Warum es nicht immer das Gymnasium sein muss
Übertritt Auch wer in der Grundschule gute Noten hat, kann auf der Realschule richtig sein. Es kommt darauf an, mit sich selbst ehrlich zu sein, sagt eine Pädagogin. Das Abitur gibt es auch auf anderen Wegen
Landkreis Augsburg Die beiden Mädchen sind Freundinnen seit der ersten Klasse, und doch haben sich ihre Wege zu Beginn des Schuljahres vor einigen Monaten zumindest schulisch getrennt: Lea* ging nach der vierten Klasse aufs Gymnasium, „ich will das Abitur und außerdem Französisch lernen“, sagte sie schon als Grundschülerin, Franziska* auf die Realschule – und das, obwohl beide in ihrem Übertrittszeugnis mit dem Durchschnitt 1,6 die gymnasiale Eignung bei Weitem hatten. Der Grenzwert liegt bei 2,3 für die Fächer Deutsch, Mathematik und Heimatund Sachunterricht.
Franziska und ihre Eltern stehen mit ihrer Entscheidung anscheinend nicht allein. Gerade im Landkreis Augsburg boomt die Realschule. Obwohl in diesem Schuljahr, blickt man allein auf die Noten, gut 49 Prozent der Kinder auf das Gymnasium hätten wechseln können. Nur knapp 36 Prozent werden das im September aber auch tun. Gleichzeitig liegt der Anteil der Realschule mit einem glatten Drittel aller Schüler über dem bayernweiten Durchschnitt von 29 Prozent an dieser Schulart. Die Zahlen hat die SPDLandtagsabgeordnete Simone Strohmayr in einer parlamentarischen Anfrage erfahren. „Viele vernünftige Eltern spüren: Auch wenn die Noten passen, ist das nicht alles“, versucht die Leiter der staatlichen Realschule Zusmarshausen, Heidrun vorm Walde, eine Erklärung. Noten seien eben nicht alles. Das bedeutet: Mütter und Väter wissen vermutlich genau, wie die Bewertungen ihrer Kinder in der Grundschule zustande gekommen sind. Arbeitet ein Kind dort viel mit Unterstützung seiner Eltern oder nimmt sogar schon Nachhilfe, dann ist das etwas anderes, als ob ein Mädchen oder ein Bub seine guten Noten spielend ohne fremde Hilfe erreicht. Und genau die, so die Erfahrung der Pädagogin, lernen dann zumeist auch auf dem Gymnasium leichter als die anderen.
Doch bei Franziska war das nicht so, sagt ihre Mutter Susan- ne*. „Sie ist sehr gut organisiert. Ausschlaggebend war für mich am Ende, dass sie selbst nicht unbedingt aufs Gymnasium wollte.“Sie glaubt, dass Realschüler mehr von ihrer Kindheit haben und mit weniger Druck zurechtkommen müssen als Gymnasiasten. Zudem stünden auch mit der mittleren Reife noch alle Wege der schulischen Bildung offen. „Später können die Jugendlichen dann gut selbst entscheiden, ob und warum sie weitermachen wollen“, so die Mutter.
Das bestätigt auch Heidrun vorm Walde. Etwa ein Viertel bis ein Drittel jedes Jahrgangs wechselt nach dem Abschluss an der Realschule auf die Fachoberschule (FOS), einige sogar aufs Gymnasium. „Gerade von denen bekommen wir durchweg gute Rückmeldungen aus ihren neuen Schulen. Diese Jugendlichen wissen genau, was sie wollen“, so vorm Walde.
Und nicht nur die Realschule ist inzwischen ein Weg zur Hochschule: Johann Dürr ist Rektor der Mittelschule in Fischach. Dort können Schüler seit etwa 15 Jahren den mittleren Schulabschluss erlangen. „Ich weiß inzwischen von einigen, die studieren“, so der erfahrene Pädagoge.
Rund 425 Neuanmeldungen für die kommenden elften Klassen verzeichnet die Fachoberschule (FOS) in Neusäß. Das sind fast so viele Schüler, wie gerade mit dem Fachabitur, der fachgebundenen oder sogar der allgemeinen Hochschulreife die Schule verlassen haben. „Die Zahl scheint sich auf hohem Niveau zu stabilisieren“, sagt der stellvertretende Schulleiter der FOS, Rainer Bartl.
Dass sie den richtigen Weg für sich gefunden haben, davon sind die diesjährigen Abiturienten der FOS überzeugt. Eine von ihnen ist Nathalie Gellner, die nach der vierten Klasse lieber auf die Realschule wollte. Sie ist heute überzeugt, dass sie in dieser Oberstufe entspannter zum Abitur kam als am Gymnasium. Auch Georgina Banovic hatte sich trotz eines guten Übertrittszeugnisses bewusst für die Realschule ent- und wurde dabei von ihren Eltern unterstützt.
Bis zum Abitur nach oben gearbeitet hat sich Rainer Krais, der von sich selbst sagt, dass er erst auf dem M-Zweig der Hauptschule das Lernen langsam für sich entdeckte. „Dann dachte ich, mal schauen, wie weit ich es schaffe“, so der heutige Abiturient.
Und Ronja Vetter, die bis zur zehnten Klasse auf dem Gymnasium war, fühlte sich an der FOS mit dem höheren Praxisanteil wohler. Auch ihr Weg ist nicht untypisch: Immerhin bedeutet der Übertritt ans Gymnasium noch nicht, dass die Schule auch erfolgreich beendet wird.
In Bayern verlassen laut statistischem Landesamt jedes Jahr etwa fünf Prozent der Gymnasiasten wieder die Schule, die meisten in Richschieden tung Realschule. Eine Unbekannte für die Entwicklung der einzelnen Schularten in der Zukunft könnte Rainer Bartl zufolge die mögliche Rückkehr am Gymnasium zu einem neunjährigen Unterricht sein. Ob dann das Gymnasium gewinne und Realschule/FOS auf dem Weg zum Abitur verlören oder umgekehrt, das sei noch völlig offen.
* Namen geändert