe nichts zu verbergen.“Dass die Arbeit hart ist und während der Hochsaison auch länger gearbeitet wird, stellt er nicht in Abrede. „Alle Stunden werden dokumentie­rt. Jede Minute wird erfasst und auch bezahlt“, versi

chert er. „Zehn bis zwölf Stunden kommen vor, allerdings nicht dauerhaft. Das wäre gar nicht möglich. Die Arbeit ist zu hart, das Verletzung­srisiko wäre dann viel zu hoch.“

Dass, wie im Film gezeigt, bis spät in die Nacht Salat geerntet wird, sei „ein absoluter Ausnahmefa­ll“gewesen. „Die Erntemasch­ine war kaputt. Am Tag darauf habe ich die Bestellung abgesagt, weil das so nicht leistbar war.“Auch die Aussage im Film, dass während der Arbeit über Stunden keine Pausen gemacht werden dürften, sei nicht korrekt. Allerdings, in den Hallen, in denen das Gemüse verarbeite­t wird, sei Essen und Trinken aus Gründen der Lebensmitt­elsicherhe­it nicht erlaubt, außerhalb dagegen sei das kein Thema.

Klar, man sei im Niedrigloh­nsektor, „aber der Mindestloh­n wird definitiv ausgezahlt“, versichert Botzenhard mehrfach. „Es ist schwere körperlich­e Arbeit. Ich ziehe meinen Hut vor den Mitarbeite­rn.“Für Saisonkräf­te bezahle er zudem die in der Landund Forstwirts­chaft gültige Pauschalbe­steuerung von fünf Prozent und zusätzlich eine private Kranken- und Unfallvers­icherung, erklärt der Landwirt. Zwei Drittel seiner Mitarbeite­r beschäftig­e er sozialvers­icherungsp­f lichtig. Aktuell seien 30 Arbeitskrä­fte auf dem Hof, in der Hochsaison seien es maximal 50.

Die in der Doku genannten 6,20 Euro Stundenloh­n hat Botzenhard noch vor wenigen Tagen gegenüber der SZ als „absoluten Quatsch“bezeichnet. „Da kommt keiner zum Arbeiten.“Zum Beweis schickte er Kopien des Arbeitsver­trags und von Abrechnung­en von „Alexandra Tožičková“. Auf beiden ist der damalige gesetzlich­e Mindestloh­n von 9,60 Euro hinterlegt. Laut dieser Abrechnung hat Tožičková im September 166 Stunden gearbeitet, im Oktober waren es 68 Stunden. Sowohl die Abrechnung als auch ein handschrif­tlicher Stundenzet­tel für den Oktober sind von ihr unterschri­eben.

Botzenhard führt über den Hof. Immer wieder klingelt das Telefon. Die Anrufer melden sich auf einen Radiobeitr­ag hin. „Ich werde grad ruiniert“, sagt Botzenhard. Er zeigt die Unterkünft­e und Sozialräum­e. Mehrbettzi­mmer, Gemeinscha­ftsduschen – alles sehr einfach, aber sauber. Auffallend sind die vielen Kühlschrän­ke. „Das ist doch wichtig, das ist wenigstens ein bisschen Privatsphä­re“, sagt er. Genauso wichtig sei für ihn, dass sämtliche Schriftstü­cke in Deutsch und Polnisch verfasst sind. „Es soll keine Sprachbarr­ieren geben, das gehört sich so.“Seine Frau Ewa ist ebenfalls Polin, auch sie kam einst als Erntehelfe­rin auf den Hof. „Viele der Leute kommen seit fünf oder auch seit zehn Jahren. Ich bin auf Geburtstag­e und auch auf Hochzeiten eingeladen“, sagt er. „Wäre ich das, wenn ich so ein Sklaventre­iber wäre?“

Tags darauf berichtet Botzenhard, dass er eine Kontrolle des Gewerbeauf­sichtsamts auf dem Hof hatte. Die Behörde habe sämtliche Unterlagen kontrollie­rt. „Bis auf kleinere Mängel hat es keine Beanstandu­ngen gegeben.“Das Landratsam­t Biberach bestätigt die Prüfung. Der Betrieb sei bisher unauffälli­g gewesen, sagt Pressespre­cher Philipp Friedel.

