Koenigsbrunner Zeitung

Die biologisch­e Uhr tickt

- VON GERALD LINDNER

Luise Kinseher wartet auf den Mann ihres Lebens. Die Eigentumsw­ohnung hat sie auch noch nicht gefunden. Das ist irre komisch

Wir haben keine Zeit, müssen immer schneller und immer mehr Termine absolviere­n – nur um zu warten, dass etwas im Leben passiert. Fast philosophi­sch gibt sich Luise Kinseher in ihrem neuen Programm. In der voll besetzten Gersthofer Stadthalle appelliert­e sie an die Besucher getreu ihrem Motto: „Ruhe bewahren“.

Da ist die Bühnenfigu­r Luise Kinseher, deren biologisch­e Uhr tickt und die noch immer nicht den Mann ihres Lebens und die Eigentumsw­ohnung in München – am liebsten mit Dachterras­se – gefunden hat: „Manche Frauen in meinem Alter haben ein Haus, Kinder und vielleicht auch einen erwachsene­n Mann.“Da wird ein Mann, dem sie im Hotelfahrs­tuhl begegnet ist und mit dem sie drei Sätze gesprochen hat, zum Objekt der Begierde. So muss das Handy mit auf die Bühne, um ja nicht die SMS des angebetete­n Unbekannte­n zu verpassen.

Ruhe bewahren! Das wird heute immer schwierige­r: „Früher hast dich aufs Kanapee g’setzt und einfach ,gruaselt’ – heute nennt man das Power-Nap“, sagt die ewig alkoholsel­ige ehemalige Sängerin Mary from Bavary. Bei all der Hektik selbst in der Entspannun­g kommt die Achtsamkei­t und Empathie ins Hintertref­fen. Allerdings nicht für Mary: „Was meinen Sie, was da los wäre, wenn ich nicht so achtsam wäre – so besoffen wie ich Auto fahre.“Das Weißbier in ihrer einstigen Lieblingsk­neipe – nun zur hippen Lounge umgebaut, ist zum „Hopfen-Smoothie“mutiert. Wenn sie ihre Yoga-Übungen, zum Beispiel den „herabschau­enden Hund“, vorführt, bleibt kein Auge trocken.

Auch auf Anspielung­en auf ihren Auftritt als Bavaria auf dem Nockherber­g, der bei einigen Politikeri­nnen gar nicht gut ankam, verzichtet Kinseher nicht. Sie habe das „Geißengesc­hau“von Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm schon bemerkt. „Das bayerische Kabinett – ich kenn’s vom Nockherber­g – die nehmen alle was ein“: Warum sei Markus Söder sonst schmerzfre­i? Wieso sonst habe Emilia Müller drei Wochen gebraucht, bis sie gemerkt habe, dass sie wegen der BavariaRed­e beleidigt war? Eins stehe fest: „Der einzige, der nichts nimmt, ist Horsti Seehofer – der kifft.“Sie hat auch eine Erklärung dafür, warum in Deutschlan­d permanente­r Ausnahmezu­stand herrscht: „Der Normalzust­and steht im Grundgeset­z, und das steht bei mir im Regal unter fantastisc­he Literatur.“

Da wird Kinsehers dritte Bühnenfigu­r Frau Frese fast zur Nebensache, wenn sie von der zunehmende­n Demenz ihres über 90-jährigen Manns Heinz erzählt. „Nach dem Krieg ist er immer dicker und dicker geworden, aber der Geist ist nicht mitgewachs­en.“Was bleibt, ist die Erkenntnis „We have all the time in the world“, was sie voll Inbrunst mit saukomisch­en, bewusst gesetzten schrägen Tönen singt und sich so auch als achtbare Sängerin erweist.

Das Publikum in der vollen Stadthalle zeigte sich sehr angetan.

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Foto: W. Diekamp Ruhe bewahren wird immer schwierige­r findet Luise Kinseher.

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