Russische Pflegedienste betrügen Kassen
Milliardenschaden durch falsche Abrechnungen. Ermittler sprechen von Mafia
Augsburg/Berlin Russische Pflegedienste betrügen offenbar in großem Stil die Kranken- und Sozialkassen in Deutschland. Experten schätzen den Schaden durch falsche und manipulierte Abrechnungen auf mindestens ein bis zwei Milliarden Euro jährlich. Auch in Augsburg ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Pflegedienst und sechs Beschuldigte, die in über 600 Fällen betrügerische Abrechnungen erstellt und so in vier Jahren über 200 000 Euro ergaunert haben sollen.
Der Pflegemarkt in Deutschland mit seinen gut 2,6 Millionen Pflegebedürftigen lockt offenbar immer mehr kriminelle Banden an. „Das Geschäft ist mittlerweile lukrativer als der Drogenhandel“, so ein Experte für Korruptionsbekämpfung der Pflegekassen. Das Bundeskriminalamt (BKA) habe inzwischen auch Hinweise auf Strukturen Organisierter Kriminalität in diesem Bereich, berichteten die Welt am Sonntag und der Bayerische Rundfunk (BR).
Die Betrugsformen sind nach BKA-Einschätzung vielfältig, wie aus internen Dokumenten hervorgeht. So rechneten Pflegedienste zum Beispiel systematisch mit gefälschten Pflege-Protokollen nicht erbrachte Leistungen ab. Teilweise seien Patienten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in den Betrug verwickelt, zum Beispiel, indem sie ihre Pflegebedürftigkeit simulierten. In diesen Fällen teilten sich Patient und Pflegedienst den Erlös.
Die Betrüger verlagern dem Bericht zufolge ihr Geschäft zudem auf lukrative Intensivpflegepatienten und zweigen bis zu 15000 Euro pro Patient und Monat zu Unrecht aus den Sozialsystemen ab. Häufiger Trick: Zur Pflege werden billige Hilfskräfte eingesetzt, die jedoch die Sätze ausgebildeter Fachpflegekräfte abrechnen. „Beim Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch russische Pflegedienste handelt es sich um ein bundesweites Phänomen, das insbesondere dort auftritt, wo sich durch Sprachgruppen geschlossene Systeme bilden“, zitierten die beiden Medien aus dem Abschlussbericht des BKA. Darüber hinaus seien „in Einzelfällen Informationen bekannt, laut denen die Investition in russische, ambulante Pflegedienste ein Geschäftsfeld russisch-eurasischer Organisierter Kriminalität ist“.
Das BKA wollte den als vertraulich eingestuften Bericht nicht kommentieren, teilte auf Anfrage aber mit: „Insbesondere den kommunalen Sozialhilfeträgern sowie den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, also letztlich der Allgemeinheit, entstehen beträchtliche finanzielle Schäden.“Die BKA-Ermittler halten das Problem demnach für so relevant, dass sich die Behörde 2015 ein halbes Jahr lang in Kooperation mit den Polizeibehörden der Länder darauf konzentriert habe.
Regionale Schwerpunkte existieren dem Bericht zufolge in Berlin, Niedersachsen und NordrheinWestfalen. In Niedersachsen habe allein die AOK in den vergangenen Jahren rund hundert Fälle zur Anzeige gebracht. Auch in Bayern gibt es Verdachtsfälle. Die AOK vermutet sogar, dass auch Ärzte an dem Betrug mitverdienen, indem beispielsweise Verordnungen für Personen ausgestellt werden, die in Wahrheit gar nicht pflegebedürftig seien. Gegenüber dem BR bestätigte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Augsburg, Nicolai, Ermittlungen gegen einen ambulanten Pflegedienst. Sechs Beschuldigte sollen zwischen 2009 und 2013 in über 600 Einzelfällen betrügerische Leistungsabrechnungen erstellt haben und so über 200 000 Euro von Krankenkassen und Stadt Augsburg erschlichen haben. In dem Fall ist nun Anklage erhoben worden.
Ermittlungen in diesem Bereich gelten als sehr aufwendig und personalintensiv. Die Welt am Sonntag schreibt, bei den geschädigten Kassen sei man „erbost über die weitgehende Untätigkeit der Staatsanwälte“. »Kommentar