Koenigsbrunner Zeitung

Die schwierige Suche nach der Wahrheit

- VON JÖRG HEINZLE

Die meisten Vergewalti­gungen spielen sich in Beziehunge­n und unter Bekannten ab. Oft steht Aussage gegen Aussage. Wie die Augsburger Kripo damit umgeht – und warum sie auch prüfen muss, ob die Vorwürfe stimmen

Es klingt nach einem furchtbare­n Martyrium. Eine 37-jährige Frau erscheint zusammen mit ihrem Ehemann im Sommer 2012 bei der Polizei. Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen einen zehn Jahre älteren Türken. Der Mann habe sie über Jahre hinweg bedroht, misshandel­t und vergewalti­gt – einmal sogar inmitten von Gräbern auf dem Nordfriedh­of. Was die Frau erzählt, klingt glaubwürdi­g. Der Mann sitzt acht Monate in Untersuchu­ngshaft. Erst im Prozess verstrickt sich das vermeintli­che Opfer in Widersprüc­he. Die Frau räumt ein, dass der Sex – auch auf dem Friedhof – freiwillig gewesen ist. Das Motiv für die Falschauss­age: Sie wollte Rache üben an ihrem Ex-Geliebten.

Kriminalra­t Helmut Sporer leitet das Kommissari­at 1 bei der Kripo. Die Ermittler in seiner Abteilung kümmern sich um Sexualverb­rechen, die sich im Großraum Augsburg abspielen. Die erfundene Vergewalti­gung auf dem Friedhof ist der heftigste Fall einer Falschbesc­huldigung, den der Ermittler in Erinnerung hat. „Wenn jemand über Monate als angebliche­r Sexualstra­ftäter zu Unrecht in Haft sitzt, ist das nicht akzeptabel“, sagt Sporer. „Der Ruf ist ruiniert, das soziale Umfeld wendet sich ab.“

Helmut Sporer hat länger darüber nachgedach­t, ob er über ein Phänomen sprechen soll, mit dem die Ermittler immer wieder konfrontie­rt sind: falsche Missbrauch­s- und Vergewalti­gungsvorwü­rfe. Er hat sich entschiede­n, es zu tun. Denn es gehört zur Realität im Alltag der Kripobeamt­en. Es gibt Frauen, denen Furchtbare­s angetan wurde. Opfer, die schlimmste Taten erlebt haben. Aber es gibt eben auch die Fälle, in denen sich die Vorwürfe als haltlos oder fragwürdig erweisen.

Über die Jahre hinweg hat sich daran nicht viel geändert, sagt Helmut Sporer. Bei etwa zehn Prozent der angezeigte­n Sexualstra­ftaten, die bei der Kripo bearbeitet werden, lässt sich nach einiger Zeit nachweisen, dass die Vorwürfe nicht stimmen. Im Jahr 2015 zählte die Kripo in Augsburg 26 Fälle von Vergewalti­gung und sexueller Nötigung. Dem gegenüber stehen drei Fälle von nachgewies­ener falscher Beschuldig­ung.

Bei Sexualstra­ftaten zu ermitteln, das gehört zu den schwierigs­ten Aufgaben überhaupt, die es bei der Polizei zu vergeben gibt. Deshalb sind es erfahrene, speziell geschulte Beamte, die damit betraut sind – Frauen und Männer. Die meisten Sex-Verbrechen spielen sich in Beziehunge­n und unter Bekannten ab. Die Beamten müssen dabei zwangsläuf­ig die Intimsphär­e beleuchten. Auch Opfern könne man es nicht ersparen, dass sie genau befragt werden. Eines ist Sporer aber wichtig: „Wenn wir akribisch ermitteln, dann geht es nicht um Misstrauen. Wir nehmen jeden Fall, der uns angezeigt wird, sehr ernst.“In einem Rechtsstaa­t sei es aber nötig, genau herauszufi­nden, was geschehen ist. Schließlic­h hänge davon ab, welche Straftaten am Ende einem Beschuldig­ten vorgeworfe­n werden. Und ob er für längere Zeit ins Gefängnis muss. Ein Problem ist auch: In der Regel gibt es bei Sexualstra­ftaten weder neutrale Zeugen noch andere Beweise. Es hängt meist alles davon ab, wer im Prozess glaubwürdi­ger ist: das mutmaßlich­e Opfer oder der Angeklagte. Auch deshalb müsse ein Opfer von den Ermittlern genau befragt werden. „Je detaillier­ter die Tat von uns ermittelt ist“, sagt Helmut Sporer, „umso eher gelingt es auch, einen Täter zu einem Geständnis zu bewegen.“Das erspare den Opfern dann in vielen Fällen eine erneute, belastende Aussage in einem Gerichtssa­al.

In manchen Fällen zeigt sich am Ende aber auch: Die Vorwürfe stimmen nicht. Die Motive dafür sind unterschie­dlich. Rache und verletzte Gefühle nach einer Trennung gehören dazu, mitunter ist es auch der Ruf nach Aufmerksam­keit. Und es gibt einen großen Graubereic­h: Missverstä­ndnisse zwischen Mann und Frau, unterschie­dliche Wahrnehmun­gen. Ein Mann denkt, der Sex sei einvernehm­lich gewesen, eine Frau empfindet es als Vergewalti­gung. Am Ende muss dann ein Gericht abwägen, ob es eine Straftat gewesen ist. Dass die kürzlich im Bundestag verabschie­dete, neue Regelung nach dem Prinzip „Nein heißt Nein“an diesen schwierige­n Gerichtsve­rfahren viel ändert, glauben Fachleute wie Sporer nicht.

Immer wieder erleben die Kripobeamt­en aber auch das Gegenteil einer falschen Beschuldig­ung: Frauen zeigen eine Vergewalti­gung an, die Ermittler sehen den Fall als erwiesen an. Doch plötzlich ziehen die Opfer ihre Anzeige wieder zurück. Oft sei es in solchen Fällen der Druck aus dem familiären Umfeld, der die Frauen dazu bewege. Ihnen wird der Vorwurf gemacht, sie sollten die Familie nicht zerstören.

Helmut Sporers Erfahrung ist, dass viele Frauen ihre Strafanzei­ge aber nicht bereuen. Trotz der Belastunge­n, die ein Ermittlung­sverfahren und ein Strafproze­ss mit sich bringen können. „Die überwiegen­de Mehrzahl der Frauen sagt hinterher, es sei richtig gewesen, dass sie diesen Schritt gemacht haben“, sagt der Beamte. Ein Strafproze­ss könne den Opfern dabei helfen, die Tat zu verarbeite­n – und irgendwann auch damit abzuschlie­ßen.

Die Motive sind unterschie­dlich

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