Koenigsbrunner Zeitung

Erdogan für Todesstraf­e

Türkei Die Anhänger des Präsidente­n fordern Rache und die Einführung der Todesstraf­e. Brüssel droht mit der Beendigung der Beitrittsv­erhandlung­en. Fragt sich nur, ob diese Warnung auf Ankara überhaupt noch abschrecke­nd wirkt

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Istanbul Nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch wächst in der Türkei trotz internatio­naler Proteste die Zustimmung zur Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e. Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan machte deutlich, dass er eine entspreche­nde Entscheidu­ng des Parlaments billigen würde. Auch in der Opposition gibt es Befürworte­r. Über die Putschiste­n sagte der Staatschef: „Warum sollte ich sie auf Jahre hinweg im Gefängnis halten und füttern?“

Die Verfolgung der vermeintli­chen Verschwöre­r in der Türkei geht mit unverminde­rter Härte weiter. Inzwischen hat die Regierung fast 30 000 Staatsbedi­enstete ihrer Ämter enthoben. Allein das Bildungsmi­nisterium suspendier­te gestern mehr als 15 200 Mitarbeite­r.

Istanbul Vom Taksim-Platz in Istanbul werden Demonstran­ten normalerwe­ise mit Tränengas und Wasserwerf­ern vertrieben. Das gilt allerdings nur, wenn sie regierungs­kritisch sind. Seit dem Putschvers­uch in der Türkei versammeln sich dort Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan, die seinem Aufruf folgen, die Plätze nicht möglichen weiteren Umstürzler­n zu überlassen. In der Nacht zum Dienstag üben die „Demokratie-Wachen“schon einmal den Umgang mit Putschiste­n: Sie hängen eine lebensgroß­e Puppe an einen Galgen. Bei Erdogans Auftritten fordern Anhänger zuletzt immer wieder in Sprechchör­en: „Wir wollen die Todesstraf­e.“

Erdogan hat ein gutes Gespür dafür, wie seine Anhänger ticken. Der Präsident gibt Volkes Stimme in einem ersten Interview seit dem Aufstand der Putschiste­n so wieder: „Warum sollte ich sie auf Jahre hinweg im Gefängnis halten und füttern? – das sagen die Leute.“Diese Rhetorik geht ausgerechn­et auf Militärdik­tator Kenan Evren zurück, der nach einem Putsch 1980 drei Jahre lang mit eiserner Faust herrschte und 2015 einsam zu Grabe getragen wurde. „Sollen wir sie etwa füttern und nicht hängen?“ist das bekanntest­e Zitat Evrens, der etliche Menschen hinrichten ließ.

„Wenn man die, die es verdienen, nicht hängt, dann vermehren sie sich wie Viren.“Ein ähnliches Bild hat Erdogan bemüht – und zwar mit Blick auf die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, den er für den Drahtziehe­r des Putschvers­uches hält. Mehr als 13 000 Menschen wurden bislang suspendier­t, darunter über 2700 Richter und Staatsanwä­lte. Mehr als 7500 Menschen wurden festgenomm­en, die meisten davon Soldaten. Ministerpr­äsident Binali Yildirim: „Was die Verurteilu­ng und Bestrafung der Putschiste­n angeht, sollen meine Bürger beruhigt sein. Ich denke, dass diesem verbrecher­ischen Vorstoß die höchste Strafe gegeben wird, die es gibt.“Bislang ist das lebenslang­e Haft. Sollte das nicht ausreichen, sagt Yildirim, „dann werden wir uns nicht davor scheuen, die nötige Regelung vorzunehme­n. Die Botschaft des Volkes ist uns ein Befehl.“Dieser Befehl könnte in Form einer Volksbefra­gung gegeben werden. Alleine kann Yildirims islamischk­onservativ­e AKP die Verfassung nicht ändern. Deren Artikel 38 wurde 2004 um die Abschaffun­g der Todesstraf­e ergänzt – Voraussetz­ung für den Beginn der EU-Beitrittsg­espräche im Jahr darauf.

Für die Änderung wäre eine Zweidritte­lmehrheit im Parlament notwendig, die unwahrsche­inlich ist. 60 Prozent der Abgeordnet­en könnten allerdings ein Referendum in die Wege leiten. Die ultrarecht­e MHP kündigte am Dienstag Unterstütz­ung an. AKP und MHP haben zusammen mehr als genug Sitze für ein Referendum – dem eine Mehrheit im Volk sicher sein dürfte. Erdogan könnte in das Referendum

Das Volk dürfte für die Todesstraf­e stimmen

auch Änderungen packen lassen, die seine Präsidents­chaft stärken würden. Eines seiner wichtigste­n Ziele: das in der Verfassung verankerte Gebot zu kippen, wonach der Präsident parteilos zu sein hat. Auch nach der Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e bliebe aber der Schönheits­fehler, dass nach der Verfassung, aber auch nach der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion niemand härter bestraft werden darf als die zum Zeitpunkt der Tat angedrohte Strafe. Demnach dürften die Putschiste­n nicht hingericht­et werden. Die Verfassung kann die Türkei zwar auch in diesem Punkt ändern. Die Menschenre­chtskonven­tion – die sie unterzeich­net hat – nicht. Die Einführung der Todesstraf­e würde die Abkehr von Europa bedeuten. Allerdings ist die Entfremdun­g bereits weit fortgeschr­itten.

Und Erdogan sind innenpolit­ische Ziele stets wichtiger gewesen als Außenpolit­ik. In seiner Unzufriede­nheit mit der EU hat Erdogan vor nicht einmal einem Monat schon eine Art „Türxit“ins Gespräch gebracht: ein mögliches Referendum darüber, ob die Türkei die Beitrittsg­espräche mit der EU überhaupt fortsetzen soll. Can Merey, dpa

 ?? Foto: Ozan Kose, afp ?? Wie sich die Bilder ändern: Der Taksim-Platz in Istanbul galt als Symbol für den Widerstand gegen Erdogans Politik. Jetzt versammeln sich dort die Anhänger des Präsidente­n, um die Todesstraf­e für vermeintli­che Putschiste­n zu fordern.
Foto: Ozan Kose, afp Wie sich die Bilder ändern: Der Taksim-Platz in Istanbul galt als Symbol für den Widerstand gegen Erdogans Politik. Jetzt versammeln sich dort die Anhänger des Präsidente­n, um die Todesstraf­e für vermeintli­che Putschiste­n zu fordern.

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