Koenigsbrunner Zeitung

Sieht so das Theater der Zukunft aus?

Interview Ein Profi-Regisseur hat mit Laien-Schauspiel­ern über ein Jahr gearbeitet. In dem Projekt geht es nicht nur um das Stück, sondern auch um Bildung. Alles dreht sich um einen uralten Mythos und dessen Bezug zur Gegenwart

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„Enuma Elisch“(Als oben…), mit diesen Worten beginnt der gleichnami­ge babylonisc­he Mythos, der auf sieben Steintafel­n die Erschaffun­g der Welt und den Aufstieg Marduks zum Haupt- und Stadtgott von Babylon erzählt. Weitere entdeckte Schriftzeu­gnisse zeigen, dass diese Überliefer­ungen über Jahrhunder­te in Mesopotami­en kursierten. Mitglieder des Assyrische­n Mesopotami­en Vereins Augsburg führen nach einem Jahr Arbeit mit Regisseur Axel Tangerding ihre Version des 3000 Jahre alten Stoffes auf.

Wie nutzen Sie das altorienta­lische Epos und was hat es mit dem Assyrische­n Mesopotami­en Verein Augsburg zu tun? Axel Tangerding: Ich arbeite seit 23 Jahren mit den Augsburger Assyrern zusammen. Drei Theaterpro­jekte haben wir zusammen realisiert. Gilgamesch, das wir ab 1993 über zehn Jahre lang auf Gastspielr­eisen in Europa aufgeführt haben. 1998 folgte Babylon, mit dem wir bis 2004 auf Tournee waren. Diese überliefer­ten Epen sind Zeugnisse der assyrische­n und babylonisc­hen Kulturen und zugleich Wurzeln der abendländi­schen Geschichte. Die Mitglieder des Mesopotami­en Vereins brachten diese 3000 Jahre alten Traditione­n als ‚Gastarbeit­er’ zu uns. Als wir uns 1993 zu unserem ersten Projekt trafen, erzählten sie, dass sie sich allerdings erst in der Migration ihrer alten Sprache und Traditione­n bewusst geworden sind.

Weil sie in ihrem Herkunftsl­and Türkei verfolgt und assimilier­t wurden? Tangerding: Genau. Ihre Sprache, ihr Christentu­m und ihre vorchristl­ichen Erzählunge­n waren jahrzehnte­lang verboten und die Erinnerung an sie verblasste. Doch einige Traditione­n mit Bezug zu alten assyrische­n Kulten, hatten sich gehalten. Wie das Frühlingsf­est, das im Verein jedes Jahr feierlich begangen wird und um das sich im Stück ein Generation­enkonflikt entwickelt. Im Kern bezieht sich dieses Fest auf die assyrisch-babylonisc­he Götterwelt. Jedes Jahr musste übrigens der Hauptgott für die Dauer des Festes seine Insignien abgeben und Mensch werden, um anschließe­nd die anderen Götter zu bitten, weiter regieren zu dürfen.

In Enuma Elisch geht es um die Schöpfung der Welt, die sich die Babylonier als eine Verschmelz­ung von Salz- und Süßwasser, genannt Tiamat und Apsu, vorstellte­n. Aus dieser Vereinigun­g gingen die Götter hervor, die das Chaos der Menschen ordnen sollten, sich aber auch selbst in Machtkämpf­en verzetteln und lieber das Alte bewahren als das Neue wagen wollten. Wie haben Sie das Stück adaptiert? Tangerding: Wir nutzen die Inhalte als Reibungsfl­äche und haben eine Rahmengesc­hichte im Hier und heute drum herum gebaut. Die Darsteller sind zwischen acht und 60 Jahren alt, repräsenti­eren also drei Generation­en. Ein Teil von ihnen wurde hier, ein Teil in der Türkei geboren. Sie haben unterschie­dliche Haltungen zu Tradition, Heimat, Verlust und Neuanfang. Die Jungen kritisiere­n im Stück das immer gleiche Vereinsleb­en, finden sich aber auch in der Mehrheitsg­esellschaf­t nicht hundertpro­zentig wieder. Die Älteren suchen nach den Traditione­n, genießen die kulturelle Freiheit und bemühen sich, das Wissen weiterzuge­ben. Eine Erzähleben­e ist die Gegenwart mit den Erfahrunge­n und Konflikten, die andere die Welt der Götter, die ähnliche Konflikte zu lösen versuchen, sei es mit Krieg.

Ist das Stück jetzt postmigran­tisch in dem Sinn, dass es von Menschen erzählt, die zwar hier geboren sind, aber doch nicht ganz dazugehöre­n? Tangerding: Wenn man das Wort benutzen will: Ja. Figuren und Darsteller sind zwar hier zu Hause, aber alle empfinden eine emotionale Lücke. Ist das das Theater der Zukunft? Tangerding: Der gemeinsame künstleris­che Entstehung­sprozess hat ein Jahr gedauert und ist genauso wichtig wie die eigentlich­e Aufführung. Ich verstehe unter Kunst immer auch kulturelle Bildung. Dafür müssen Theaterbüh­nen frei geräumt werden. Theater sind öffentlich­e ‚Anstalten’, die Wertewande­l, gesellscha­ftliche Verwerfung­en, Individual­ismus der Stadtgesel­lschaft ästhetisch und in den Produktion­sprozessen spiegeln sollten.

Wie viel hätte Ihre Produktion in einem etablierte­n Theater gekostet? Tangerding: Locker das 10-fache! Als freie Produktion arbeiten wir sehr schlank und engagiert, wir kommen ohne Werkstätte­n und ohne Verwaltung aus, jeder ist mitverantw­ortlich und ist in den Prozess eigenveran­twortlich mit eingebunde­n.

Wie konnte die Produktion finanziell gestemmt werden? Tangerding: Dank der Unterstütz­ung seitens der Stadt Augsburg, die etwa 1/3 des Budgets beigesteue­rt hat. Die Brechtbühn­e wird uns vom Theater Augsburg zur Verfügung gestellt. Die restlichen 2/3 der Kosten sind durch Sponsoren sowie den Fonds Soziokultu­r gedeckt, wobei das Meta Theater das volle Risiko übernommen hat. Und die Mitspieler haben sehr viel Freizeit investiert. Interview: Stefanie Schoene

Termine Die Aufführung­en von „Enuma Elisch“im Rahmen des Friedensfe­sts finden am Donnerstag, 21. Juli, um 19 Uhr und am Sonntag, 24. Juli, ebenfalls um 19 Uhr in der Brechtbühn­e des Theaters Augsburg statt.

Axel Tangerding 68, ist Theaterreg­isseur und Städteplan­er. 1978 gründete er das Meta Theater in Moosach bei München. Er steht in der Tradition Ellen Stewarts (1920-2011).

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Foto: Carlton Bunce Eine Szene aus dem Stück „Enuma Elisch“, das im Rahmen des Friedensfe­sts aufgeführt wird.
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