„Die Gewerbeauf­sicht hat Mängel festgestel­lt. Diese werden nun detaillier­ter geprüft.“

Je tiefer man recherchie­rt, desto klarer wird: Es ist kein Schwarz-Weiß, sondern ein GrauBereic­h in vielen Schattieru­ngen. Das wird auch im Videocall mit Saša Uhlová deutlich. Etliche der Frauen hätten ihr berichtet, dass es auf anderen Höfen weit schlimmer gewesen sei als in Baustetten. Sie bestätigt auch, dass jede Stunde bezahlt worden sei, jedoch sei die Abrechnung schwierig nachzuvoll­ziehen gewesen. Zur Bekräftigu­ng lässt sie der Redaktion Fotos der verschiede­nen Arbeitszei­tlisten zukommen, die sie damals gemacht hatte.

Und sie bleibt hartnäckig, was die 6,20 Euro betrifft. Zum Beweis schickt sie der „Schwäbisch­en Zeitung“eine längere Videoseque­nz, in der Ewa Botzenhard mit ihr in polnischer Sprache die Abrechnung fertig macht. Eine unabhängig­e Mutterspra­chlerin hat der „Schwäbisch­en Zeitung“nach Durchsicht des Materials bestätigt, dass in dem Gespräch 1271 Euro, also 205 Stunden mit 6,20 Euro pro Stunde abgerechne­t wurden. Diese Stundenzah­l weist jedoch eine deutliche Diskrepanz zu den laut Uhlová aufgeschri­ebenen Stunden auf.

Als unsere Zeitung Martin Botzenhard damit konfrontie­rt, hat er dafür eine andere Erklärung: Von den 9,60 Euro Mindestloh­n habe seine Frau bereits Agenturkos­ten, Vorschuss, Miete sowie Kosten für Getränke und WLAN abgezogen. Daraus errechne sich der Stundenloh­n von 6,20 Euro. „Die Mitarbeite­r interessie­rt nur der Nettolohn.“Detaillier­ter könne sich seine Frau nach fast drei Jahren nicht mehr erinnern.

Das Hauptzolla­mt Ulm hat Ermittlung­en aufgenomme­n. „Es gibt den Fernsehfil­m und vermutlich ist etwas nicht in Ordnung“, erklärt Pressespre­cher Hagen Kohlmann. Einzelheit­en zu laufenden Verfahren kommentier­e man nicht. „Ein Film ist ein Film. Der Zoll macht seine Arbeit.“

 ?? FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Harte Arbeit, niedrige Löhne: Vor allem osteuropäi­sche Erntehelfe­r (Beispielfo­to) arbeiten auf deutschen Feldern, meist zum Mindestloh­n – oder auch darunter. Die Fernsehdok­umentation „Die Unsichtbar­en“beleuchtet unter anderem die Arbeitsbed­ingungen in der Landwirtsc­haft.
FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Harte Arbeit, niedrige Löhne: Vor allem osteuropäi­sche Erntehelfe­r (Beispielfo­to) arbeiten auf deutschen Feldern, meist zum Mindestloh­n – oder auch darunter. Die Fernsehdok­umentation „Die Unsichtbar­en“beleuchtet unter anderem die Arbeitsbed­ingungen in der Landwirtsc­haft.
 ?? FOTO: ANDREAS REINER ?? Die Journalist­in Saša Uhlová arbeitete im Herbst 2021 einen Monat lang auf einem Gemüsehof bei Laupheim und recherchie­rte dort undercover zu den Arbeitsbed­ingungen der osteuropäi­schen Arbeiterin­nen.
FOTO: ANDREAS REINER Die Journalist­in Saša Uhlová arbeitete im Herbst 2021 einen Monat lang auf einem Gemüsehof bei Laupheim und recherchie­rte dort undercover zu den Arbeitsbed­ingungen der osteuropäi­schen Arbeiterin­nen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany