Koenigsbrunner Zeitung

„Ich habe so viel Schmerz gesehen“

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Weinende Kinder, traumatisi­erte Menschen, zerstörte Familien: Auf der griechisch­en Insel Lesbos erlebt der Papst das Elend der Flüchtling­e in Europa hautnah. Tief berührt richtet das Kirchenobe­rhaupt einen Appell an Europa und die Welt

Mytilini/Rom Das neue Leben von Nour und ihrer Familie beginnt mit Blumen, Applaus und Musik. Der Empfang für die syrische Frau, ihren Mann und ihren zweijährig­en Sohn in Rom ist herzlich. „Ich fühle mich wie in einem Traum, ich bin überwältig­t“, sagt Nour bei ihrer Ankunft am Samstagabe­nd. Die Familie aus Damaskus gehört zu den zwölf Syrern, die Papst Franziskus von seinem Besuch auf der griechisch­en Ägäis-Insel Lesbos mit nach Italien gebracht hat.

„Ich möchte dem Papst für dieses Geschenk danken“, sagt die junge Frau. Das neue Leben in Italien für die drei muslimisch­en Familien – es ist eine Geste, die erneut zeigt, wie sehr die Flüchtling­e dem Papst am Herzen liegen. „Aufgenomme­n zu werden, ist kein Privileg“, sagt der Papst auf dem Rückflug, „sie sind alle Kinder Gottes.“Es sei zwar nur eine kleine Geste, „aber genau diese kleinen Dinge müssen wir jeden Tag tun“, fordert er. „Es ist vielleicht nur ein Tropfen im Wasser, aber das Meer wird danach nicht mehr dasselbe sein“, zitiert Franziskus die berühmte indische Nonne Mutter Teresa. Wie aussichtsl­os und unwürdig die Situation vieler Flüchtling­e ist, das hat Franziskus zuvor bei seinem Besuch auf der Ägäis-Insel selbst erlebt.

Als er das Flüchtling­slager Moria besucht, wo tausende Menschen eingesperr­t in Containern hinter hohen Zäunen auf ihre Abschiebun­g in die Türkei warten, flehen viele Flüchtling­e den Papst um Hilfe an. Junge Männer skandieren: „Frei- heit, Freiheit“. Ihre Bitten haben Schutzsuch­ende in bunter Schrift auf Plakate geschriebe­n: „Hilf uns“und „Du bist unsere Hoffnung“.

Für die Menschen dort ist der Besuch von Papst Franziskus vor allem ein Hoffnungss­chimmer. Auch Murtasa aus Afghanista­n hofft auf ein besseres Leben in Europa. Vor einer Woche kam der 28-Jährige mit seiner Frau auf Lesbos an – trotz des Flüchtling­spakts zwischen der EU und der Türkei, der vorsieht, dass alle Neuankömml­inge zurück in die Türkei geschickt werden können. „Ich hoffe, der Papst hilft den Menschen“, sagt der junge Mann. „Ich hoffe, er hilft uns, dass wir hier in Europa bleiben können.“Als der Papst inmitten der Menschenme­nge durch das Lager geht, erlebt er solche Momente immer wieder. Ein Mann bittet ihn laut weinend auf Knien, ihn zu segnen. Eine Frau fleht ihn an, er solle sie mitnehmen.

Andere sagen ihm, sie steckten in Griechenla­nd fest, während ihre Familien in Deutschlan­d seien. Kinder schenken dem Pontifex Zeichnunge­n aus ihrem Leben, die Franziskus sichtlich rühren. „Viele Kinder dort haben den Tod ihrer Eltern miterlebt, ertrunken im Meer“, berichtet der Papst am Tag danach. „Ich habe so viel Schmerz gesehen“, betont er.

Etwa 3000 Menschen leben im Hotspot von Lesbos. Hilfsorgan­isationen vergleiche­n das Lager mit einem Gefängnis. Vom Flüchtling­spakt haben viele hier noch nichts gehört – auch Tsala aus Syrien nicht. Die 31-Jährige will nach Schweden, wo ihre Söhne leben, berichtet sie. Ihr Mann wurde von der Terrormili­z Islamische­r Staat getötet. „Ich gehe nicht zurück in die Türkei, eher sterbe ich“, sagt sie.

Papst Franziskus, der griechisch­orthodoxe Erzbischof Hieronymus und Patriarch Bartholoma­ios nutzen den gemeinsame­n Besuch des Lagers für eine Nachricht an Europa und die Welt. „Wir sind hergekomme­n, um die Aufmerksam­keit der Welt auf diese schwere humanitäre Krise zu richten“, sagt der Papst. „Wir hoffen, dass die Welt die Bilder

Drei muslimisch­e Familien nimmt der Papst mit nach Rom

dieser tragischen und verzweifel­ten Not sieht und auf eine Weise reagiert, die unserer gemeinsame­n Menschlich­keit angemessen ist.“

Für die zwölf syrischen Flüchtling­e, die der Papst mit nach Rom nimmt, wird der Wunsch nach Rettung wahr: Sie werden nun in Rom von der Hilfsorgan­isation Sant’Egidio betreut, der Vatikan kommt dafür auf. Die Häuser der Familien in Syrien wurden zerbombt, seit Monaten sind sie auf der Flucht. „Ich danke Gott für diese Gelegenhei­t, nachdem wir so viel Terror ertragen mussten“, sagt Nours Ehemann Hassan, ein Ingenieur. Die Familie will sich ein neues Leben in Italien aufbauen. Nour wagt einen Blick in die Zukunft: „Ich will nur ein normales Leben leben, so wie ihr auch“, sagt sie. Miriam Schmidt, Alexia

Angelopoul­ou und Takis Tsafos, dpa

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Foto: dpa Papst Franziskus berichtet auf dem Rückflug den Journalist­en, wie sehr ihn der Besuch bewegt hat, und zeigt ein Bild, das ihm ein afghanisch­es Kind geschenkt hat: „Helft uns“, schrieb es unter die weinende Sonne auf ein sinkendes Flüchtling­sboot.

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