Edler Kraftprotz
Das brandneue iPhone X erreichte uns nur wenige Tage vor Redaktionsschluss. Im ersten Praxistest nahmen wir die neuen Features wie das randlose Display und die Gesichtserkennung genau unter die Lupe.
Selbst zehn Jahre nach der Vorstellung des ersten iPhone schafft Apple es noch, die Menschen für ein neues Modell zum Schlangestehen vor den Apple Stores zu bringen – auch wenn die Schlangen diesmal kürzer waren und die anfangs horrenden Lieferzeiten bei Onlinebestellungen relativ schnell wieder auf ein erträgliches Maß schrumpften. Doch während iPhone 6, 6s, 7 und 8 sich in Größe, Display und anderen Dingen so sehr ähneln, dass man das Smartphone schon für ausentwickelt hielt, kann das iPhone X dann doch neue Akzente setzen. Kein Wunder, denn für das Jubiläumsmodell hat Apple es krachen lassen: Das neue OLED-Display reicht fast bis zum Rand und ist größer als beim iPhone 8 Plus, statt des Fingerabdrucksensors gibt es eine Gesichtserkennung, und es hat die beste Kameraausstattung aller iPhones. Doch wie schlägt sich die geballte Technik in der Praxis nieder? Lässt das fast randlose Display noch Platz zum Anfassen? Funktioniert die Gesichtserkennung? Ist die Kamera wirklich besser? Lohnt sich der Premium-Preis?
Randloses Display
Das Display jedenfalls funktioniert hervorragend. Formal ist es sogar größer als das des iPhone 8 Plus, doch wegen der abgerundeten Ecken, des Ausschnitts am oberen Rand und der Tatsache, dass viele Apps am unteren Rand etwas Luft lassen, damit man beispielsweise die Tastatur überhaupt noch mit den Fingern erreicht, hat man nicht unbedingt sofort den Eindruck, ein riesiges Display vor
Das OLED-Display des iPhone X, das bis zum Rand geht, ist wirklich eine Show: Satte Farben, viele Details und natürlich die Größe selbst sind atemberaubend.
sich zu haben. Das ändert sich allerdings spätestens dann, wenn man das iPhone X zum Spielen oder Filmeschauen ins Querformat neigt, denn dann macht sich die Größe des Displays deutlich bemerkbar und bereitet zudem viel Spaß. Von der Lücke an der Oberseite merkt man sehr schnell nichts mehr – die meisten Apps ignorieren sie schlicht. Gegenüber den Plus-Modellen fehlen aber die erweiterten Darstellungen wie Tabs in Safari, übersichtlichere Einstellungen oder das Nebeneinander von Postfächern und Nachrichten in Mail. Es wäre wünschenswert, dass Apple hier im Rahmen eines Systemupdates nachlegt.
Qualitativ ist das OLED-Display des iPhoneX über jeden Zweifel erhaben. Die Details wirken extrem scharf, die Farben sehr natürlich, und der Kontrast ist wie von Apple versprochen enorm hoch. Ein wenig sieht man auch, dass man im Gegensatz zu einem LC-Display wie bei den anderen iPhones nicht durch einen Filter auf eine Hintergrundbeleuchtung sieht, sondern dass bei einem OLEDDisplay die Pixel selbst leuchten und man nur eine Fläche sieht. Apple verspricht ja, die klassischen Nachteile von OLED-Displays wie verringerten Farbumfang oder geringere Leuchtkraft ins Gegenteil verkehrt zu haben, was durchaus stimmt. Ob das auch für andere OLED-Nachteile wie die nachlassende Farbtreue oder geringere Lebenserwartung gilt, wird sich wohl erst später herausstellen.
Face ID
Der Aufwand ist beträchtlich: Da sich wegen des randlosen Displays kein Fingerabdrucksensor unterbringen ließ, musste Apple mit viel Aufwand die Face ID genannte Gesichtserkennung implementieren (siehe oben). Der Scan des Gesichts ist laut Apple sicherer als der Fingerabdruck und kann allenfalls von eineiigen Zwillingen hinters Licht geführt werden.
So anspruchsvoll die Technologie dahinter ist, so einfach und unauffällig ist die Praxis. Die Aktivierungsprozedur geht beinahe schneller als das Anlernen des Fingerabdrucks auf anderen iPhones. Man muss nicht viel mehr tun, als zweimal sein Gesicht etwas drehen, und schon ist Face ID bereit, das Telefon zu entsperren. Dazu wiederum muss man nur durch Hochheben oder einen Tipp aufs Display das iPhone wecken, in die Kamera blicken und mit einem Wischer nach oben das Gerät entsperren. Natürlich versuchten auch wir, mit allerlei Mützen, Brillen und anderen Utensilien die Erkennung zu täuschen. Doch mit Mützen und üblichen Brillen kam Face ID problemlos klar, Taucherbrillen muss man aber abnehmen, und die Augen müssen offen bleiben.
