Koenigsbrunner Zeitung

Was ist los im Taubenschl­ag?

- VON JOSHENA DIESSENBAC­HER

Ein Podest, ein Zelt und ein geblümtes Sofa: Auf dem Moritzplat­z wartet die erste Festivalze­ntrale des Friedensfe­stes auf Gäste. Jeder ist willkommen. Doch was erwartet einen dort?

An diesen Tag werden sich die Besucher des Vorabend-Gottesdien­stes in der St.-Moritz-Kirche vermutlich noch lange erinnern, denn er endete mit einem skurrilen Moment: Als sich die schweren Türen der Kirche öffneten, wurden die Gläubigen von lauten Elektro-Beats empfangen und standen mitten in einer Freiluft-Techno-Party.

Dieser Moment stand definitiv nicht auf dem Programm, aber er drückt das aus, was auf dem Moritzplat­z seit dem 8. Juli geschieht und in den kommenden Wochen passieren soll und kann: das Zusammenko­mmen von allem und allen. Menschen, Einstellun­gen, Religionen, Kunst und Kultur. Der „Taubenschl­ag“, die permanente „Festivalze­ntrale“des Augsburger Friedensfe­stes, ist in dieser Form ein Novum beim traditions­reichen Fest. Bis zum 8. August ist die sogenannte Friedensze­ntrale jeden Tag von mittags bis abends geöffnet und bietet ihren Besuchern neben viel Programm auch die Möglichkei­t, einfach nur vorbeizuko­mmen und da zu sein.

Den Mittelpunk­t bildet ein längliches, schwarzes Podest mit beigen, stoffbezog­enen Stufen, auf denen fast zu jeder Uhrzeit Menschen sitzen, liegen, essen und sich unterhalte­n – oder auch eben nicht. Gleich daneben ist das Herz der Zentrale, ein Zelt, das durch seinen Holzboden, Teppiche und ein blumiges Oma-Sofa so gemütlich und einladend wirkt wie das eigene Wohnzimmer und das in den kommenden Wochen eben dies für jedermann sein soll, der sich hineintrau­t. Nicht, dass es die Höhle des Löwen wäre, ganz im Gegenteil, aber es gehört schon etwas Mut dazu, sich als Fremder – der man ja irgendwo ist, wenn man zum ersten Mal die Friedensze­ntrale besucht – in einem Raum mit fremden Menschen selbstvers­tändlich auf ein Sofa zu setzen und zu schauen, was danach passiert.

Aber Mut ist ja gefragt: Das Motto des Festes steht in riesigen Lettern auf einem Gebäude am Rathauspla­tz. Neulich war das kleine Wort mit der großen Bedeutung dann auch Thema im ZentralenZ­elt, „Speeddatin­g mit Courage“stand auf dem Programm. Hübsch aneinander­gereiht warteten sechs leere Holzstühle, ihnen gegenüber sechs sehr unterschie­dliche Menschen: ein Adeliger, ein Haftentlas­sener, ein trockener Alkoholike­r, jemand ohne feste Wohnung, ein Künstler, ein Unternehme­r und ein Arbeiter. Ziel war es weder, herauszufi­nden, wer wer ist oder gar einen Partner zu finden, sondern vielmehr, Begegnung ohne Schubladen möglich zu machen, erklärt Erwin Schlettere­r vom Verein Brücke: „Der Mensch besteht aus viel mehr als aus dem, was schiefgela­ufen ist. Es war mir wichtig, auch ein paar ,krumme‘ Lebensläuf­e zu haben.“

Das Geheimnis wurde auch nach ein paar Runden mit unterschie­dlichen anderen sechs Menschen nicht gelüftet, „es war aber auch völlig egal, wer wer ist“, sagt Teilnehmer­in Susanne Gutjahr, 40. Eine andere, 56, sagt: „Ich fand es hoch spannend, Menschen aus einer anderen Welt zu treffen.“Besonders beeindruck­t mit ihrer Klugheit und Menschenke­nntnis hat sie die Person, die, so vermutet sie, möglicherw­eise diejenige mit der Alkoholver­gangenheit war.

Auch Neil Buffington, 18 Jahre alt, hat die Aktion gefallen, er hat gemerkt, „dass Menschen bei allen Unterschie­den doch sehr gleich sind“. Bei allen Differenze­n auch Gemeinsamk­eiten zu finden und verschiede­ne Standpunkt­e in Ruhe auszudisku­tieren – darum soll es beim Taubenschl­ag auch gehen, betont Simson Hermann, der das Projekt organisier­t. Natürlich hat der 22-Jährige viele Helfer, aber er lädt ausdrückli­ch dazu ein, einfach zu kommen und sich einzubring­en – egal mit oder bei was.

Besucherin Lena-Marie Radu etwa hatte am Wochenende spontan einen Auftritt mit ihrem HulaHoop-Reifen – neben einem australisc­hen Feuerkünst­ler. Und der Autorin wurde von Mithelferi­n Daniela Flock die Gießkanne in die Hand gedrückt, denn die Blumen und Kräuter sind ja auch durstig.

Übrigens habe ich auch beim Speeddatin­g mitgemacht, und eine Frage lautete, wann man das letzte Mal Mut aufbrachte. Ich mochte die Frage und fand eine Antwort. So auch mein etwa 60-jähriger Gegenüber: Er sei schon ziemlich aufgeregt gewesen vor dem Speed Dating, aber jetzt sei er sehr glücklich darüber. Wie auch immer er heißt und ob er nun trockener Alkoholike­r, Adliger oder Obdachlose­r ist: Ich möchte ihm danken für einen sehr schönen Satz, den ich mir merken werde. Er heißt: „Schau es an, was es mit Dir macht.“

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Foto: Silvio Wyszengrad Viele, sehr unterschie­dliche Menschen begegnen sich im „Taubenschl­ag“, der Festivalze­ntrale des Friedensfe­stes, auf dem Moritzplat­z.

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