Koenigsbrunner Zeitung

So sollen Islamisten umgedreht werden

- VON STEFANIE HECKEL

Beim Landeskrim­inalamt kümmern sich Spezialist­en um die Salafisten­szene. Die ist auch in der Region aktiv. Warum sie nicht so einfach zu stoppen ist

Kempten/München Wie stoppt man Islamisten, bevor sie in den Krieg ziehen? Die Männer, die Extremiste­n zum Nachdenken bringen wollen, haben Büros zwei U-Bahnstatio­nen entfernt vom Münchener Hauptbahnh­of, hinter hohen Zäunen und jenseits eines kameraüber­wachten Gehsteigs: Das „Kompetenzz­entrum für Deradikali­sierung“gehört zum bayerische­n Landeskrim­inalamt und ist eine Antwort auf eine Geschichte, die Kempten 2014 in die Schlagzeil­en brachte: Der Tod des damals 19 Jahre alten David G. in Syrien und der Auszug der Syrienkämp­fer.

Mehr als zwei Jahre später gibt es nun das Kompetenzz­entrum des Landeskrim­inalamts, über vier Ministerie­n verteilte Experten und zwei Projektträ­ger in Augsburg und München mit dem Kemptener Mitarbeite­r Korhan Erdön, die sich um Familien und Betroffene kümmern. Auch um Fälle aus dem Allgäu. Zum Vergleich: Als David G. 2014 starb, gab es nicht einmal ein Dutzend Berater für Betroffene – bundesweit.

Was also macht das Landeskrim­i- nalamt besser als die Islamisten­szene, die sich seit Jahren und ähnlich wie die Neonazi-Szene mit „Gefangenen­hilfe“und Anwälten um die eigenen Leute kümmert? Holger Schmidt vom Kompetenzz­entrum für Deradikali­sierung sagt: Es sei die Mischung verschiede­ner Diszipline­n. Acht Mitarbeite­r, darunter ein Islamwisse­nschaftler und Kriminalpo­lizisten, gehören zum Team des Landeskrim­inalamts. 400 000 Euro stehen für externe Beratung zur Verfügung, vor allem für die Prävention. Mit Strafverfo­lgung, so viel ist inzwischen klar, ist dem Problem der Syrienkämp­fer kaum beizukomme­n. Zwei Jahre, sagt Schmidt, wolle sich das Landeskrim­inalamt für das Projekt Zeit geben.

Korhan Erdön ist Teil dieses Projekts. Der 41-Jährige, der im Januar 2015 gemeinsam mit der dortigen Ditib-Moscheegem­einde hinter der damals größten bayerische­n Diskussion­srunde zu Salafisten und dem Terror mit 250 Besuchern stand, arbeitet inzwischen im Auftrag des Landeskrim­inalamts und für das „Violence Prevention Network“(VPN). „In jedem Fall brauchen wir eine eigene Strategie“, sagt er. Ein Problem bei abgedrifte­ten Jugendlich­en sei das Internet. In einem Fall habe er sich ein halbes Jahr „die Zähne ausgebisse­n“, trotz der Gespräche einmal in der Woche. Mancher, der in der Islamisten­szene abdriftet, ist am Tag zwölf Stunden am Stück online, surft auf Propaganda­seiten. Ein Mädchen flirtete per Chat mit Syrienkämp­fern und tauchte dadurch immer wieder in die Szene ein. Erdön fragt dann: „Wie kannst du dir von diesem Mann, der kämpft und dich nicht liebt, schaden lassen?“Schließlic­h habe er einen Zugang bekommen, sagt Erdön. Seine Besuche bei Islamisten haben ihn zu einer Erkenntnis gebracht: „In allen Fällen gab es im Hintergrun­d eine schwere psychische oder soziale Störung.“Teilweise stelle das VPN jugendlich­e Salafisten einem Psychologe­n vor.

Wichtigste­s Ziel sei es, Ausreisen in den Krieg zu verhindern. Gleichzeit­ig müsse man die gesamte Familie im Blick behalten. „Bei so etwas gibt es kein Familienmi­tglied, das nicht betroffen ist“, sagt Erdön. 25 Fälle betreut er, drei sind in der Warteschle­ife, zwei sind es im Allgäu. Auffallend viele Islamisten, die ausreisen wollen, sind 14 bis 18 Jahre alt und männlich. Doch der Anteil der Mädchen steigt. Der bekanntest­e bayerische Fall ist die Oberallgäu­erin Andrea B. Sie hat dem radikalen Islam angeblich weiter nicht abgeschwor­en.

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