Angst vor „einsamen Wölfen“
Wie der Terror sein Gesicht verändert hat
München Paris, Brüssel, Istanbul, Nizza – und jetzt ein Regionalzug bei Würzburg, jenseits von Großstädten und Menschenansammlungen, irgendwo in der Provinz. Es sieht so aus, als habe der Terror eine neue Dimension erreicht: nicht vernetzte, unauffällige Täter, die sich extrem schnell radikalisieren und mit alltäglichen Gegenständen an unverdächtigen Orten eine Spur des Schreckens hinterlassen. Es ist der Terrorismus, den Sicherheitsbehörden am meisten fürchten. Gegen ihn gibt es kaum präventive Mittel.
„Es ist ja genau die Strategie des Islamischen Staates, mit solchen uneinschätzbaren Anschlägen eine Polarisierung hervorzurufen“, sagt der Terrorexperte Peter Neumann vom King’s College in London. „Es ist eine Art Teufelskreis: Die Extreme auf beiden Seiten der Bevölkerung erstarken, auf der islamistischen und rechtspopulistischen Seite.“
In der Wahllosigkeit von Ort und Opfern sehen Experten eine neue und alarmierende Stufe. „Der Amokläufer, wie man ihn aus der Literatur kennt, hat ein Ziel, das er als Ursache seines Leidens sieht: der Arbeitsplatz, der ihm gekündigt wurde, die Schule, an der er erfolglos war“, sagt der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Martin Rettenberger. Der IS gibt Ziellosen nun ein – vermeintliches – Ziel. Das Infame: Dieses Ziel ist überall. „Es sind einsame Wölfe, denen der Islamische Staat eine Projektionsfläche bietet und ihnen erlaubt, ihre persönlichen Probleme in ein politisches Projekt zu verwandeln“, sagt Neumann. „Der IS gibt ihnen sozusagen die Lizenz, die Marke Islamischer Staat dafür zu nutzen.“
Würzburg und Nizza stehen auch nach Einschätzung der europäischen Polizeibehörde Europol für eine wachsende Bedrohung durch „einsame Wölfe“. IS und Al-Kaida hätten „wiederholt in westlichen Staaten lebende Muslime aufgerufen, als Einzeltäter Angriffe in ihren Ländern zu verüben“. Obwohl sich die Täter von Würzburg und anderer Attacken der jüngsten Zeit zum IS bekannten, gebe es keine Beweise für Verbindungen zu der Gruppierung. Laut dem neuen Europol-Jahresbericht wurden 2015 in den 28 EU-Staaten 151 Menschen bei Anschlägen getötet und mehr als 350 verletzt. Die EU habe 2015 einen „deutlichen Anstieg von Opfern durch Terroranschläge“erlebt, so Europol-Chef Rob Wainwright.