Gut, besser, am besten
Mit dem neuen iPhone X will Apple die Grenzen des Machbaren ausloten: Randloses Display, Sicherung per Gesichtserkennung und vieles mehr führen zu stolzen Preisen. Als deutlich günstigere Alternative bietet sich der Griff zum iPhone 8 an.
Wäre es nur die normale, alljährliche Präsentation neuer iPhones gewesen, hätten wir Ihnen an dieser Stelle vom neuen iPhone 7s und 7s Plus erzählt, die im alten Gehäuse, jedoch natürlich etwas schneller daherkommen. Aber dieses Jahr war alles anders, denn das iPhone wurde zehn Jahre alt, und da musste es einfach ein bisschen mehr sein. Gleich drei Modelle präsentierte Apple dem Publikum: Das „normale“iPhone macht einen genügend großen Sprung, um die piefige „s“-Version zu überspringen und gleich zum iPhone 8 und 8 Plus zu werden. Und mit dem iPhone X präsentierte Apple ein spektakuläres, neues Topmodell mit ganz neuem Formfaktor und randlosem Display. Apple will damit die Grenzen des Smartphones neu definieren – und dafür gleichzeitig die Zahlungsbereitschaft der Kunden testen, denn das iPhone X liegt preislich weit oberhalb der bisherigen Modelle.
Randlos und grenzenlos
Das Display des iPhone X fällt natürlich als
Erstes auf, zumal es bis auf einen kleinen
Ausschnitt am oberen Rand die komplette Vorderseite einnimmt. Erstmals setzt Apple auf ein OLED-Display, das ohne Hintergrundbeleuchtung auskommt und die eigenwillige Bauweise mit den abgerundeten Bildecken und dem Ausschnitt an der Oberseite überhaupt erst ermöglicht. Das Display reicht auf allen Seiten bis auf wenige Millimeter an den Rand heran und soll laut Apple mit den typischen Nachteilen bisheriger OLED-Displays wie geringer Leuchtkraft oder geringerer Farbtreue aufräumen und sie ins Gegenteil verkehren: Das HDRDisplay unterstützt Dolby Vision sowie HDR10 und passt wie die iPad-Pro-Modelle den Farbraum dank True Tone automatisch ans Umgebungslicht an.
Vor allem aber ist das Display enorm groß: Obwohl das iPhone X nur wenig größer als das normale iPhone 8 und seine Vorgänger mit 4,7-Zoll-Display ist, kommt es auf eine Bildschirmdiagonale von 5,8 Zoll, die größer als die der Plus-Modelle ist und mit 2.436 mal 1.125 Pixel bei sportlichen 458 Pixel pro Zoll die mit Abstand größte Auflösung bietet. Vielleicht wichtiger als die harten Fakten sind die Kommentare der ersten Probanden, die das iPhone X nach der Präsentation ausprobieren konnten und die dem Display allesamt bescheinigten, einfach
großartig zu sein, mit satten Farben, strahlender Helligkeit und enormer Detailfülle.
Gesichtserkennung
Das Display, das keinen Raum für Tasten lässt, wirft natürlich einige Fragen auf. Beispielsweise ist kein Platz mehr für den Touch-ID-Sensor, der bislang in der Home-Taste untergebracht war. An seine Stelle tritt die Gesichtserkennung, allerdings eine sehr fortschrittliche. In dem kleinen Ausschnitt an der Oberseite tummelt sich dafür so einiges, was Apple unter dem Namen „TrueDepth“-Kamerasystem zusammenfasst: Außer der normalen Frontkamera gibt es noch eine Infrarotkamera mit zugehöriger Leuchte und einen kleinen Projektor, der rund 30.000 unsichtbare Punkte auf das Gesicht projeziert. Mit dem Infrarotbild und dem Punktmuster wird das Gesicht mit dem A11-Prozessor analysiert und das iPhone bei einer positiven Erkennung entsperrt. Dazu muss man nicht mehr tun, als frontal aus normaler Entfernung aufs iPhone zu schauen
Die Gesichtserkennung Face ID ist laut Apple wesentlich sicherer und zuverlässiger als die bisher verwendeten Touch-ID-Fingerabdruck-Sensoren.
und auf dem Bildschirm nach oben zu wischen.
