Veranstaltungen im Landtag abgesagt
Viele Patienten rufen bei Corona-Verdacht erst einmal an – Apotheker dürfen Desinfektionsmittel selbst herstellen
KIEL/BERLIN. Der Kieler Landtag hat wegen des Coronavirus gestern für die nächsten zwei Wochen seine öffentlichen Veranstaltungen abgesagt. Dies sei „eine reine Vorsichtsmaßnahme“, hieß es. An der Kieler Uni fallen kommende Woche die Studien-Informationstage aus. Aus verschiedenen Bereichen des Uniklinikums in Lübeck stahlen unbekannte Täter bis zu 200 Liter Hände-Desinfektionsmittel, bestätigte ein Sprecher.
Viele Wartezimmer bei Ärzten sind derzeit auffallend leer – Patienten meiden die Praxen aus Sorge vor Ansteckung und greifen im Zweifelsfall lieber zum Telefon. Der Export medizinischer Schutzausrüstung wie Atemmasken und Handschuhen wird auf Anordnung des Bundeswirtschaftsministeriums verboten. Drastische Maßnahmen ergreift Italien: Dort bleiben alle Schulen und Unis geschlossen. Kuriosum in Hessen: Die Kreisklinik GroßGerau hat einen „Drive-in“für Corona-Tests eingeführt – Abstriche werden durch das Autofenster genommen.
KIEL. Das Coronavirus hat Auswirkungen auf die Zahl der Patienten, die zu Hausärzten in die Praxis kommen. „Die Wartezimmer sind leerer als sonst“, berichtet der Kieler Hausarzt Arafat Al Atawneh, der auch im Vorstand des Praxisnetzes Kiel ist. Seit dem Ausbrechen des Coronavirus in Deutschland betreten die Praxis etwa 20 bis 30 Prozent weniger Patienten als im Normalfall. Das sei auch Folge seiner Empfehlung: „Wer den Verdacht hat, dass er das Coronavirus haben könnte, soll zuerst anrufen und nicht einfach in die Praxis kommen“, sagt Al Atawneh.
Auf seiner Facebook-Seite weist er seine Patienten darauf hin und informiert über das Virus. Das scheint zu wirken: So rufen deutlich mehr Patienten zunächst an, so Atawneh. „Die Patienten haben Angst und wollen alles über das Virus wissen.“Meistens stelle sich schnell heraus, dass viele nur eine Erkältung hätten.
Auch im medizinischen Versorgungszentrum Blücherplatz in Kiel klingelt das Telefon überdurchschnittlich oft. „Viele Patienten stellen spezifische Fragen zum Coronavirus
am Telefon“, sagt Tilmann Schröder, ärztlicher Leiter des Zentrums. Wer selbst aber keine Krankheitssymptome zeige, solle sich besser beim Robert-Koch-Institut informieren. Bei einem begründeten Verdacht, selbst vom Virus betroffen zu sein, sei der Anruf hingegen genau das Richtige. „Vor unserer Praxis steht ein Stoppschild, das für den Notfall aufklärt“, sagt Schröder.
Das richtige Vorgehen: erst in der Praxis anrufen und sich beraten lassen. Bei einem begründeten Verdacht setzt
Schröders Praxis die Patienten mit dem Gesundheitsamt Kiel in Verbindung, das in Kiel für die Diagnostik mittels Abstrich zuständig ist.
Die Sorgen vieler Menschen führen auch dazu, dass handelsübliches Desinfektionsmittel fast restlos ausverkauft ist. In Schleswig-Holstein soll nun eine Sondererlaubnis das Problem lösen: Die Apotheken dürfen seit Montag Händedesinfektionsmittel selbst herstellen und verkaufen. Das Kieler Gesundheitsministerium hat grünes Licht für die Erzeugung gegeben. Flächendesinfektionsmittel, beispielsweise für Arbeitsplatten, dürfen die Apotheken aber weiterhin nicht herstellen, sagt Dr. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein. „Dazu brauchen wir eine Ausnahmegenehmigung gemäß der Biozid-Verordnung, die vom Bund kommen muss.“
Man könne außerdem nicht davon ausgehen, dass es bald in jeder Apotheke wieder Desinfektionsmittel gibt, so Christiansen. Alkohole wie Ethanol und Isopropanol, die für die Fertigung notwendig sind, seien in vielen Apotheken knapp bemessen oder gar nicht vorhanden. Außerdem sei der
Einkauf zeitaufwendig: „Jede Substanz, die in einer Apotheke landet, muss geprüft werden“, sagt Christiansen. Dokumentationsund Personalaufwand seien hoch.
Apotheker müssen hohen Preis für Ethanol zahlen
„Die Apotheken verfügen außerdem in der Regel nur über versteuerten Alkohol“, berichtet Christiansen. Dieser sei deutlich teurer im Einkauf und demzufolge auch im Verkauf.
Christiansen leitet selbst eine Apotheke in Steinbergkirche im Kreis SchleswigFlensburg. Diese habe noch einige Restbestände Ethanol, der aber versteuert ist. Einen Liter Ethanol muss Christiansen deswegen für rund 50 Euro verkaufen – ein sehr hoher Preis. „Ein gesunder Mensch braucht sowieso kein Desinfektionsmittel zu Hause“, sagt Christiansen. Gründliches Händewaschen sei ausreichend, um die Ansteckungsgefahr klein zu halten.
Ein gesunder Mensch braucht kein Desinfektionsmittel zu Hause.
Dr. Kai Christiansen,
Präsident Apothekerkammer SH