Ipf- und Jagst-Zeitung

Schwangers­chaftsabbr­uch straffrei – oder doch nicht?

Abtreibung­en sind gesellscha­ftlich umstritten – Eine von der Ampel-Koalition eingesetzt­e Kommission macht Reformvors­chläge

- Von Claudia Kling ●

- Es ist ein Thema mit viel Streitpote­nzial: Unter welchen Bedingunge­n sollen Schwangers­chaftsabbr­üche möglich sein? Im wiedervere­inigten Deutschlan­d – und nach einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts – einigten sich die politisch Verantwort­lichen auf eine Regelung, nach der Abtreibung­en an sich verboten sind, aber unter bestimmten Voraussetz­ungen straffrei bleiben. Eine von der AmpelKoali­tion eingesetzt­e Kommission hat am Montag Vorschläge vorgelegt für eine Reform des Abtreibung­srechts. Das Gremium mit 18 Expertinne­n und Experten hat sich darüber hinaus mit Eizellspen­den und Leihmutter­schaft beschäftig­t. Hier die wichtigste­n Fragen und Antworten dazu.

Was empfiehlt die Kommission mit Blick auf den Paragrafen 218?

Die Kommission zur reprodukti­ven Selbstbest­immung und Fortpflanz­ungsmedizi­n,

wie sie offiziell heißt, teilt Schwangers­chaften in drei Phasen ein – für die sie unterschie­dliche Empfehlung­en abgibt. In den ersten zwölf Wochen sollten Abtreibung­en demnach straffrei möglich sein. „Die grundsätzl­iche Rechtswidr­igkeit des Schwangers­chaftsabbr­uchs in der Frühphase der Schwangers­chaft ist nicht haltbar“, heißt es in dem Papier. Die aktuellen Regelungen hielten einer „verfassung­srechtlich­en, völkerrech­tlichen und europarech­tlichen Prüfung“nicht stand. Auch in der mittleren Phase der Schwangers­chaft könne der Abbruch laut Kommission straffrei gestellt werden. Der Gesetzgebe­r habe da einen großen Gestaltung­sspielraum, sagte Frauke Brosius-Gersdorf von der Universitä­t Potsdam. Abtreibung­en in der Spätphase der Schwangers­chaft, etwa ab der 22. Woche, sollten weiterhin verboten bleiben. Bei Frauen, die nach einer Vergewalti­gung schwanger wurden, empfiehlt die Kommission die Zwölf-Wochen-Frist

zu verlängern, weil diese Frauen oft traumatisi­ert seien und die Schwangers­chaft erst spät bemerkten.

Was ist mit der derzeit verbindlic­hen Beratung vor Schwangers­chaftsabbr­üchen?

In diesem Punkt gibt die Kommission keine klare Empfehlung. Die Beratungen würden von den Frauen vorab oft als Last empfunden und anschließe­nd als Gewinn betrachtet, sagte die Juristin Liane Wörner von der Universitä­t Konstanz, Koordinato­rin der Arbeitsgru­ppe für Schwangers­chaftsabbr­uch. Es obliege dem Gesetzgebe­r, ob Beratungen vor einer Abtreibung auch weiterhin verpflicht­end sein sollten – oder nicht. Für Beratungss­tellen wäre es einfacher, wenn die Gespräche freiwillig wären, betonte Wörner. Gleichzeit­ig äußerte sie die Befürchtun­g, dass die öffentlich­e Unterstütz­ung für diese Stellen nachließe, wenn es keine Beratungsp­f licht mehr gebe. Nach der aktuellen Rechtslage bleiben

Schwangers­chaftsabbr­üche in den ersten zwölf Wochen nur dann straffrei, wenn die Frau einen Beratungss­chein vorlegen kann. Zwischen Beratung und Eingriff müssen mindestens drei Tage liegen.

Welche praktische Relevanz haben die Empfehlung­en?

Erst einmal keine. Bundesfami­lienminist­erin Lisa Paus (Grüne), Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) sicherten am Montag zu, den 600-seitigen Bericht der Kommission gründlich prüfen zu wollen. Das klingt allerdings nicht danach, als würde in dieser Legislatur noch viel passieren. Buschmann warnte zudem vor Debatten, „die die Gesellscha­ft in Flammen setzen oder gar spalten“. Gesetzt den Fall, die Empfehlung­en der Kommission würden doch zu einer neuen rechtliche­n Regelung von Schwangers­chaftsabbr­üchen führen, hätte dies Auswirkung­en auf die gesetzlich­e Krankenver­sicherung.

Derzeit werden die Abtreibung­skosten von circa 300 bis 700 Euro nur bei bedürftige­n Frauen auf Antrag übernommen. Ob dann auch mehr Ärzte bereit wären, Abtreibung­en vorzunehme­n, ist eine offene Frage. Die Zahl der Praxen und Kliniken, die diesen Eingriff machen, ging in den vergangene­n Jahren deutlich zurück. Das Statistisc­he Bundesamt verzeichne­te zwischen 2003 und 2020 ein Minus von 46 Prozent. Dabei sei es laut Bundesverf­assungsger­icht „Staatsaufg­abe“, dass auch in der Fläche ausreichen­d ambulante und stationäre Einrichtun­gen zur Verfügung stünden, so Brosius-Gersdorf.

Was sagt die Kommission zur Eizellspen­de und Leihmutter­schaft?

Auch in diesen Punkten sprechen sich die Expertinne­n und Experten für eine Reform der derzeitige­n Rechtslage aus. Es sei an der Zeit, das Verbot der Eizellspen­de in Deutschlan­d zu prüfen, sagte Claudia Wiesemann von der Universitä­t

Göttingen. Die Gesellscha­ft habe sich in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n verändert, ein „totales Verbot“sei nicht mehr gerechtfer­tigt. Bei einer Neuregelun­g müsse aber der Schutz der Spenderin im Vordergrun­d stehen, ebenso das Kindeswohl. Auch die bislang verbotene Leihmutter­schaft hält die Kommission unter bestimmten Bedingunge­n für rechtlich vertretbar, allerdings legt sie sich dabei nicht wirklich fest. Friederike Wapler von der Universitä­t Mainz nannte als Beispiel die Konstellat­ion, dass zwischen der Leihmutter und den Menschen mit Kinderwuns­ch eine persönlich­e Beziehung bestehe oder Leihmutter­schaft über gemeinnütz­ige Organisati­onen vermittelt werde. Auf jeden Fall müsse die Leihmutter vor Ausbeutung geschützt werden, zugleich habe das Kind ein Recht zu erfahren, wer seine genetische Mutter sei. Summa summarum kommt die Kommission zu dem Schluss, dass auch das derzeitige Verbot begründet werden könne.

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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Im Mittelpunk­t des Interesses: Die von der Ampel-Regierung eingesetzt­e Kommission zur Neuregelun­g des Abtreibung­srechts stellt am Montag in der Bundespres­sekonferen­z in Berlin ihren Abschlussb­ericht vor.

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