Laut Apple lässt sich das Face-ID-System – außer durch Zwillingsgeschwister – nicht täuschen und ist deutlich sicherer, als es der Fingerabdrucksensor war. Da es auf Infrarotlicht basiert, funktioniert es auch in völliger Dunkelheit und die Intelligenz des A11-Prozessors soll dafür sorgen, dass auch Brillen, Bärte, Hüte und andere Veränderungen die Erkennung nicht verhindern.
Keine Home-Taste? Kein Problem!
Nun fragt man sich natürlich noch, wie man denn ohne Home-Taste auskommen soll, denn sie gehört bei normalen iPhones zu den meistbeschäftigten
Einrichtungen. Anders, als im Vorfeld viele erwartet hatten, gibt es auch keine virtuelle Home-Taste, sondern nur Gesten. Ein kleiner Balken am unteren Bildrand zeigt an, dass man mit einem Wischer von unten nach oben die App beenden kann. Diese Geste ist bei allen anderen iPhones für den Aufruf des Kontrollzentrums zuständig, doch beim iPhone X erreicht man dieses, indem man von den drei Symbolen für Empfang und Batteriezustand rechts oben nach unten wischt. Um den Programmumschalter zu erreichen, der normalerweise einen Doppelklick auf die Home-Taste benötigt, wischt man von unten nach oben und hält dann einen Moment inne. Will man zwischen zwei Apps wechseln, kann man auch quer den unteren Balken wischen. Um Siri aufzurufen, drückt man länger auf den unteren Bereich der verlängerten Einschalttaste. Wer ein iPhone X nutzt, wird also etwas umlernen müssen, doch Apple verspricht, dass sich alle Gesten ganz natürlich anfühlen sollen.
Kameras mit Tiefenwirkung
Selbstverständlich kann das iPhone X bei den Kameras nicht hinter den bisherigen Modellen zurückstehen. Auf der Rückseite prangt deshalb natürlich eine Doppelkamera mit Weitwinkel und „Tele“, das in Wirklichkeit eher ein Normalobjektiv ist. Obwohl die Auflösung mit 12 Megapixeln nicht größer als beim iPhone 7 ist, ist der Sensor neu, hat größere Pixel mit geänderten Farbfiltern und soll für mehr Details, bessere Farben und weniger Rauschen sorgen. Beide Kameras des iPhone X und nicht nur der Weitwinkel haben einen Bildstabilisator, zudem ist die längere Brennweite mit einem Öffnungsverhältnis von
1:2,4 gegenüber 1:2,8 etwas lichtstärker geworden.
Und Apple hat den bereits mit dem iPhone
7 Plus eingeführten Porträtmodus nochmals aufgepeppt, der durch die Nutzung beider Kameras Tiefeninformationen gewinnt und den Hintergrund so weichzeichnet, als sei das Bild mit einem weit größeren Bildsensor und offener Blende aufgenommen worden. Beim iPhone X wird mit einem hohen Aufwand an Rechenleistung ein Porträtlicht-Modus realisiert, mit dem das Gesicht virtuell anders ausgeleuchtet wird. Mit einem Extramenü im PortraitModus lassen sich vier Beleuchtungseffekte wie
beispielsweise Bühnenlicht simulieren, bei dem der Hintergrund im Dunkeln versinkt und ein frontales Licht vorgetäuscht wird. Das alles entsteht wohlgemerkt rechnerisch und kann auch nachträglich in der Fotos-App bearbeitet werden.
Gute Nachrichten für Selfie-Fans: Da die Frontkamera des iPhone X mit immerhin 7 Megapixeln Auflösung durch die Infrarotkamera flankiert wird, steht auch hier der Portraitmodus zur Verfügung. Und noch besser: Die Gesichtserkennung kann auch dauerhaft betrieben werden und jede Gesichtsregung desjenigen einfangen, der in die Kamera blickt. Apple selbst nutzt dies für spezielle Emojis – passenderweise Animojis genannt –, die Lippenbewegungen und Gestik abbilden und die sich mit der Nachrichten-App verschicken lassen. Apple führte aber auch bereits eine Snapchat-Version vor, die Masken über das Gesicht legt.
Völlig losgelöst
Zwar ist auch das iPhone X ab Werk mit USBLadegerät und Lightning-Kabel ausgestattet, aber es
kommt nicht umsonst mit einer Rückseite aus Glas statt Metall daher. Denn eingebaut sind Antennen zum drahtlosen Laden nach dem bereits seit Jahren bekannten und vielerorts verfügbaren Qi-Standard (sprich: „Tschie“). Auch Apple selbst möchte im nächsten Jahr ein Ladetablett namens AirPower anbieten.
