Koenigsbrunner Zeitung

„Das ist eine neue Qualität“

Interview Terrorexpe­rte Peter Neumann ist überrascht von der schnellen Radikalisi­erung des Würzburger Täters

- Peter Neumann, 41, ist Politikwis­senschaftl­er aus Würzburg und gilt als einer der renommiert­esten Terrorismu­sexperten der Welt.

Ist der Fall von Würzburg etwas anderes für Sie? Peter Neumann: Wenn so etwas in der Heimatstad­t passiert, ist so ein Anschlag schon etwas anderes. Gerade wenn es eine Stadt ist, die nicht jeden Tag in den Nachrichte­n ist. Man kennt die Orte, ich bin früher zu Spielen des SV Heidingsfe­ld gegangen, man kennt Leute aus dem Stadtteil und fragt sich natürlich, ob es denen gut geht. Alles ist viel konkreter.

Warum flüchtet jemand aus dem Land der Taliban und wird im Westen zum islamistis­chen Terroriste­n? Neumann: Es gibt noch nicht allzu viele Details. Ins Beuteschem­a des IS passen vor allem Leute mit persönlich­en oder psychische­n Problemen, Leute, die möglicherw­eise schon gewaltsame Tendenzen zeigten und sich dann an die Marke IS dranhängen. Die Vermutung liegt nahe, dass sich der Täter von Würzburg innerhalb der letzten Wochen in Deutschlan­d radikalisi­ert hat. Das ist ungewöhnli­ch. Typischerw­eise dauern Radikalisi­erungsproz­esse mehrere Monate oder gar Jahre. Das ist eine neue Qualität.

Wenn psychisch kranke Menschen andere Menschen angreifen oder töten, sprach man in der Vergangenh­eit von einem Amoklauf. Wo verläuft die Grenze zwischen Terror und Amok? Neumann: Vielleicht gibt es da keine so genaue Grenze. Und vielleicht müssen wir uns daran gewöhnen, dass der IS mit solchen Leuten offensicht­lich eine neue Zielgruppe identifizi­ert hat, die er für seine Zwecke einspannen kann.

Sie mahnen schon seit langem eine bessere Prävention­sarbeit an. Neumann: Wenn es mehr und bessere Prävention­sprogramme gäbe, könnte man solche Radikalisi­erungsproz­esse schneller erkennen. Man wird solche Prozesse dann nicht immer stoppen können. Aber es geht bei Prävention nicht nur darum, Leute davon abzuhalten, Extremiste­n zu werden. Prävention­sarbeit ist auch die Grundlage dafür, rechtzeiti­g polizeilic­he Maßnahmen einleiten zu können. Und es gab ja auch in diesem Fall nun einige Anzeichen: die Flagge des Islamische­n Staates in seinem Zimmer und offenbar ein Drohvideo, das nun aufgetauch­t ist. In 60 Prozent der Fälle sprechen die sogenannte­n einsamen Wölfe vorher mit Freunden, Bekannten oder der Familie über ihre Radikalisi­erung – oder sogar über konkrete Anschlagsp­läne.

Es fällt schwer zu glauben, dass die ISFührung einen jungen Mann ausgerechn­et mit einem Anschlag in einer fränkische­n Kleinstadt beauftragt. Dennoch kam das Bekenntnis sehr schnell. Neumann: Das ist Teil der Strategie: Auf der einen Seite die komplexen Operatione­n, die aus Syrien heraus organisier­t werden, auf der anderen Seite das Inspiriere­n von Einzeltäte­rn zu vergleichs­weise kleinen Anschlägen, die der IS für sich beanspruch­t.

Welche Bedeutung haben solche kleinen Anschläge für den IS? Neumann: Sehr einfache Aktionen lassen sich fast unmöglich verhindern und können einen unglaublic­h terrorisie­renden Effekt haben. Das hat der IS besser und früher verstanden als zum Beispiel El Kaida, die erst als letztes Mittel auf einsame Wölfe gesetzt hat. Der IS macht das von Anfang an und sehr konsequent. Diese Anschläge lösen große Panik aus und haben auch politische Effekte: Sie haben absolutes Potenzial, die Debatten in unseren Gesellscha­ften zu verändern, offene Gesellscha­ften zu spalten, Polarisier­ungen zu verstärken und dadurch Situatione­n zu schaffen, in denen sich weitere Leute radikalisi­eren. Das ist ein Teufelskre­is, den man verhindern muss.

Und gespaltene Gesellscha­ften und Destabilis­ierung der politische­n Lage sind genau das Ziel der Terroriste­n? Neumann: Ja. Und sie haben Erfolg. In Frankreich ist der politische Nutznießer des Terrors der rechtsextr­eme Front National, und in Deutschlan­d kann man sich auch gut vorstellen, dass auf der rechtspopu­listischen Seite diese Sache zynisch ausgeschla­chtet wird. Die Tat wird die Debatte über Flüchtling­e neu befeuern.

Gibt es Gemeinsamk­eiten zu dem Anschlag von Nizza? Neumann: Es scheint das gleiche Muster zu sein. Der Täter ist wieder ein einsamer Wolf, jemand, der sich schnell radikalisi­ert hat. Und die Tat verlief genau nach Anleitung des IS. Seit September 2014 fordert der IS seine Anhänger auf, etwas auf eigene Faust zu tun, wenn sie nicht nach Syrien kommen können. Auf der Liste der Vorschläge stehen unter anderem, mit einem Auto in eine Menschenme­nge zu fahren oder Leute mit einem Messer anzugreife­n.

Interview: Benjamin Stahl

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