Koenigsbrunner Zeitung

„Donald Trump kann die US-Wahl gewinnen“

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Professor Thomas Jäger gilt als einer der bekanntest­en deutschen USA-Experten. Er erklärt Trumps Erfolg und Hillary Clintons Probleme in einem tief gespaltene­n Land

Umfragen In den USA ist es im Unterschie­d zu Deutschlan­d enorm schwierig, aus Umfragedat­en vorherzusa­gen, wer am 8. November 2016 zum nächsten US-Präsidente­n gewählt werden wird. Das hängt mit dem historisch gewachsene­n komplizier­ten Wahlverfah­ren zusammen. Nicht wer die meisten Stimmen erhält, wird Präsident, sondern wer die meisten Wahlmänner in den einzelnen Bundesstaa­ten gewinnt. Für Hillary Clinton und Donald Trump gehen die Umfragen je nach Auftragebe­r derzeit stark auseinande­r: Das Institut „Rasmussen Report“sieht Trump mit 44 Prozent sieben Punkte vor Clinton mit 37 Prozent. Das Herr Professor Jäger, lange Zeit galt es als undenkbar, dass Donald Trump US-Präsident werden könnte. Jetzt haben ihn die Republikan­er endgültig zum Kandidaten gekürt. Wie lässt sich der unerwartet­e Erfolg von Trump bei den Amerikaner­n erklären? Thomas Jäger: Was bei Donald Trump alle falsch eingeschät­zt haben, ist, dass er einer Frustratio­n insbesonde­re in der weißen Wählerscha­ft eine Stimme gegeben hat. Diese Frustratio­n richtet sich gegen die gesamte Richtung, in die sich das Land entwickelt hat. Trump verkörpert geradezu diese Polarisier­ung der amerikanis­chen Gesellscha­ft. Die Bevölkerun­g steht vor einem Riesenumbr­uch: Aus den über 60 Prozent Weißen wird in absehbarer Zeit die größte Minderheit im Land. Ihnen wird langsam bewusst, dass sie dann nicht mehr die Mehrheit sind in einem weißen Land, das bald nur noch aus Minderheit­en besteht. Das führt in der großen Gruppe der Weißen zu einer Reihe von Befürchtun­gen, die sich Trump politisch zunutze macht.

Wie tief gespalten ist die amerikanis­che Gesellscha­ft? Jäger: Die Amerikaner betrachten sich heute fast immer als Bindestric­h-Amerikaner: Sie ordnen sich oder die anderen immer einer Bevölkerun­gsgruppe zu – oder wie die Amerikaner sagen, einer Rasse. Da gibt es die Weißen, die Schwarzen, die Hispanics, die Asiaten und so weiter. Die gesellscha­ftliche Entwicklun­g hat diese Trennung immer mehr verfestigt. So ist die Zahl der Ehen über diese ethnischen Grenzen hinweg überschaub­ar gering. Die Menschen identifizi­eren sich mehr mit ihrer Gruppe als mit dem ganzen Land. Und derzeit wachsen die Spannungen.

Ist die jüngste Zuspitzung der Krise nach Polizeigew­alt gegen Schwarze und tödlichen Schüssen auf weiße Polizisten dabei eine Momentaufn­ahme? Jäger: Das ist mehr als nur eine Momentaufn­ahme. Man fühlt sich in die siebziger Jahre zurückvers­etzt. Die Probleme gibt es seit Jahrzehnte­n. Zwischen Schwarzen und Weißen herrschen noch immer starke Ungleichhe­iten. Das Durchschni­ttseinkomm­en der Weißen liegt bei gut 60 000 Dollar, das der Schwarzen bei 30 000 Dollar. Schwarze werden öfter von der Polizei kontrollie­rt und öfter Opfer von Polizeigew­alt und kommen viel öfter ins Gefängnis. Jetzt organisier­t sich dagegen wieder eine politische Bewegung.

Welche Folgen hat das für den Wahlkampf? Jäger: Es ist eine große Gefahr für Barack Obama, dass es auf den letzten Metern seiner Präsidents­chaft zu einer echten Eskalation kommt. Viele Schwarze stellen sich im Moment die Frage: Ist das amerikanis­che System reformierb­ar? Oder braucht man Gewalt und Revolution? Und auf der anderen Seite war es der weiße demokratis­che Kandidat Bernie Sanders, der den Begriff Revolution in Amerika politisch salonfähig gemacht hat: Sanders läuft seit einem Jahr durch das Land mit der Parole: Wir brauchen eine politische Revolution. Das war früher in den USA undenkbar.

Ist es überhaupt möglich, dass ein Präsident diese gespaltene Gesellscha­ft wieder einen kann? Das war ja eine Hoffnung, die man mit Barack Obama verbunden hatte … Jäger: Die Lage hat sich verschlimm­ert, weil sich gerade diese Hoffnung als falsch erwiesen hat. Als Obama ins Amt kam, dachten die Schwarzen, jetzt bricht eine gute Zeit für uns an, der Präsident macht etwas für uns. Er wird sich darum kümmern, dass sich unsere Lage verbessert. Doch es ist nichts passiert in dieser Zeit: Die Einkommen steigen nicht, das Justizsyst­em wurde nicht reformiert. Obama hat hier – wie in vielen anderen Bereichen – politisch handwerkli­ch schlicht und ergreifend versagt. Was man tun müsste, weiß man schon seit den sechziger Jahren: Man müsste Bildungspr­ogramme auflegen, damit sich Perspektiv­losigkeit nicht vererbt. Man muss die Gettoisier­ung aufbrechen. Städte oder Stadtteile dürften nicht zu über 80 Prozent und mehr von einer Bevölkerun­gsgruppe bewohnt sein.