Das iPhone 8
All die schönen Neuerungen am iPhone X (das X steht für „10“) lassen das iPhone 8 beinahe verblassen, was reichlich unfair ist. Denn das „normale“Modell hat es durchaus verdient, nicht iPhone 7s, sondern 8 heißen zu dürfen, und teilt sich eine ganze Reihe von Merkmalen mit dem „Sondermodell“iPhone X. So hat es ebenfalls den kraftvollen A11-Prozessor und bietet damit die gleiche Leistung wie das Topmodell. Auch die Kameras sind fast gleich und nutzen alle den gleichen, neuen Bildsensor, der für bessere Farben und weniger Rauschen sorgen soll. Das iPhone 8 hat wie bisher „nur“eine Kamera auf der Rückseite, das größere iPhone 8
Plus aber wie gehabt zwei. Der Unterschied zum iPhone X liegt im Teleobjektiv, das mit 1:2,8 etwas lichtschwächer ist und ohne Bildstabilisator auskommen muss. Die neuen Portraitlicht-Modi beherrscht es aber dennoch, wenngleich natürlich nur für die rückwärtige Hauptkamera.
Auch die beiden beiden iPhone-8-Modelle haben neue Displays bekommen, die mit der True-ToneTechnologie ihre Farbtemperatur dem Umgebungslicht anpassen und damit die 7er-Generation hinter sich lassen. Auch für den guten Ton ist gesorgt, denn es gibt Stereo-Lautsprecher für den Fall, dass man das iPhone für Videos quer hält.
Der Kopf sagt: Das iPhone 8 reicht völlig. Der Bauch sagt: Das iPhone X steht für die übernächste Generation – und die will man nicht verpassen.
Und auch die iPhone-8-Modelle bieten ein neues Gehäuse – auch wenn es dem iPhone 7 ziemlich ähnlich sieht und sogar die meisten Hüllen passen. Der Rahmen ist aus Aluminium in Flugzeugqualität, der mit sieben Schichten Farbe versehen wird. Vorderund Rückseite bestehen aus Glas – laut Apple dem härtesten Glas, das je bei einem Smartphone zum Einsatz kam. Das Glas wird durch eine Stahlstruktur im Inneren verstärkt und geht beinahe nahtlos in den Rahmen über. Und die Glasrückseite ermöglicht auch den iPhone-8-Modellen das drahtlose Laden nach dem Qi-Standard.
Welches nehmen?
Ob man nun zum iPhone 8, 8 Plus oder X greift, ist nicht nur eine Geschmacks-, sondern auch eine Preisfrage. Das iPhone 8 kostet mit 800 Euro kaum mehr als zwei Drittel des iPhone X mit seinen stolzen 1.150 Euro. Nur 110 Euro Aufpreis kostet dagegen das große iPhone 8 Plus. Alle neuen iPhones gibt es nur noch in zwei Speicherkonfigurationen mit knapp ausreichenden 64 Gigabyte oder gleich 256 Gigabyte für rund 170 Euro Aufpreis.
Die Frage ist, ob man mit dem iPhone 8 auskommt oder ob es unbedingt das iPhone X sein muss. Da sie gleich schnell sind, bleiben als wesentliche Unterschiede das gigantische Display – bei kaum größerem Gehäuse – und die Doppelkamera mit ihrem Porträtmodus. Wer nicht vorhat, diesen oft zu nutzen, und mit dem normalen iPhone-Display bisher gut zurechtkam, hat kaum einen Grund, zum sehr teuren iPhone X zu greifen. Die Doppelkamera und die große Displayfläche gibt es in Form des iPhone 8 Plus auch deutlich billiger, man muss dann eben nur mit dem sehr großen Gehäuse leben und auf Animojis und Selfies mit Portätlicht verzichten. Das lässt sich wohl durchaus verschmerzen.
Die Entscheidung können wir Ihnen nicht abnehmen, und einen Vergleichstest können wir erst später – zum Beispiel in der iPhone & iPad Life 1/2018 – nachliefern, denn das iPhone X wird nach Redaktionsschluss am 3. November ausgeliefert. Der Bauch sagt, dass sich das Warten lohnen wird, während der Kopf sagt, dass das iPhone 8 die vernünftigere Wahl ist. Aber was zählt schon die Vernunft, wenn es um iPhones geht?