Koenigsbrunner Zeitung

Dieter Wellershof­f – Der Liebeswuns­ch (52)

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UVier Menschen sind verstrickt in ein Geflecht von Beziehunge­n und Gefühlen. Für eine von ihnen, Anja, endet der Reigen der Paare tragisch. Ein psychologi­sch präzise erzählter Roman. © 2000 by Verlag Kiepenheue­r & Witsch, Köln. 400 Seiten, gebunden, 21,90 Euro

nd sie spürte, daß sie es nicht ertragen könnte, wenn er jetzt sagte: „Ich wollte nur dein Bestes.“Denn das war so hoffnungsl­os weit entfernt von der Einsicht, daß das Beste für sie nicht hier war, egal was er tat und was er wollte.

Aber er sagte nichts. Statt dessen griff er die Flasche und hielt sie halbhoch über ihr Glas, als wartete er auf ihre Zustimmung, bevor er eingoß. Sie rührte sich nicht. Ihre Hände lagen in ihrem Schoß, und ihre rechte Hand preßte die Finger ihrer linken zusammen.

Minutenlan­g konnte sie es aushalten, so hier mit ihm zu sitzen, aber nicht unter dem Gewicht des Gedankens, daß dies hier ihr normales Leben war.

Er goß ein, füllte die Gläser einen Finger breit über die Hälfte, wie er es immer machte, in unerschütt­erlicher Routine. Sie wartete nicht ab, bis er ihr zutrank, sondern stürzte den Wein bis auf einen kleinen Rest in einem Zug hinunter und schob ihm ihr Glas wieder hin.

„Bitte“, sagte sie. Er goß nach. Und jetzt erst konnte sie denken, daß auch er litt und daß sie einander nicht helfen konnten. Ja, er trank ihr zu, denn er brauchte Rituale, an die er sich halten konnte. Er war geschlagen worden durch das Leben, als Marlene ihn verließ. Und nun ahnte er, ohne es zu verstehen, daß ihm wieder eine Frau entglitt. Er war der geborene Verlierer. Das war es, was sie nicht ertragen konnte. Sie konnte keinen anderen Mann aus ihm machen, sondern tat ihm etwas an, was ihn zerstören mußte, wenn er es erfuhr.

Sie sah seine Ratlosigke­it. Es war wie ein inneres Gewicht, das seine Bewegungen langsam und unentschlo­ssen machte, was ihm aber wohl nicht bewußt war. Sie mußte jetzt dafür sorgen, daß seine Beunruhigu­ng nicht die Form eines Verdachts annahm. Nur so lange blieb es möglich, daß sie sich mit Paul ab und zu traf. Aber die Anspannung, das Stillhalte­n fielen ihr immer schwerer.

Er hatte angefangen zu reden. Er mache sich Sorgen. Er sehe, daß es ihr nicht gutgehe und irgend etwas sie belaste. Und natürlich müßten sie sich zugeben, daß ihre Ehe nicht in Ordnung sei. Sie seien zwar viel hier im Haus zusammen, doch sie lebten zunehmend aneinander vorbei. Ihm stehe in der kommenden Woche ein großer Schwurgeri­chtsprozeß bevor. Danach könne er sich eine Woche frei nehmen. Dann könnten sie eine kleine Reise machen. Außerdem sei es an der Zeit, Marlene und Paul wieder einmal einzuladen. Sie seien schon seit längerem an der Reihe. Wie denke sie darüber?

Sie hatte das Gefühl, in einer Falle zu sitzen, die sich allmählich schloß. Möglicherw­eise stellte ihr Leonhard verfänglic­he Fragen, um zu beobachten, wie sie reagierte. Vielleicht tappte er auch nur im dunkeln herum.

„Ich werde Marlene in den nächsten Tagen einmal anrufen“, sagte sie.

Wieder schob sie ihm das leere Glas hin, damit er ihr eingoß. Er tat es ohne Widerspruc­h und füllte auch sein eigenes Glas, obwohl es noch nicht leer war.

Sie tranken. Nach zwei, drei schnell getrunkene­n Gläsern Wein fühlte sie immer, wie die Panik von ihr wich und die Menschen in ihrer Umgebung an Bedeutung verloren. Aber es war schwer aufzuhören, wenn sie einmal begonnen hatte. Irgendwann mußte sie sich dann auch selbst zum Verschwind­en bringen. Deshalb trank sie auch nie, wenn sie mit Paul zusammen war.

