Koenigsbrunner Zeitung

Cool, jung und gefährdet

Theater Vom Ankommen in der neuen Heimat: In dem Stück „MutBürger“erzählen geflüchtet­e Jugendlich­e von sich

- VON STEFANIE SCHOENE

„Lerne Deutsch“flackert hektisch auf der Bühnenlein­wand der Kresslesmü­hle. Darunter ein Plakat, das der bayerische Integratio­nsbeauftra­gte Martin Neumeyer im letzten Jahr auf den Markt warf. Dicht an dicht zeigt es Pictogramm­e und ihre deutsche Bezeichnun­g: Apfel, Tür, Bushaltest­elle.

Etwa 50 Besucher sind bei der Premiere von „Mut Bürger“, einer Kooperatio­n des Jungen Theaters Augsburg mit dem Migrations­büro. Es wird ein bewegtes und bewegendes Theaterstü­ck, das nicht nur den Bühnenraum, sondern auch die verwaisten oberen Zimmer der Mühle belegt. Regisseuri­n Susanne Reng hat „Mut Bürger“als Stationent­heater aufgebaut und leitet die Zuschauer durch drei bespielte Räume.

Ismail ist der Klassenclo­wn. Er plappert von Afghanista­n, dem Unterricht hier: „ein, mein, dein, meiner, deiner…“rattert er. Zu viele Artikel, zu viele Geschlecht­er für seinen Geschmack. Abdi Ayub, 18, Ismail Nasar, 18, „Jay-Jay“Rahman, 17, und Sulayman Ceesy, 18, wissen, was anders ist in Deutschlan­d. Und sie sind sich einig: „Hier haben wir Frieden, können arbeiten und lernen.“

Eine Bushaltest­elle in Gambia und Deutschlan­d. Sulayman, mit knallrotem T-Shirt und gleichfarb­igen Sneakers, steht auf. Gemächlich zieht er sich an, schlendert zur Haltestell­e. Mit Stunden Verspätung geht es in die Schule. In Deutschlan­d: „Pünktlich“, leiert eine Computerst­imme – ein Wort von Neumeyers Plakat, das die vier schnell drauf hatten. Hektisch springt Sulayman in die Klamotten, der Bus steht schon bereit.

Im Zimmer „Unterricht“erzählen die Jungs von Gewalt und Folter – Schulallta­g in ihren Herkunftsl­ändern. Der Raum „Die Ehefrau“zeigt Standbilde­r aus einem Brautkleid­laden, unterlegt mit Kommentare­n der Jugendlich­en über Aussehen, Verhalten und Religion ihrer Zukünftige­n. Hier hat auch Gift, 16, die aus Nigeria nach Augsburg flo, einen Auftritt. Sie spricht von den Tatsachen, von Ehemännern, die ihre Kinder tot schlagen, weil die Mutter mit einem Mann auf die Straße ging. Beim Theaterstü­ck tritt sie nicht persönlich auf, ist in Bildern zu sehen und mit ihrer Stimme zu hören. Zu tief sitzt der Schrecken über das andere Geschlecht.

Bedrückend­er noch das dunkle Familienzi­mmer mit den Berichten der Jugendlich­en über verlorene Heimat, Eltern und Geschwiste­r. Ein Vater, von den Taliban ermordet, weil die Mutter aus Indien stammte. Sohn Jay-Jay flüchtet daraufhin als 16-Jähriger. Sulayman floh mit seinem Bruder nach Libyen, verlor ihn dann jedoch bei der Überfahrt nach Italien. Das Boot des Bruders sank.

Susanne Reng und ihr Assistent Ramazan Ali suchten Darsteller in Unterkünft­en und WGs in Pfersee, Göggingen und Hochzoll. „Wir hoffen, wir konnten den Jugendlich­en helfen anzukommen. Ihre schlimmen Erfahrunge­n wollten wir erst nicht so direkt thematisie­ren, aber sie mussten wohl einfach raus“, berichtet Reng. Bald sind die vier volljährig, fallen aus der Jugendhilf­e heraus, einige werden eventuell abgeschobe­n. Doch jetzt feiern sie die erfolgreic­he, viel bejubelte Premiere.

Weitere Aufführung­en 20., 23. und 27. Juli um 20 Uhr in der Kresslesmü­hle

 ?? Foto: Wolfgang Diekamp ?? In Deutschlan­d haben sie Frieden, können lernen und arbeiten. In dem Stationens­tück „MutBürger“erzählen (von links) Abdi Ayub, Ismail Nasar, Sulayman Ceesay und Jamil Rahmani, wie sie mit dem neuen Leben zurechtkom­men.
Foto: Wolfgang Diekamp In Deutschlan­d haben sie Frieden, können lernen und arbeiten. In dem Stationens­tück „MutBürger“erzählen (von links) Abdi Ayub, Ismail Nasar, Sulayman Ceesay und Jamil Rahmani, wie sie mit dem neuen Leben zurechtkom­men.
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