So sollen Islamisten umgedreht werden
Beim Landeskriminalamt kümmern sich Spezialisten um die Salafistenszene. Die ist auch in der Region aktiv. Warum sie nicht so einfach zu stoppen ist
Kempten/München Wie stoppt man Islamisten, bevor sie in den Krieg ziehen? Die Männer, die Extremisten zum Nachdenken bringen wollen, haben Büros zwei U-Bahnstationen entfernt vom Münchener Hauptbahnhof, hinter hohen Zäunen und jenseits eines kameraüberwachten Gehsteigs: Das „Kompetenzzentrum für Deradikalisierung“gehört zum bayerischen Landeskriminalamt und ist eine Antwort auf eine Geschichte, die Kempten 2014 in die Schlagzeilen brachte: Der Tod des damals 19 Jahre alten David G. in Syrien und der Auszug der Syrienkämpfer.
Mehr als zwei Jahre später gibt es nun das Kompetenzzentrum des Landeskriminalamts, über vier Ministerien verteilte Experten und zwei Projektträger in Augsburg und München mit dem Kemptener Mitarbeiter Korhan Erdön, die sich um Familien und Betroffene kümmern. Auch um Fälle aus dem Allgäu. Zum Vergleich: Als David G. 2014 starb, gab es nicht einmal ein Dutzend Berater für Betroffene – bundesweit.
Was also macht das Landeskrimi- nalamt besser als die Islamistenszene, die sich seit Jahren und ähnlich wie die Neonazi-Szene mit „Gefangenenhilfe“und Anwälten um die eigenen Leute kümmert? Holger Schmidt vom Kompetenzzentrum für Deradikalisierung sagt: Es sei die Mischung verschiedener Disziplinen. Acht Mitarbeiter, darunter ein Islamwissenschaftler und Kriminalpolizisten, gehören zum Team des Landeskriminalamts. 400 000 Euro stehen für externe Beratung zur Verfügung, vor allem für die Prävention. Mit Strafverfolgung, so viel ist inzwischen klar, ist dem Problem der Syrienkämpfer kaum beizukommen. Zwei Jahre, sagt Schmidt, wolle sich das Landeskriminalamt für das Projekt Zeit geben.
Korhan Erdön ist Teil dieses Projekts. Der 41-Jährige, der im Januar 2015 gemeinsam mit der dortigen Ditib-Moscheegemeinde hinter der damals größten bayerischen Diskussionsrunde zu Salafisten und dem Terror mit 250 Besuchern stand, arbeitet inzwischen im Auftrag des Landeskriminalamts und für das „Violence Prevention Network“(VPN). „In jedem Fall brauchen wir eine eigene Strategie“, sagt er. Ein Problem bei abgedrifteten Jugendlichen sei das Internet. In einem Fall habe er sich ein halbes Jahr „die Zähne ausgebissen“, trotz der Gespräche einmal in der Woche. Mancher, der in der Islamistenszene abdriftet, ist am Tag zwölf Stunden am Stück online, surft auf Propagandaseiten. Ein Mädchen flirtete per Chat mit Syrienkämpfern und tauchte dadurch immer wieder in die Szene ein. Erdön fragt dann: „Wie kannst du dir von diesem Mann, der kämpft und dich nicht liebt, schaden lassen?“Schließlich habe er einen Zugang bekommen, sagt Erdön. Seine Besuche bei Islamisten haben ihn zu einer Erkenntnis gebracht: „In allen Fällen gab es im Hintergrund eine schwere psychische oder soziale Störung.“Teilweise stelle das VPN jugendliche Salafisten einem Psychologen vor.
Wichtigstes Ziel sei es, Ausreisen in den Krieg zu verhindern. Gleichzeitig müsse man die gesamte Familie im Blick behalten. „Bei so etwas gibt es kein Familienmitglied, das nicht betroffen ist“, sagt Erdön. 25 Fälle betreut er, drei sind in der Warteschleife, zwei sind es im Allgäu. Auffallend viele Islamisten, die ausreisen wollen, sind 14 bis 18 Jahre alt und männlich. Doch der Anteil der Mädchen steigt. Der bekannteste bayerische Fall ist die Oberallgäuerin Andrea B. Sie hat dem radikalen Islam angeblich weiter nicht abgeschworen.