Schwangerschaftsabbruch straffrei – oder doch nicht?
Abtreibungen sind gesellschaftlich umstritten – Eine von der Ampel-Koalition eingesetzte Kommission macht Reformvorschläge
- Es ist ein Thema mit viel Streitpotenzial: Unter welchen Bedingungen sollen Schwangerschaftsabbrüche möglich sein? Im wiedervereinigten Deutschland – und nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts – einigten sich die politisch Verantwortlichen auf eine Regelung, nach der Abtreibungen an sich verboten sind, aber unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleiben. Eine von der AmpelKoalition eingesetzte Kommission hat am Montag Vorschläge vorgelegt für eine Reform des Abtreibungsrechts. Das Gremium mit 18 Expertinnen und Experten hat sich darüber hinaus mit Eizellspenden und Leihmutterschaft beschäftigt. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Was empfiehlt die Kommission mit Blick auf den Paragrafen 218?
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Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin,
wie sie offiziell heißt, teilt Schwangerschaften in drei Phasen ein – für die sie unterschiedliche Empfehlungen abgibt. In den ersten zwölf Wochen sollten Abtreibungen demnach straffrei möglich sein. „Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar“, heißt es in dem Papier. Die aktuellen Regelungen hielten einer „verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung“nicht stand. Auch in der mittleren Phase der Schwangerschaft könne der Abbruch laut Kommission straffrei gestellt werden. Der Gesetzgeber habe da einen großen Gestaltungsspielraum, sagte Frauke Brosius-Gersdorf von der Universität Potsdam. Abtreibungen in der Spätphase der Schwangerschaft, etwa ab der 22. Woche, sollten weiterhin verboten bleiben. Bei Frauen, die nach einer Vergewaltigung schwanger wurden, empfiehlt die Kommission die Zwölf-Wochen-Frist
zu verlängern, weil diese Frauen oft traumatisiert seien und die Schwangerschaft erst spät bemerkten.
Was ist mit der derzeit verbindlichen Beratung vor Schwangerschaftsabbrüchen?
In diesem Punkt gibt die Kommission keine klare Empfehlung. Die Beratungen würden von den Frauen vorab oft als Last empfunden und anschließend als Gewinn betrachtet, sagte die Juristin Liane Wörner von der Universität Konstanz, Koordinatorin der Arbeitsgruppe für Schwangerschaftsabbruch. Es obliege dem Gesetzgeber, ob Beratungen vor einer Abtreibung auch weiterhin verpflichtend sein sollten – oder nicht. Für Beratungsstellen wäre es einfacher, wenn die Gespräche freiwillig wären, betonte Wörner. Gleichzeitig äußerte sie die Befürchtung, dass die öffentliche Unterstützung für diese Stellen nachließe, wenn es keine Beratungspf licht mehr gebe. Nach der aktuellen Rechtslage bleiben
Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen nur dann straffrei, wenn die Frau einen Beratungsschein vorlegen kann. Zwischen Beratung und Eingriff müssen mindestens drei Tage liegen.
Welche praktische Relevanz haben die Empfehlungen?
Erst einmal keine. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) sicherten am Montag zu, den 600-seitigen Bericht der Kommission gründlich prüfen zu wollen. Das klingt allerdings nicht danach, als würde in dieser Legislatur noch viel passieren. Buschmann warnte zudem vor Debatten, „die die Gesellschaft in Flammen setzen oder gar spalten“. Gesetzt den Fall, die Empfehlungen der Kommission würden doch zu einer neuen rechtlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen führen, hätte dies Auswirkungen auf die gesetzliche Krankenversicherung.
Derzeit werden die Abtreibungskosten von circa 300 bis 700 Euro nur bei bedürftigen Frauen auf Antrag übernommen. Ob dann auch mehr Ärzte bereit wären, Abtreibungen vorzunehmen, ist eine offene Frage. Die Zahl der Praxen und Kliniken, die diesen Eingriff machen, ging in den vergangenen Jahren deutlich zurück. Das Statistische Bundesamt verzeichnete zwischen 2003 und 2020 ein Minus von 46 Prozent. Dabei sei es laut Bundesverfassungsgericht „Staatsaufgabe“, dass auch in der Fläche ausreichend ambulante und stationäre Einrichtungen zur Verfügung stünden, so Brosius-Gersdorf.
Was sagt die Kommission zur Eizellspende und Leihmutterschaft?
Auch in diesen Punkten sprechen sich die Expertinnen und Experten für eine Reform der derzeitigen Rechtslage aus. Es sei an der Zeit, das Verbot der Eizellspende in Deutschland zu prüfen, sagte Claudia Wiesemann von der Universität
Göttingen. Die Gesellschaft habe sich in den vergangenen drei Jahrzehnten verändert, ein „totales Verbot“sei nicht mehr gerechtfertigt. Bei einer Neuregelung müsse aber der Schutz der Spenderin im Vordergrund stehen, ebenso das Kindeswohl. Auch die bislang verbotene Leihmutterschaft hält die Kommission unter bestimmten Bedingungen für rechtlich vertretbar, allerdings legt sie sich dabei nicht wirklich fest. Friederike Wapler von der Universität Mainz nannte als Beispiel die Konstellation, dass zwischen der Leihmutter und den Menschen mit Kinderwunsch eine persönliche Beziehung bestehe oder Leihmutterschaft über gemeinnützige Organisationen vermittelt werde. Auf jeden Fall müsse die Leihmutter vor Ausbeutung geschützt werden, zugleich habe das Kind ein Recht zu erfahren, wer seine genetische Mutter sei. Summa summarum kommt die Kommission zu dem Schluss, dass auch das derzeitige Verbot begründet werden könne.