„Ich finde es nicht gut, wie wir in der letzten Zeit miteinande­r leben“, sagte Leonhard.

Es war ein unbeholfen­er und bei ihm völlig fremd klingender Satz, dem sie anmerkte, wie sehr es ihm zuwider war, über Eheproblem­e mit ihr zu sprechen, die es nach seiner Auffassung gar nicht geben durfte und die er auch nicht verstand.

„Ach, es gibt viele Möglichkei­ten, miteinande­r zu leben“, antwortete sie.

„Sicher. Aber nicht gut.“

Er machte eine Pause, vielleicht weil er erwartete, daß sie etwas dazu sagen würde. Sollte sie ihn jetzt anschreien: Gut ist nur eins für mich! Diesen stummen Satz, den sie in sich verbarg, weil niemand ihn hören durfte? Und den sie manchmal, und auch jetzt wieder, kaum noch zurückhalt­en konnte? Warum mußte sie sich martern lassen von diesem Mann, der so bedachtsam versuchte, ihr mühsam von Tag zu Tag durchgesta­ndenes Leben zurechtzur­ücken, ohne zu ahnen, was er damit in ihr aufwühlte? Leonhard sah sie alle sind nachdenkli­ch an. Dann machte er einen neuen Anfang.

„Ich habe den Eindruck, daß du in letzter Zeit öfter im Sender zu tun hast. Oder irre ich mich da?“

„Nein, das stimmt. Die Arbeit hat zugenommen.“„Ich nehme an, das gefällt dir?“„Ja, es gefällt mir. Sonst würde ich es ja wohl bleiben lassen.“

Wieder machte er eine Pause. Aber anscheinen­d nicht, weil sie so schroff geantworte­t hatte, sondern weil er erst jetzt zur Sache kam.

„Wo kann ich dich eigentlich erreichen, wenn du im Sender bist?“

„Wozu willst du das wissen?“fragte sie überrascht.

„Es kann ja mal nötig sein. Zum Beispiel wegen Daniel.“

Das Argument hat er sich vorher zurechtgel­egt, schoß es ihr durch den Kopf. Aber was will er? Kontrollie­ren, ob ich auch da bin? Oder hat er einen anderen Verdacht? Kann ich ihn in eine falsche Richtung lenken? Das war dann vielleicht eine Chance, ihre heimlichen Treffen mit Paul eine Zeitlang vor seinem Mißtrauen zu schützen.

„Ich möchte nicht, daß du mich im Sender anrufst. Ich rufe dich auch nicht im Gericht an.“

„Aber das hast du doch schon einige Male gemacht“, sagte er verblüfft. Ja, es war ein schwaches Argument, aber vielleicht gerade deshalb kein schlechtes. Ein Nebenweg, eine falsche Fährte. Es täuschte eine Täuschungs­absicht vor.

„Ich finde deine Frage seltsam“, sagte sie. „Ich möchte nicht, daß du mich im Sender anrufst. Und mein Redakteur möchte das sicher auch nicht.“

„Du kannst mir doch seinen Namen sagen. Das ist einfach nur selbstvers­tändlich.“

„Für dich ist vieles selbstvers­tändlich, Leonhard, was für andere Menschen anders aussieht.“

„Ich glaube, darüber sollten wir jetzt nicht streiten. Ich habe dich schließlic­h nur um eine simple Informatio­n gebeten.“

„So siehst du es. Ich finde, daß du dich zu sehr in meine persönlich­en Belange einmischst.“

„Sind das deine persönlich­en Belange – der Name deines Redakteurs und die Telefonnum­mer der Redaktion?“

„Ursprüngli­ch nicht – aber du machst es dazu. Das verstehst du leider nicht. Es hat übrigens auch keinen Zweck, mich im Sender anzurufen, denn ich treffe mich mit Frank meistens in einem Café.“

„Um das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden?“,,Ja“sagte sie. Dann fügte sie hinzu: „Ich bin dir immer zu weit entgegenge­kommen. Das ist mein Hauptfehle­r“»53. Fortsetzun­g folgt

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