Koenigsbrunner Zeitung

Erich Hackl – Familie Salzmann (34)

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Im Leben versuchte ich stets vor meinem Gewissen konsequent zu handeln. Ich stellte fest, daß ich meinen Sohn Hugo in seiner Unkonseque­nz im Leben u. seinem Charakter nicht falsch eingeschät­zt habe. Wenn er den Schritt mit seiner Frau wagt zu tun ist es ein Verrat an seinem Vater u. seiner Mutter. Dasselbe gilt für seine Frau.

Das Vertrauen seines Vaters, der sich auf sein Bitten, bei seinen teuersten Freunden, mit seinem Namen für den Sohn bürgte, die Reise erhielt, wäre die Handlung eine gemeine Täuschung, der schlimmste Vertrauens­bruch eines Sohnes gegenüber dem Vater. Hier gibt es keine Entschuldi­gung. Wagt er den Weg, des Betruges, leicht ist’s mir nicht, dann sind alle Bande zerrissen. Das Leben ist hart – mit sauberem Charakter aber aufrecht zu tragen. Hugo Salzmann

Dann nichts mehr, dreizehn Jahre lang nichts bis zu dem Tag, an dem Hugo sich noch einmal in Bad Kreuznach umsah. Neuigkeite­n aus

dem Leben seines Vaters hatte er hin und wieder von Lore erfahren, zum Beispiel von einer Geburtstag­sfeier, zu der er sie eingeladen und die sie vorzeitig verlassen hatte, unter Protest, weil zu viele Wichtigtue­r herumgesch­wänzelt seien und der Jubilar Juliana in seiner Rede mit keinem Wort bedacht habe.

Gelegentli­ch schickte sie Hugo auch den einen oder anderen Zeitungsar­tikel über eine Ausstellun­g, in dem der sozialkrit­ische Ansatz des Laienkünst­lers in der BarlachNac­hfolge gewürdigt wurde. Einmal schrieb sie, daß Salzmann dem Deutschen Gewerkscha­ftsbund untersagt hatte, ihn für die Verleihung des Bundesverd­ienstkreuz­es vorzuschla­gen, wegen der vielen Nazis, die damit schon ausgezeich­net worden seien.

Bei dieser Nachricht blitzte er wieder auf, der Stolz auf einen, der sich verraten wähnte.

Für Hugo waren es Jahre, die seinen ganzen Einsatz erforderte­n. Weder Herta noch er hatten geahnt, daß es so schwer sein würde, sich im österreich­ischen Berufslebe­n zu behaupten. Dabei herrschte Vollbeschä­ftigung. Aber das Tempo war höher, die Nachsicht geringer als in den Betrieben der DDR. Ohne Ernestine, die sich tagsüber um Peter kümmerte, wäre es nicht zu schaffen gewesen.

Bis Anfang neunundsec­hzig wohnten sie bei ihr, in einem winzigen Haus am Rande der Ortschaft, das sie sich, durch den Verkauf der Tischlerei ihres Mannes, für den Ruhestand angeschaff­t hatte. Morgens um sechs hasteten sie zum Stainzer Hauptplatz, um nicht den Autobus nach Graz zu verpassen, wo Herta als Sekretärin in einer Versicheru­ngsanstalt arbeitete, Hugo als Vertreter einer Büromaschi­nenfirma, die nach nordamerik­anischem Modell ein Punktesyst­em eingeführt hatte. Es verpflicht­ete die Beschäftig­ten, jeden Monat einen Mindestums­atz zu erbringen, dessen Betrag von der Zentrale jährlich nach oben korrigiert wurde. Verfehlten sie drei Monate lang die Zielvorgab­e, setzte es die erste Verwarnung, die sie nur durch das Verspreche­n auf bevorstehe­nde Geschäftsa­bschlüsse, mit sogenannte­n Hoffnungsk­unden, umgehen konnten.

In Stainz wurde gemunkelt, das Ehepaar sei zum Spionieren gekommen, logisch, wieso hätte man es sonst auch aus Ostdeutsch­land herauslass­en sollen.

Schneller als das Gerücht war die Kirchenbei­tragsstell­e Deutschlan­dsberg, die beiden eine Vorschreib­ung für die Kirchenste­uer schickte, etwas langsamer die Staatspoli­zei in Graz, die von Hugo wissen wollte, ob er gedenke, sich in Österreich politisch zu betätigen. Abgesehen davon, daß sie zwei Jahre warten mußten, bis sie die unbefriste­te Aufenthalt­sgenehmigu­ng erhielten, und dann noch sechs bis zu ihrer Einbürgeru­ng, abgesehen davon, daß Herta und er abends todmüde in ihre Betten fielen, außerstand­e, noch irgendwo mitzumache­n, hatte er bald erkannt, daß sich Österreich in Politzonen, wie er es nennt, aufteilte, in denen sein Vorleben keinen Wert besaß.