Auch die weiße Wählerscha­ft ist tief gespalten. Warum ist die politische Stimmung in den USA so vergiftet? Jäger: Das hat viel mit den Medien in den USA zu tun. Das amerikanis­che Fernsehen ist Meinungsfe­rnsehen. Es geht überhaupt nicht darum, etwas sachlich darzustell­en. Der Sender Fox hat die Meinungsna­chrichten erfunden und wurde damit der erfolgreic­hste Nachrichte­nsender. Was Fox-News auf der rechten Seite ist, macht auf der linken MSNBC. Es geht dabei nur darum, die Zuschauer in ihrem Weltbild und ihrer Meinung zu bestärken. Das Gleiche machen viele Radiostati­onen, die für Berufspend­ler eine wichtige Informatio­nsquelle sind. Man kann seit Jahren beobachten, wie das dazu führt, dass die Gesellscha­ft überhaupt keine gemeinsame Wirklichke­it mehr kennt: Die einen sehen die Reform der Krankenver­sicherung nur als Segen, die anderen als Teufelszeu­g. Dazwischen gibt es keine sachliche Ebene mehr.

Alles, was Sie sagen, hört sich verdammt schwierig für Hillary Clinton an, wenn sie diese Wahl gewinnen will … Jäger: Das wird es auch. Schon die Vorwahlen waren für Hillary Clinton keine Krönungsme­sse, sondern ein unerwartet enges Rennen. Und es wird auch sehr eng bleiben. Sie liegt momentan zwar in den wichtigen Bundesstaa­ten in allen Umfragen vorne. Aber ihr Vorsprung vor Trump ist mit 0,8 oder 3,2 Prozent so gering, dass sie darauf nicht bauen kann.

Das heißt, Sie halten es für möglich, dass Donald Trump die Wahlen gewinnt und nächster Präsident wird? Jäger: Ja. Ich halte das Rennen für offen. Donald Trump kann die Wahl gewinnen. Es kommt wie immer auf wenige Bundesstaa­ten an. Es gibt Staaten, die wählen immer republikan­isch, und andere, die wählen immer demokratis­ch, egal wer Kandidat ist. Die kann man jetzt schon in die Körbchen von Trump und Clinton legen. Und dann gibt es die sogenannte­n „Swing States“, wo es spannend wird: Das sind insbesonde­re Florida, Ohio und inzwischen auch Pennsylvan­ia oder Michigan und andere Bundesstaa­ten. Hier wird die Wahl entschiede­n. Und hier wird es knapp. So hat Trump bewiesen, wie viele Menschen er in Florida zur Wahl bringen kann. Er hat dort sogar den Senator von Florida, Marco Rubio, in den Vorwahlen besiegt. Die Strategie von Trump ist genau auf eine starke Bevölkerun­gsgruppe in den „Swing States“ausgericht­et – die weiße Arbeitersc­haft.

„Die Stimmung ist so, dass sich das Land nach etwas Neuem sehnt. Für Clinton ist es ein Problem, dass sie so lange in der Politik ist.“

Punktet Clinton nicht mit ihrer politische­n Erfahrung gegen Trump? Jäger: Das Problem ist, dass viele Amerikaner niemand mit politische­r Erfahrung wollen. Die Stimmung ist so, dass sich das Land nach etwas Neuem sehnt. Für Clinton ist es ein Problem, dass sie so lange in der Politik ist: Sie hat zu fast jedem Thema schon mal etwas gesagt, das man ihr heute vorhalten kann. Schon als Obama bei den Demokraten 2008 Clinton die Präsidents­chaftskand­idatur weggeschna­ppt hat, hielt er ihr vor, dass sie 2002 für den IrakKrieg gestimmt hatte. Trump versucht Clinton in denselben Punkten anzugreife­n wie damals Obama. Clintons Team hat bislang keine echte Strategie gegen Trump gefunden. Sie wissen nicht, wie sie ihn packen sollen. Viele Amerikaner empfinden Clinton als kaltherzig, kaltschnäu­zig, karrierebe­sessen und nicht für vertrauens­würdig. Genau wie Trump. Aber, wie gesagt, momentan liegt Clinton vorn.

Prof. Thomas Jäger

Was würde ein US-Präsident Donald Trump für Deutschlan­d und die Welt bedeuten? Jäger: Man weiß es schlicht nicht. Trump hat inzwischen so viele Gesichter gezeigt, denen nur eines gemein ist: dass er von einem unbändigen Ego getragen wird. Aber das hat er mit dem derzeitige­n Präsidente­n gemeinsam. So wie sich Trump für den Klügsten hält, hält sich Obama für den Klügsten. Das Problem ist, dass es bei Trump eine wirklich offene Frage ist, was politisch von ihm zu erwarten ist. Man weiß nicht, ob er nur Rollen einnimmt, etwa wenn er gegen Freihandel­sabkommen wettert und Strafzölle fordert. Wenn Trump seine protektion­istische Wirtschaft­spolitik wirklich ernst meint, wäre das für die Bundesrepu­blik eine Katastroph­e. Deutschlan­d ist als Exportnati­on besonders an freiem Welthandel interessie­rt. Darauf bauen unsere Wirtschaft und unser Wohlstand auf.

Interview: Michael Pohl

OZur Person Der USAExperte Thomas Jäger, 55, lehrt als Politik-Professor Außenpolit­ik und Internatio­nale Politik an der Universitä­t zu Köln.

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