Animojis
Bis hierhin ersetzt Face ID einfach nur den Fingerabdrucksensor, ohne dass man als Anwender wirklich einen Vorteil davon hätte. Doch die „Animojis“sind
ein kleines Alleinstellungsmerkmal des iPhone X: In der Nachrichten-App lassen sich Emojis dazu bringen, sich synchron zu den eigenen Gesten zu bewegen und den Ton zu übernehmen, den man ins Mikro spricht. Beim Empfänger kommt das als kleiner
Film an, der in einer Endlosschleife läuft. Zur Wahl stehen zwölf verschiedene Emojis vom Schweinchen bis zum Roboter. Die Truedepth-Kamera läuft dafür im Dauerbetrieb und erkennt dabei übrigens auch die Gesichtszüge anderer Leute. Weitere Anbieter haben längst Apps angekündigt, die ebenfalls die Gesichtszüge scannen können, um etwa Masken über das Gesicht zu legen.
Kamera läuft
Natürlich musste sich das iPhone X auch bei der Kamera von den Mitstreitern abheben. Zunächst einmal basiert die Hauptkamera auf einem neuen Sensor mit etwas größeren Pixeln und geänderten Farbfiltern, was für eine kleine, aber merkliche Steigerung der Bildqualität sorgt. Und nicht zuletzt die Unterstützung durch den schnellen A11-Prozessor, der auch Signalprozessor-Befehle zur Bildverarbeitung beherrscht, sorgt für eine effektivere Rauschunterdrückung und durch den höheren Datendurchsatz auch für höhere Leistungen bei 4K-Videos, die jetzt auch mit 60 Hertz aufgenommen werden, oder Zeitlupen, die nun mit 240 Bildern pro Sekunde in 1080p-Auflösung erfolgen können.
Bis hierhin gleicht das iPhone X dem iPhone8, doch der Unterschied liegt in der zusätzlichen „Tele“-Kamera, die man bisher nur vom iPhone 7 Plus kannte und die auch das iPhone 8 Plus hat. Im Unterschied zu diesem hat die längere Brennweite ebenso wie das Weitwinkel einen optischen Bildstabilisator und ist mit 1:2,4 geringfügig lichtstärker. Für beide dachte sich Apple neben dem schon bekannten Porträtmodus auch noch das Porträtlicht aus – beiden haben wir ab Seite 32 einen eigenen Artikel gewidmet.
Die nach vorn zeigende Facetime-Kamera ist bei iPhone X und 8 zwar gleich, doch beim X unterstützt die Infrarot-Kamera und sorgt dafür, dass der Porträtmodus auch hier zur Verfügung steht.
Praxis
Da uns das iPhone X nur wenige Tage vor Redaktionsschluss erreichte, ist es für manche Urteile noch zu früh. So gab es anfangs Kritik am mitgelieferten
Die vielen Neuerungen des iPhone X wie Face ID fühlen sich schon nach kurzer Zeit vertraut und vollkommen normal an.
Ladegerät, das wirklich nicht das schnellste ist, sich aber durch ein flotteres ersetzen lässt. Der Akku selbst scheint dagegen ein gutes Durchhaltevermögen zu haben und kam uns eher etwas potenter vor, als noch vom iPhone 7 gewohnt – für ein endgültiges Urteil ist es aber wirklich noch zu früh.
Entwarnung gibt es wegen des Fehlens der Home-Taste und der Tatsache, dass sie durch Gesten ersetzt wurde, was auch zur Folge hat, dass auf dem iPhone X einige Gesten und Knöpfe ganz anders belegt sind. Was so ungewohnt und schwierig klingt, ist ernsthaft nach zwei Stunden mit dem Gerät vergessen. Kaum zu glauben, wie schnell man sich ans Entsperren und Beenden von Apps mit einem lässigen Wischer von unten nach oben gewöhnen kann. Manche Neuerungen wie das Wechseln zur vorherigen App über den kleinen Balken am untersten Bildrand sind sogar extrem praktisch.
Das Gehäuse aus Glas mit dem Rand aus Edelstahl ist ein echter Magnet für Fingerabdrücke, aber sehr elegant. Dass das iPhone X wenige Millimeter größer als das 8 ist, merkt man überhaupt nicht, ebenso wenig wie man bei abgeschaltetem Display und mit Schutzhülle überhaupt sieht, dass man hier das „Smartphone der Zukunft“vor sich hat. Nur an der hochkant stehenden Kamera auf der Rückseite sehen Kenner, dass hier ein iPhone X am Werk ist – Angeber werden enttäuscht sein.
Verzichtbarer Luxus?
Ohne Frage ist das iPhone X das derzeit beste und fortschrittlichste iPhone. Als einziges iPhone bietet es die sehr interessante Porträtkamera im „kleinen“Gehäuse sowie den Porträtmodus auch für Selfies und die Animojis. Letztere nutzen sich allerdings schnell ab, und auch an das Display hat man sich schnell gewöhnt. Seine Qualität ist hervorragend, doch das Display des iPhone 8 ist eben auch schon sehr, sehr gut. Für die wenigen echten Vorteile des iPhone X und das erste rundum neue iPhone seit Langem zahlt man einen ordentlichen Aufpreis auf das iPhone 8. Absolut gesehen sind mindestens
1150 Euro eine ganz schöne Stange Geld für ein Smartphone – auch dann, wenn es für die Zukunft steht. Wer diese Zukunft schon heute sehen möchte, muss in den sauren Apfel beißen und investieren. Fest steht aber, dass sich diese Zukunft schon jetzt sehr gut und komfortabel anfühlt.