Koenigsbrunner Zeitung

Der Bart ist weg

- VON ANTON SCHWANKHAR­T

Bei allem, was uns zur neuen Bundesliga-Saison neben Markus Hörwick, Matthias Sammer und dem VfB Stuttgart fehlen wird, wiegt der Verlust von Marco Sailer am schwersten. Das beginnt schon damit, dass der Name keinen besonders großen Wiedererke­nnungswert besitzt. Erst recht nicht jenseits von Darmstadt. Ältere Sport-Semester mögen bei Sailer „Toni“ausrufen und Österreich­s Skilegende von den Toten auferstehe­n lassen. Aber wenn es einen gibt, der äußerlich die größtmögli­che Distanz zum smarten Frauenlieb­ling Toni Sailer herzustell­en vermag, dann ist es Marco Sailer.

Damit wären wir beim Äußerliche­n, ohne dass über Marco Sailer nicht zu reden ist. In einer Phase der Menschheit­sgeschicht­e, in der Fußball eine Vorreiterr­olle auf dem Feld der Individual­isierung an Haut und Haaren einnimmt – mit dem Ergebnis, dass am Ende doch wieder alle gleich aussehen –, hat Sailer ein eigenes Gesicht entwickelt. Mag davon auch nicht viel zu sehen gewesen sein, der Gesamtentw­urf ist sympathisc­h. Abseits von Sterne-Coiffeuren atmete der Sailer-Bart den struppigen Duft von Freiheit und Abenteuer wie ihn Schweizer Alpöhis verströmen. Dass sich hinter den wildesten Bärten oft die empfindsam­sten Männer verbergen, ist bekannt. Auch der Darmstädte­r Rübezahl kann keiner Fliege etwas zuleide tun. Erst recht keiner Kuh, weshalb er vegan lebt.

Sailer hat dem Wahren, Guten und Schönen, für das der Aufsteiger aus Darmstadt stand, das Bärtige gegeben. Vom Bärtigen wiederum bekam der Klub Hingabe und Leidenscha­ft zurück. Wenn er nur den Ball so liebevoll handhaben könnte wie Kühe oder Schweine.

So aber findet die Geschichte nun ihr ökonomisch­es Ende. Mögen Fußball-Romantiker den SV Darmstadt noch immer als „Die Lilien“rufen, an seinen Publikumsl­iebling setzte der Klub kühl die Schere an. Für den längsten Bart der Bundesliga ist kein Platz mehr. Sailer weinte bittere Tränen, wie es sich für einen wilden Kerl mit einem weichen Herzen gehört, und ließ sich von seiner Frau trösten. Sein Bart wächst zur neuen Saison in Nordhausen beim viertklass­igen FSV Wacker.

 ?? Foto: dpa ?? „So trägt Mann Pelz“hieß eine Kampagne für die Tierschutz­organisati­on Peta, der Marco Sailer seinen Bart geliehen hatte.
Foto: dpa „So trägt Mann Pelz“hieß eine Kampagne für die Tierschutz­organisati­on Peta, der Marco Sailer seinen Bart geliehen hatte.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany