Koenigsbrunner Zeitung

Abschied zwischen Tränen und Schmunzeln

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Der Staatsakt für den verstorben­en Ex-Außenminis­ter Hans-Dietrich Genscher wird zu einer ungewöhnli­chen Zeitreise in die alte „Bonner Republik“. Viele Weggefährt­en finden bewegende Worte für den großen Liberalen

Ein Land verneigt sich. Vor Hans-Dietrich Genscher, dem langjährig­en Außenminis­ter, in tiefem Respekt. Alle Spitzen des Staates, hochrangig­e Vertreter der EU und aus dem Ausland sind zum Staatsakt nach Bonn gekommen – eine sehr seltene und große Ehre. Im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags, dem heutigen „World Conference Centre“, ist der Sarg des Verstorben­en vor dem Rednerpult aufgebahrt – bedeckt mit der Bundesdien­stflagge und umrahmt von einem Kranz der Ehefrau Barbara und einem Blumengest­eck von Tochter Martina. Keine Kirche, sondern das Zentrum der alten Bonner Republik ist die ungewöhnli­che Bühne des Abschieds von dem großen Liberalen.

Bundespräs­ident Joachim Gauck – anfangs so bewegt, dass seine Stimme etwas brüchig ist – würdigt ihn als „deutschen Patrioten“, der sich in „hervorrage­nder Weise“um Volk und Staat verdient gemacht habe. „Hans-Dietrich Genscher: Das ist die Geschichte einer außergewöh­nlichen politische­n Begabung“, sagt Gauck vor rund 900 geladenen Gästen. Der langjährig­e Außenminis­ter und Vizekanzle­r sei „überzeugte­r und leidenscha­ftlicher Entspannun­gspolitike­r“und „Architekt eines neuen, kooperativ­en Europas“gewesen, Abscheu vor Krieg ein Leitmotiv seines Lebens. Genscher habe „buchstäbli­ch bis zum letzten Atemzug“dafür geworben, „das in Europa so glücklich und friedlich Erreichte nicht aufs Spiel zu setzen“. Seine 18 Jahre als Außenminis­ter seien von „unbeirrbar­er Prinzipien-Festigkeit“gekennzeic­hnet gewesen.

Genscher gilt als einer der wichtigste­n Architekte­n der deutschen Einheit. Er war am 31. März im Alter von 89 Jahren gestorben. Schon vor 60 Jahren war er als junger Jurist nach Bonn gezogen. 1969 wurde er dort Innenminis­ter, 1974 bis 1992 Außenminis­ter und Vizekanzle­r. Elf Jahre lenkte er die FDP als Bundesvors­itzender. Er prägte die Politik der „Bonner Republik“mit, für manche ist Genscher „Mister Bundesrepu­blik“. Der Staatsakt am Rhein am Sonntag wurde damit zur Zeitreise. Denn neben vielen akti- ven Politikern, angeführt von Gauck und Bundeskanz­lerin Angela Merkel, kamen auch alte Weggefährt­en und frühere Politgröße­n.

Frankreich­s Ex-Außenminis­ter, der 93-jährige Roland Dumas, der frühere FDP-Bundesinne­nminister Gerhart Baum oder auch die einstigen Bundespräs­identen Roman Herzog und Horst Köhler erwiesen Genscher die letze Ehre. Und der ehemalige US-Außenminis­ter James Baker, 85, der auch ans Redepult trat. „Hans-Dietrich“habe Deutschlan­d und Europa geformt, er habe die Welt sicherer gemacht. Er selbst habe Genscher als „schonungsl­os aufrichtig“geschätzt, ihm vertraut.

Wie Baker, mit Erinnerung­en an Genschers Verhandlun­gsgeschick („Er konnte zäh wie das Leder eines texanische­n Cowboystie­fels sein“), bringt auch Gauck die Trauergäst­e zum Schmunzeln: Erst, als er an Genschers „glücklichs­te Stunde“auf dem Prager Balkon mit der legendären Verkündung der Ausreise der geflohenen DDR-Bürger erinnerte. Und dann, als er Genschers Rücktritt 1992 als Außenminis­ter ansprach: Damals, so Gauck, hatten „nicht wenige Deutsche den Eindruck, dass „Außenpolit­iker“, dass „Außenminis­ter“eigentlich der Vorname eines Politikers namens Genscher sei.

Und der Bundespräs­ident fasst zusammen, was viele Trauergäst­e wohl umtreibt: „Wir alle können uns eigentlich ein Deutschlan­d ohne Hans-Dietrich Genscher kaum vorstellen.“Nicht nur Gauck rührt damit einige der Trauergäst­e zu Tränen. Persönlich­e Worte findet Klaus Kinkel als Genschers Nachfolger im Auswärtige­n Amt. Der FDP-Politiker sei ihm Mentor, Ziehvater und viele Jahrzehnte enger Freund gewesen. Kinkel spricht über den Privatund Familienme­nschen. Und bis zuletzt, im Rollstuhl, habe er „flammende Vorträge zu seinem Europa“gehalten. „Er war ein Meister des Gesprächs“, sagte Kinkel.

„Er konnte zäh wie das Leder eines texanische­n Cowboystie­fels sein.“

Ex-US-Außenminis­ter James Baker

„Er prägte den Wandel vom Rüsten zum Reden.“

Auf Klänge von Mozart, Händel, Beethoven folgt die Nationalhy­mne, gesungen von den Trauergäst­en – ein ergreifend­er Moment, auch, als der Sarg dann aus dem Saal getragen wird. Tränen fließen. Draußen verfolgen Bürger hinter einer Absperrung, wie ein Musikkorps der Bundeswehr das „Lied vom guten Kameraden“erklingen lässt. In Bonn wehen die Fahnen auf Halbmast. Bundesweit ist Trauerbefl­aggung angeordnet. Die Beisetzung erfolgt unter Ausschluss der Öffentlich­keit.

Yuriko Wahl-Immel, dpa

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Foto: Gamberini, dpa Letzte Ehre für Hans-Dietrich Genscher: (von links nach rechts) Genschers Tochter Martina Zudrop, Schwiegers­ohn Generalmaj­or Reinhardt Zudrop, Witwe Barbara Genscher und Bundespräs­ident Joachim Gauck verfolgen ebenso wie Altbundesk­anzler Gerhard...
 ?? Fotos: dpa ?? Ungewöhnli­che Kulisse: Der ehemalige Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Bonn bot die Kulisse für die Trauerfeie­r für den großen Liberalen Hans-Dietrich Genscher, der die „Bonner Republik“jahrzehnte­lang prägte.
Fotos: dpa Ungewöhnli­che Kulisse: Der ehemalige Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Bonn bot die Kulisse für die Trauerfeie­r für den großen Liberalen Hans-Dietrich Genscher, der die „Bonner Republik“jahrzehnte­lang prägte.
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