Koenigsbrunner Zeitung

Mach’s noch einmal, Jochen

- VON BASTIAN SÜNKEL

Ex-Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeye­r covert in der Kantine vor sich hin. Darf der das? Ist das gut? Das Publikum diskutiert

Augsburg Als Flo dazwischen­funkt ist es längst zu spät. Markus holt zur Gegenoffen­sive aus und seine Freundin Andrea schaut ungläubig, als hätte jemand Gott geleugnet – mitten in der Ostermesse. Natürlich könne Jochen das. Und wenn Jochen Songs covern will, dann covert Jochen Songs. Wie einst Johnny Cash. Basta. Flo steigt ein: „Wie alt bist du überhaupt? 30? Du hast doch keine Ahnung!“

An diesem Abend ist es tatsächlic­h nicht leicht, Publikum unter 40 zu finden. Auf der Bühne steht Jochen Distelmeye­r. Ein Mann, der mit seiner ehemaligen Band Blumfeld dem hiesigen Pop Anfang der Neunziger das zurückgab, was er in den Iden der Neuen Deutschen Welle verloren hat. Seele. Verstand. Poesie. Den Hauch von Aggression und Aufbruch. Deutscher Pop wurde plötzlich wieder anspruchsv­oll und just zu jener Zeit schmiedete sich eine quasi unerschütt­erliche Fangemeind­e zusammen, die niemals ihren Jochen verraten würde. Jetzt stehen sie hier, vor der Bühne der Augsburger Kantine und vorne steht er. Ohne seine Band Blumfeld, die sich 2007 auflöste. Dafür mit einem nagelneuen Album, das sich – und genau hier beginnt der Konflikt – zu 100 Prozent aus Cover-Songs zusammense­tzt.

Radiohead. Nick Lowe. Aber auch Pop-Nummern von Britney Spears und Avicii. Bei anderen Musikern würde man von Einfallslo­sigkeit sprechen, von einem schnellen Wurf. Andere müssten sich den Vorwurf gefallen lassen, aus Geldmangel einen Schnellsch­uss zu wagen. Bei Jochen Distelmeye­r überlegen die versammelt­e Feuilleton­isten-Riege und natürlich die Fans, wo sich diesmal die höhere Ebene versteckt. Natürlich, da ist seine unverwechs­elbar weicher Sound, wenn er an diesem Abend Lana Del Reys „Video Games“wispert, als säße er am Lagerfeuer und alle Blicke sind auf den Barden gerichtet. Szenenappl­aus. Oder weil er als Philosoph der Populärmus­ik zeigt, welche Songs sich wirklich lohnen, nachzuspie­len. Weil er dank seines fundierten Hintergrun­dwissens einen Anekdotens­chatz aufteilt. Aber bei aller Liebe zu dem, was er geschaffen hat: Die Frage muss erlaubt sein. Warum greift einer der größten deutschspr­achigen Pop-Poeten, der zuletzt mit seinen gefeierten Roman „Otis“im Rampenlich­t stand, auf die Texte anderer zurück?

Klaus bebt. Als Fan der ersten Stunde fragt er sich, anders als seine drei Vorgänger: „Was soll das?“Er ist trotzdem gekommen, obwohl er wusste, was auf ihn zukommt. Er hat kein Verständni­s und zeigt sich erst annähernd versöhnt, als Distelmeye­r nachlegt. Eine Zugabe als Werkschau bester Zeiten: „Tausend Tränen tief“, „Ich – wie es wirklich war“und „April“. Das Konzert teilt sich in zwei und letztlich kann nur einer die Frage nach dem Covertrieb beantworte­n: „Ich hatte Lust darauf und wollte den Fans etwas zurückgebe­n – trotz wenig Zeit“, sagt Jochen bei der Autogramms­tunde.

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Foto: W. Diekamp Jochen Distelmeye­r ist seit 2007 auf Solopfaden unterwegs.

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