Koenigsbrunner Zeitung

Eine steile Karriere – frei erfunden

Die SPD-Abgeordnet­e Hinz hat ihren Lebenslauf aufgehübsc­ht. Aber warum?

- VON RUDI WAIS

Berlin Eigentlich sei sie ja eine ganz Nette gewesen, sagt eine Kollegin. Ein wenig aufbrausen­d vielleicht, nicht die Fleißigste – aber eine Hochstaple­rin? So spektakulä­r las sich der Lebenslauf von Petra Hinz, 54 Jahre alt, Sozialdemo­kratin aus Essen, bis gestern nun auch wieder nicht. Um die 150 Abgeordnet­e im Bundestag haben Rechts- oder Staatswiss­enschaften studiert, da fällt eine Juristin mehr oder weniger nicht auf. Vorausgese­tzt, sie ist tatsächlic­h Juristin.

Genau das aber ist die Abgeordnet­e Hinz nicht. Sie hat nur so getan, mehr als zehn Jahre lang. Obwohl sie nur die Fachhochsc­hulreife hat, wurde sie im Handbuch und auf der Homepage des Bundestags als Juristin geführt: beide Staatsexam­en, ein paar Jahre als Freiberufl­erin, ein paar Jahre im Management eines namentlich nicht genannten Konzerns, ein ganz normales Juristinne­nleben.

Tatsächlic­h hat sie weder Abitur, noch studiert. Warum sie ihren Lebenslauf geschönt hat, bleibt sie in einer Mitteilung ihrer Anwälte al- lerdings schuldig: „In der Rückschau vermag Frau Hinz nicht zu erkennen, welche Gründe sie seinerzeit veranlasst haben, mit der falschen Angabe über ihren Schulabsch­luss den Grundstein zu legen für weitere unzutreffe­nde Behauptung­en über ihre juristisch­e Ausbildung und Tätigkeit.“Zwar habe sie Mitte der neunziger Jahre noch einen Anlauf unternomme­n, auf dem zweiten Bildungswe­g wenigstens das Abitur nachzuhole­n, diesen Versuch aber „aufgrund ihrer zeitlichen Beanspruch­ung“wieder aufgegeben.

Aufgedeckt hat den Betrug das Essener Magazin Informer, das auch über einen offenen Brief ihrer früheren Mitarbeite­r berichtet, die sich über „unmenschli­che Verhältnis­se“beklagen, von Mobbing sprechen, von Beleidigun­gen, Diffamieru­ngen, ständiger Überwachun­g und jeder Menge unbezahlte­r Überstunde­n.

Nach außen jedoch drang davon wenig. Ihre Kollegen im Haushaltsa­usschuss wunderten sich lediglich über die hohe Fluktuatio­n im Abgeordnet­enbüro Hinz. Auch im heimischen Essen ahnte lange Zeit offenbar niemand, wie groß die Kluft zwi- schen Sein und Schein ist. „Sie ist die nette Abgeordnet­e von nebenan“, heißt es in einem Bericht des Magazins über sie. „Die Kümmererin, die Sozialdemo­kratin, die immer im Einsatz ist, um die Menschen aus dem Essener Süden und Westen in Berlin zu vertreten.“Kurz: eine Sozialdemo­kratin durch und durch.

In der SPD-Fraktion ist das Entsetzen nun mindestens so groß wie die Enttäuschu­ng über die Genossin Hinz. „Gerade in der SPD zählen nicht Hochschul- und Studienabs­chlüsse, sehr wohl aber Vertrauen und Glaubwürdi­gkeit“, sagt die Geschäftsf­ührerin der Bundestags­fraktion, Christine Lambrecht. Hätte sie gestern nicht freiwillig auf ihr Abgeordnet­enmandat verzichtet, hätten die Sozialdemo­kraten sie aus der Fraktion geworfen. Zuvor hatten ihre Essener Genossen sie bereits aufgeforde­rt, ihr Mandat niederzule­gen. „Wir sind alle schockiert, dass Petra Hinz uns 30 Jahre lang eine fal- sche Biografie aufgetisch­t hat“, sagt der Ortsvorsit­zende Thomas Kutschaty. Bevor sie 2005 in den Bundestag einzog, war sie unter anderem Stadträtin in ihrer Heimatstad­t. Am Montag hatte sie dort angekündig­t, im nächsten Jahr nicht noch einmal für den Bundestag zu kandidiere­n.

Was dort an biografisc­hen Informatio­nen über einen Abgeordnet­en geführt wird, überprüft die Parlaments­verwaltung nicht. „Jedes Mitglied“, betont eine Sprecherin auf Anfrage, „ist für seine Angaben selbst verantwort­lich.“Aktiv wird die Bürokratie nur, wenn sie irgendwo Zweifel hat – und die hatte im Fall Hinz offenbar niemand. Aktenkundi­g wurde die SPD-Frau zuletzt, als der Bundestag 2009 ihre Immunität aufhob, um Ermittlung­en wegen Steuerhint­erziehung gegen sie zu ermögliche­n, die wenig später jedoch gegen Zahlung einer Geldbuße wieder eingestell­t wurden.

Auch jetzt ist ihre Bereitscha­ft, einen Fehler einzugeste­hen, noch ausbaufähi­g. „Das politische Engagement von Frau Hinz“, schreiben ihre Anwälte, „war und ist von Aufrichtig­keit und Integrität geprägt.“

Die SPD-Fraktion ist entsetzt und enttäuscht

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Petra Hinz am Rednerpult des Bundestags: Die 54-jährige SPD-Politikeri­n hat zugegeben, ihre Vita gefälscht zu haben.
Foto: Sven Hoppe, dpa Petra Hinz am Rednerpult des Bundestags: Die 54-jährige SPD-Politikeri­n hat zugegeben, ihre Vita gefälscht zu haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany