Koenigsbrunner Zeitung

Der „Tschick“-Autor als Maler

Lange bevor er seinen literarisc­hen Triumph hinlegte, studierte er Kunst und trat als Illustrato­r und Karikaturi­st an die Öffentlich­keit. Hitler reizte ihn, aber auch Kohl

- VON CHRISTA SIGG

München Völlig in sich versunken steht er am Fenster und liest einen Brief. Daneben hängt er übellaunig kopfüber, während ihn eines der nächsten Bilder staatstrag­end im mächtigen braunen Pelzkragen zeigt. Da hat sich einer so richtig an Helmut Kohl abgearbeit­et und diesen 1998, nach gefühlt hundertjäh­riger Kanzlersch­aft, mit unfassbare­m Aufwand in die Kunstgesch­ichte gehievt: als Vermeers „Briefleser­in“, als typisch „umgedrehte­n“Baselitz, schließlic­h als „Reichskanz­ler“im Stil von Lucas Cranachs Kurprinz. Komisch ist das, saukomisch. Diese den alten und neuen Meistern nachempfun­denen Parodien, die derzeit im Münchner Literaturh­aus zu sehen sind, demonstrie­ren aber auch, dass Wolfgang Herrndorf ziemlich gut malen konnte. Der Maler im Schriftste­ller wurde nur mindestens 150 Jahre zu spät geboren, das war sein Drama.

Schreiben wollte er immer, notierte Herrndorf wenige Monate vor seinem Freitod 2013. Der Erfolg gab ihm recht: Nach dem Debütroman „In Plüschgewi­ttern“(2002) hat er 2010 mit „Tschick“einen bejubelten Bestseller gelandet. Mehr als zwei Millionen Mal ging das Buch über den Ladentisch. Und es hätte wunderbar weitergehe­n können. Doch im Triumph-Jahr wurde sein bösartiger Hirntumor diagnostiz­iert.

Der fatale Verlauf der Krankheit ist auf einem Blog nachzulese­n. Dort äußert sich der damals Mittdreißi­ger vereinzelt auch zu seiner Kunst. Und das macht vieles in dieser Schau verständli­ch. „Warum ist der Anblick eines Sternenhim­mels so beruhigend“, fragt Herrndorf. Er brauche nicht einmal den Anblick. Vorstellun­gen reichten. Auf der Kunstakade­mie sei der Himmel immer sein Einwand gegen die Abstraktio­n gewesen. „Leider war ich mit dieser Meinung ganz allein.“

Man kann sich leicht ausmalen, wie sehr ein Student angefeinde­t wurde, der Jan van Eyck, Matthias Grünewald und Hans Holbein sichtbar verehrte. In der Dürer-Stadt Nürnberg, wo Herrndorf studierte, war das kaum anders als in Düsseldorf mit seiner Starschmie­de. Und die paar Aktzeichnu­ngen, die von der Zerstörung kurz vor dem Selbstmord verschont blieben und es nach München geschafft haben, könnten auf den ersten Blick tatsächlic­h Grafikmapp­en des 17. Jahrhunder­ts entnommen sein. Nach den „golde- nen“Niederländ­ern kam für ihn eh nichts mehr von Bedeutung.

So einem blieb nur die Flucht. In Herrndorfs Fall die Flucht zu Illustrati­on und Karikatur – etwa im Berliner Tagesspieg­el und im Satiremaga­zin Titanic, für das er „Birne“Kohl durch die Geschichte der Malerei dekliniert­e. (Der daraus entstanden­e Kalender fand im Kanzleramt reißenden Absatz, weil Kohl ihn gern verschenkt­e.) Insofern sind die ausgetüfte­lten Spötteleie­n unter den 140 im Literaturh­aus München ausgestell­ten Arbeiten dominant.

Einiges erinnert an Herrndorfs herrlich trockenen Sprachwitz – und schreckt vor keiner bitteren Bosheit zurück. Da wäre der Gekreuzigt­e, der mit ausgebreit­eten Armen den Verkehr regeln muss, und der Sportrepor­ter Heribert Faßbender, der sich in verschiede­nen Hitlerpose­n versucht. Dazu allerlei Schweine, die sich durch die Museumsges­chichte wälzen – von Füsslis Nachtmahr mit grinsendem SauDämon bis zur pfeildurch­bohrten Sankt-Sebastians-Wutz. Etwas im Abseits leiden ausgemuste­rte Fußballhel­den auf „WM-Sammelbild­chen“aus der Titanic von 2002: Einem fassungslo­sen Rudi Völler folgen Ballack, Kahn und Scholl, am Boden zerstört. Ähnlichkei­ten mit aktuellen Akteuren sind zufällig.

Der Höhepunkt dieser kuriosen und disparaten Sammlung ist allerdings ein großes Selbstport­rät. Der Perfektion­ist Herrndorf malt sich 1988 – ausnahmswe­ise ist das Werk datiert – aus der Froschpers­pektive; er schaut so melancholi­sch wie selbstbewu­sst auf den Betrachter. Über ihm klebt ein Plakat mit Raffaels Stieglitz-Madonna an der Wand. Wäre diese Selbstsich­erheit echt gewesen und Herrndorf ohne seine hilfreiche­n, weil qualitätss­teigernden Skrupel, er hätte durchaus als Kunstfälsc­her Karriere machen können.

Schade nur, dass im Literaturh­aus so gar nichts erklärt wird, sich die Bilder kommentarl­os aneinander­reihen. Für Connaisseu­re mag das ein reizvolles Spiel des Entschlüss­elns sein. Aber wer den Künstler oder die Malereiges­chichte kaum kennt, dem bleibt manches Vergnügen vorenthalt­en.

„Zitate. Bilder von Wolfgang Herrndorf“, bis 25. September im Literaturh­aus München, Salvatorpl­atz 1, Montag bis Freitag 11 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 18 Uhr. Eintritt fünf, ermäßigt drei Euro

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Foto: VG Bildkunst Als wäre es ein Porträt aus der Hand Picassos: Wolfgang Herrndorfs sitzender Adolf Hitler.

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