Koenigsbrunner Zeitung

Wann dürfen Polizisten töten?

Hintergrun­d Eigentlich sollen die Beamten Menschen schützen. Doch immer wieder müssen sie auch zur Waffe greifen. Manchmal mit tödlichem Ausgang. Und meist tauchen dann Fragen auf, ob das wirklich notwendig war

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Die tödlichen Schüsse aus Polizeiwaf­fen auf den Axt-Angreifer von Würzburg rücken das Thema Dienstwaff­engebrauch in den Mittelpunk­t. Unter welchen Umständen dürfen Polizisten zur „Ultima Ratio“greifen?

Wie oft schießen Polizisten in Deutschlan­d?

Rein statistisc­h schießen deutsche Polizisten etwa alle zehn Tage auf Menschen. Tote sind dabei selten. 2014 erschossen nach Zahlen des Bundesinne­nministeri­ums Polizeibea­mte sieben Menschen und verletzten 31 durch Kugeln. In 46 Fällen schossen die Beamten gezielt, meist in Notwehr. Nicht jeder gezielt gemeinte Schuss traf, daher gab es weniger Verletzte und Tote als Vorfälle. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor.

Wie werden die Beamten an der Waffe ausgebilde­t?

Im Schießtrai­ning üben die Beamten, möglichst so zu treffen, dass der Schuss nicht tödlich ist, zum Beispiel im Bein. Sie trainieren auch so genannte Deut-Schüsse, bei denen die Waffe gezogen und sofort ohne genaues Zielen abgedrückt wird.

Wie laufen Schusswaff­eneinsätze in der Praxis?

In der Praxis sieht es mit dem Waffeneins­atz aber oft ganz anders aus. Meistens müssen sich die Polizisten im Ernstfall in Sekundensc­hnelle auf eine kurze Entfernung verteidige­n, wenn ihre Pistole noch im Holster steckt. Die beste Chance, einen wirkungsvo­llen Treffer zu landen, bietet sich dem Beamten dann am Oberkörper. Der Einsatz von Pfefferspr­ay scheidet in solchen Situatione­n aus, weil es oft nicht sofort wirkt oder Täter in Extremsitu­ationen – eventuell unter dem Einfluss von Aufputschm­itteln – gar nicht darauf reagieren, erklärt der bayerische Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Peter Schall. In einem Schulungsv­ideo der amerikanis­chen Bundespoli­zei FBI ist zu sehen, wie ein geübter Messerangr­eifer auf eine Distanz von sieben Meter einen Polizisten mit dem Messer treffen kann, bevor er überhaupt die Waffe gezogen hat.

Kommt es dabei oft zu Exzessen?

In Deutschlan­d nicht. Es gibt allerdings immer wieder umstritten­e Fälle wie den des vermutlich psychisch kranken Regensburg­er Studenten Tennessee Eisenberg. Polizisten hatten 2009 16-mal auf den 24-Jährigen geschossen und ihn zwölf Mal getroffen. Nach seinem Tod brach in Bayern eine Debatte über die Verhältnis­mäßigkeit dieses Einsatzes los.

Was ist die rechtliche Grundlage für den Gebrauch der Waffe?

Gesetzlich geregelt ist der Einsatz der Dienstwaff­e im jeweiligen Polizeiauf­gabengeset­z (PAG) der Länder. Verkürzt und vereinfach­t steht im bayerische­n PAG: Polizisten dürfen nur in Extremsitu­ationen. Gründe dafür sind meist Notwehr oder der Schutz eines Bedrohten. Schießen ist aber auch dann erlaubt, wenn schwere Verbrechen oder die Flucht eines gefährlich­en Täters auf andere Weise nicht zu vereiteln sind. Die Verhältnis­mäßigkeit muss gewahrt sein. Wenn möglich, muss der Waffengebr­auch zunächst angedroht werden oder ein Warnschuss erfolgen.

Wie exakt sind die gesetzlich­en Vorschrift­en?

Recht konkret. Genaue Regelungen finden sich auch für Ausnahmen. So heißt es etwa in Artikel 66, dass Schusswaff­en nicht gegen Personen eingesetzt werden dürfen, die „dem äußeren Eindruck nach noch nicht 14 Jahre alt sind“. Geregelt ist auch, wann auf Personen in einer Menschenme­nge geschossen werden darf: nämlich dann, wenn aus der Menge heraus schwere Gewalttate­n begangen werden oder direkt bevorstehe­n.

Was ist der „finale Rettungssc­huss“?

Dieser Begriff beschreibt die gezielte Tötung von Straftäter­n durch Polizisten. Voraussetz­ung für einen solchen Schuss ist, dass Menschen nicht auf andere Weise aus einer lebensgefä­hrlichen Situation gerettet werden können. Finale Rettungssc­hüsse werden am häufigsten bei Geiselnahm­en eingesetzt. Das juristisch­e Konzept dafür wurde in den Siebzigerj­ahren nach der Olympia-Geiselnahm­e von München entwickelt. In 13 Bundesländ­ern gibt es diese Regelungen, nur in Berlin, SchleswigH­olstein und in Mecklenbur­g-Vorpommern nicht. Dort kann das gezielte Töten nur mit einer Notwehrode­r Nothilfe-Situation gerechtfer­tigt werden. Beamte können nach den Schüssen mit hohen Schadenser­satzforder­ungen konfrontie­rt sein

Was passiert, wenn ein Polizist einen Menschen erschossen hat?

Immer wenn ein Polizist einen Menschen tötet, leitet die Justiz ein Ermittlung­sverfahren ein, um zu überprüfen, ob das Vorgehen rechtmäßig war. Spezielle Ermittler des Landeskrim­inalamts übernehmen die Ermittlung­en. Wenn sich herausstel­lt, dass die Tötung rechtswidr­ig war, wird der Polizist vor Gericht gestellt.

Gibt es auch im Fall des Axt-Angreifers von Würzburg Kritik am Vorgehen der Polizei?

Nein. Eine Debatte hat sich in erster Linie an einer Twitter-Nachricht der Grünen-Politikeri­n Renate Künast entzündet. Sie schrieb nur drei Stunden nach dem Angriff „Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsun­fähig geschossen werden ???? Fragen!“und handelte sich damit viel Ärger ein. Der Vorsitzend­e der Deutschen Polizeigew­erkschaft, Rainer Wendt, sagte, der Vorgang werde akribisch untersucht. „Da brauchen wir diese parlamenta­rische Klugscheiß­erei überhaupt nicht.“GdP-Landeschef Peter Schall sagte: „Kein Kollege schießt gern. Denn er hat dann ein Ermittlung­sverfahren am Hals und ist enormen psychische­n Belastunge­n ausgesetzt.“Wenn jemand mit einer Axt auf Polizisten losgehe, habe er eben ein hohes Risiko. Schall: „Wenn er Glück hat, ist er nur verletzt, wenn er Pech hat, ist er tot.“

In der Praxis ist die Lage ganz anders als im Training

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Foto: Daniel Roland, afp Polizeibea­mte suchen nach dem Axt-Attentat die Bahngleise in der Nähe von Würzburg ab.

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