Cool, jung und gefährdet
Theater Vom Ankommen in der neuen Heimat: In dem Stück „MutBürger“erzählen geflüchtete Jugendliche von sich
„Lerne Deutsch“flackert hektisch auf der Bühnenleinwand der Kresslesmühle. Darunter ein Plakat, das der bayerische Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer im letzten Jahr auf den Markt warf. Dicht an dicht zeigt es Pictogramme und ihre deutsche Bezeichnung: Apfel, Tür, Bushaltestelle.
Etwa 50 Besucher sind bei der Premiere von „Mut Bürger“, einer Kooperation des Jungen Theaters Augsburg mit dem Migrationsbüro. Es wird ein bewegtes und bewegendes Theaterstück, das nicht nur den Bühnenraum, sondern auch die verwaisten oberen Zimmer der Mühle belegt. Regisseurin Susanne Reng hat „Mut Bürger“als Stationentheater aufgebaut und leitet die Zuschauer durch drei bespielte Räume.
Ismail ist der Klassenclown. Er plappert von Afghanistan, dem Unterricht hier: „ein, mein, dein, meiner, deiner…“rattert er. Zu viele Artikel, zu viele Geschlechter für seinen Geschmack. Abdi Ayub, 18, Ismail Nasar, 18, „Jay-Jay“Rahman, 17, und Sulayman Ceesy, 18, wissen, was anders ist in Deutschland. Und sie sind sich einig: „Hier haben wir Frieden, können arbeiten und lernen.“
Eine Bushaltestelle in Gambia und Deutschland. Sulayman, mit knallrotem T-Shirt und gleichfarbigen Sneakers, steht auf. Gemächlich zieht er sich an, schlendert zur Haltestelle. Mit Stunden Verspätung geht es in die Schule. In Deutschland: „Pünktlich“, leiert eine Computerstimme – ein Wort von Neumeyers Plakat, das die vier schnell drauf hatten. Hektisch springt Sulayman in die Klamotten, der Bus steht schon bereit.
Im Zimmer „Unterricht“erzählen die Jungs von Gewalt und Folter – Schulalltag in ihren Herkunftsländern. Der Raum „Die Ehefrau“zeigt Standbilder aus einem Brautkleidladen, unterlegt mit Kommentaren der Jugendlichen über Aussehen, Verhalten und Religion ihrer Zukünftigen. Hier hat auch Gift, 16, die aus Nigeria nach Augsburg flo, einen Auftritt. Sie spricht von den Tatsachen, von Ehemännern, die ihre Kinder tot schlagen, weil die Mutter mit einem Mann auf die Straße ging. Beim Theaterstück tritt sie nicht persönlich auf, ist in Bildern zu sehen und mit ihrer Stimme zu hören. Zu tief sitzt der Schrecken über das andere Geschlecht.
Bedrückender noch das dunkle Familienzimmer mit den Berichten der Jugendlichen über verlorene Heimat, Eltern und Geschwister. Ein Vater, von den Taliban ermordet, weil die Mutter aus Indien stammte. Sohn Jay-Jay flüchtet daraufhin als 16-Jähriger. Sulayman floh mit seinem Bruder nach Libyen, verlor ihn dann jedoch bei der Überfahrt nach Italien. Das Boot des Bruders sank.
Susanne Reng und ihr Assistent Ramazan Ali suchten Darsteller in Unterkünften und WGs in Pfersee, Göggingen und Hochzoll. „Wir hoffen, wir konnten den Jugendlichen helfen anzukommen. Ihre schlimmen Erfahrungen wollten wir erst nicht so direkt thematisieren, aber sie mussten wohl einfach raus“, berichtet Reng. Bald sind die vier volljährig, fallen aus der Jugendhilfe heraus, einige werden eventuell abgeschoben. Doch jetzt feiern sie die erfolgreiche, viel bejubelte Premiere.
Weitere Aufführungen 20., 23. und 27. Juli um 20 Uhr in der Kresslesmühle