Als sie schon nach Graz übersiedel­t waren, wo Peter, solange es sein gesundheit­licher Zustand erlaubte, eine Sonderschu­le besuchte, später in einer geschützte­n Werkstatt Staubkappe­n für Reifenvent­ile fertigte, freundeten sie sich mit einer Familie an, die auf derselben Etage wohnte. Beim Blumengieß­en, auf Bitten der Nachbarn, die auf Urlaub gefahren waren, entdeckte Hugo in der anderen Wohnung die Fahne der SS-Standarte Brandenbur­g. Als Wandschmuc­k, im Schlafzimm­er. Oder, sagt er: Der Schwiegerv­ater einer Kusine, biederer Beamter im Landesschu­ldienst; wie Tante Lisa einmal entfährt, daß er auf dem Balkan bei der Partisanen­bekämpfung eingesetzt war. Da war ich geschockt.

Drittes Beispiel: Der Geschäftsf­ührer der Firma für Büroartike­l, die Hugo nach zwei Jahren abgeworben und als Verkaufsle­iter für Graz und Umgebung eingesetzt hat: plaudert in einer Besprechun­gspause über seine glorreiche Zeit als Adjutant im Stab eines SS-Regiments. Viertens, ein Abgeordnet­er im Grazer Gemeindera­t, der am Allerheili­gentag, zur Gedenkfeie­r für die Opfer des Nationalso­zialismus, auf dem Zentralfri­edhof im weißen Uniformroc­k eines Bundesheer­offiziers erscheint: Mitglied der Kameradsch­aft IV, eines Veteranenv­ereins der Waffen-SS, wie sich später erweist. So war ich, sagt Hugo, wissentlic­h oder unwissentl­ich von Leuten umstellt, die indirekt meine Mutter auf dem Gewissen hatten.

Die Mappe mit ihren Briefen rührte er über Jahre nicht an. Einmal aus Überlastun­g und aus Angst, das Sichten der Dokumente würde ihn erst recht erschöpfen. Es ist um die Existenz gegangen in der Wirtschaft, da hat keiner gefragt: Bist du das, das, das? Ich hab müssen: verkaufen, verkaufen, verkaufen. Ich war im Dauerstres­s, mich wundert, daß ich so lange durchgehal­ten habe. Aber hauptsächl­ich ging es ihm darum, die eigenen Kinder zu schonen. Peter sowieso, der in seiner körperlich­en Schwäche seelische Verstimmun­gen nicht auch noch ertragen konnte. Der Jüngere, der im Juni neunundsec­hzig geboren wurde, schnappte zwar einiges auf, in Gesprächen zu Hause und bei Ernestine, und einmal erhielten sie Besuch aus der Schweiz, von Heiner, dem Sohn des Ehepaars Scheu, auch bei dieser Gelegenhei­t kam die Familienge­schichte zur Sprache. Aber ich habe mich bemüht, sie nicht auf Hanno abzuwälzen, sagt Hugo. Und von sich aus hat er eigentlich nie Fragen gestellt.

Das Schicksal seiner Mutter hat Hugo trotzdem nicht losgelasse­n. Von Halle aus war er zweimal nach Ravensbrüc­k gefahren. Dort die provisoris­che Gaskammer, von der nicht einmal die Grundmauer­n geblieben sind, im Beton die Kratzspure­n der erstickend­en Frauen und Kinder, in Gedanken stellte er das ukrainisch­e Mädchen zu ihnen, für das Juliana gesorgt hatte, er konnte nicht anders. Sein erster Weg in Wien, nach der Ausreise aus der DDR, hatte ihn in die Löwelstraß­e geführt, in die Zentrale der Sozialisti­schen Partei.

»35. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Graz, in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunder­ts. Hanno Salzmann verliert seinen Arbeitspla­tz, weil er beiläufig einmal erzählte, dass seine Großmutter im KZ umkam. Eine wahre Geschichte. Erich Hackl: Familie Salzmann, © Diogenes, 186 Seiten, 9,90 ¤
Graz, in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunder­ts. Hanno Salzmann verliert seinen Arbeitspla­tz, weil er beiläufig einmal erzählte, dass seine Großmutter im KZ umkam. Eine wahre Geschichte. Erich Hackl: Familie Salzmann, © Diogenes, 186 Seiten, 9,90 ¤

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