Jesus macht aus seinem Kreuz einen Selfiestick
Der islamistische Terrorismus, Pegida und die Satire: Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat in ihrem neuen Stück einen großen Wutgesang angestimmt. In der Münchner Inszenierung kommt noch Humor dazu. Passt das?
München Achtung, das ist Satire. Die Götter, die die Bühne betreten, sind keine wirklichen Götter. Nicht Buddha, nicht Ganesha, erst recht nicht das parodistische Spaghettimonster. Auch Jesus, der aus seinem Kreuz einen unpraktischen Selfiestick gemacht hat, ist nicht Jesus. Er wird von einem Schauspieler gespielt, der so tut als ob. Achtung, Satire. Damit das nicht vergessen wird, greift Regisseur Nicolas Stemann immer wieder ins Spiel ein während der Uraufführung von Elfriede Jelineks neuem Stück „Wut“an den Münchner Kammerspielen.
Die österreichische Literaturpreisträgerin Elfriede Jelinek hat in ihrem neuesten Bühnenwerk einen vielstimmigen Wutgesang angestimmt, der von Gott und der Religion handelt und davon, welche (Menschen-)Opfer vom Gläubigen verlangt werden. Das Stück kreist um die Terrorattacke auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und den Angriff auf einen jüdischen Supermarkt einen Tag später. Der Attentäter, der das filmen wollte, der extra eine Action-Kamera dabei hatte, jammert im Stück herum, dass er ein Internetproblem mit seinem Laptop habe. Auch die griechischen Schulden tauchen auf, „sie zahlen einfach nicht!“, Pegida kommt vor sowie Herakles, der hier mal nicht der strahlende griechische Sandalenheld ist, weil von seiner durch Hera hervorgerufenen Raserei gesprochen wird, in der er seine Kinder erschlagen hat.
Gott und der Mensch, das ist nicht nur eine Liebes-, das ist bei Jelinek auch eine Gewaltbeziehung, eine, die in Wut versetzt. Und gleichzeitig bricht Jelinek das in ihrem Text immer wieder geschickt.
Als Regisseur Stemann – der Spezialist für Jelinek-Stücke, es ist seine achte Jelinek-Inszenierung – am Anfang selbst zum Mikrofon greift, gibt er dem Publikum erste Regieanweisungen: Das Stück sei ziemlich umfangreich, der Text stark, deshalb werde der Theaterabend länger. Rund vier Stunden. Damit es nicht noch länger werde, gebe es keine Pause. Stattdessen werden die Türen geöffnet. Man könne „ausnahmsweise“die Getränke und das Essen von draußen mit in den Saal nehmen.
Woraufhin zur Mitte des Stücks gut 25 Minuten Theateranarchie ausbrechen. Die Türen offen, ständig gehen und kommen Zuschauer. Die Gespräche draußen konkurrieren mit dem Stück. Die Trennung zwischen Bühne und Saal ist aufgehoben. Und es funktioniert.
Das Tolle daran ist, dass Stemann dies gegen Ende des Stückes aufnimmt und variiert. Das Publikum wird auf die Bühne geladen. Vorne gebe es Sekt und Party. Woraufhin im Parkett eine zweite Wanderungsbewegung ausgelöst wird. Nur unterbricht das Stemann gleich, sie hätten es sich anders überlegt, Sicherheitskontrollen seien nötig. Security-Mitarbeiter stellen drei Schleusen auf. Augenblicke später geht gar nichts mehr: „So, wir können leider nicht jeden aufnehmen. Es langt.“Der eiserne Vorhang wird runtergefahren. Drinnen geht das Stück weiter, draußen bleiben nur Staunen und Videoproduktionen vom Geschehen.
Stemann und den Münchner Kammerspielen gelingt mit diesem Jelinek-Abend ein großer Wurf, der mehr an eine Sinfonie als ein Theaterstück erinnert, durch Wiederholungen des Texts, durch den Wechsel von einzelner Rede und Chor, durch Videoeinblendungen vom Geschehen, die ständig Doppelungen, manchmal auch Kommentare geben. Wie aus einer Partitur wird immer wieder aus dem Textbuch gelesen. Als Clownerie beginnt es, mit dem Satz „Wenn alles tot ist, ist alles gleich“, endet es.
Vor allem die Live-Musik von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel verstärkt den Eindruck einer Sinfonie. Als Steve Reichs minimalistisches Stück „Piano Phase“angespielt wird, erzählen Videoeinblendungen, dass das Stück 14 Minuten dauert (Gelächter im Saal) und dass es im März 2016 in der Kölner Philharmonie wegen eines Tumults abgebrochen werden musste. „Das soll Kunst sein?“– „Kunstkacke“. Mit der im Anschluss geworfen wird: Achtung, das ist Satire. Das Publikum jubelt.
OWeitere Termine am 19. und 24. April sowie am 8. und 26. Mai