„Diese Welt ist so verrückt, so absurd“
England hat den Brexit beschlossen und niemand weiß, wie es weitergeht. Donald Trump könnte US-Präsident werden. Das kann Comedy nicht überbieten, sagt Michael Mittermeier. Und er verrät, wann er es privat wild mag
Herr Mittermeier, in Ihrem neuen Programm „Wild“versprechen Sie eine wilde Party. Da gibt es auch Gäste, die nicht zu den beliebten Partygästen zählen, zum Beispiel unauffällige Serienkiller, Putin und Bush. Warum sind die auf Ihrer Party dabei? Michael Mittermeier: Wenn man eine wilde Weltmischung zusammenstellt, dann müssen ja ein paar Bösewichte dabei sein. Gut und Böse existieren nebeneinander und deswegen sind die natürlich auch da. Und sie kommen ja uneingeladen. Das ist dann das Problem. Wir müssen ausbaden, was nicht eingeladene Gäste veranstalten.
Was bedeutet für Sie „wild“zu sein? Mittermeier: Wildsein ist mehr eine Metapher: Da steht ein Typ mit Krawatte, Aktentasche und Anzug – mag sein, der hat gerade mit seinem Hedgefonds in Afrika fünf Dörfer platt gemacht und dort sterben jetzt 1000 Leute. Daneben steht einer, der als Vampir verkleidet ist, weil er gerade auf der Gothic Rave in Leipzig rumläuft. Wer sieht wild aus und wem solltest du vertrauen? Das Schlimme ist ja: Du siehst es niemandem an. Also noch einmal zurück zum Serienkiller auf der Party: Du erkennst ihn nicht. Denn was sagen die Leute danach? „Er war ein ruhiger, netter, höflicher Mann.“Immer! Ich habe nie den Satz von Nachbarn gehört: „Das haben wir uns immer gedacht, dass der sicher 30 Frauen aufisst.“ Sind Sie privat auch ein Partytyp, feiern Sie gerne? Mittermeier: Ja, jeden Tag, morgens bis abends. Nein, ich glaube, ich bin normal. Ich habe schon wilde Partys gefeiert in meinem Leben. Selbst wenn ich keine mehr feiern würde – ich glaube, ich habe genug gehabt. Eine Party ist auch der Auftritt am Abend, an dem ich versuche, so lustig zu sein, wie es geht und die Leute zu unterhalten. Dazu gehören natürlich auch die Schreckensthemen, auch über die müssen wir lachen. Wenn man alles tabuisiert, wird man verspannt. Deswegen braucht es auch die harten Sachen.
Und deswegen greifen Sie auch die aktuellen Brennpunkte auf. Können Sie ein Beispiel nennen, was den Zuschauer auf jeden Fall erwartet? Mittermeier: Das sind jetzt meine ersten Auftritte nach dem Brexit, also irgendetwas werde ich darüber machen müssen. Es ist ja surreal: Ich habe Anfang April eine Woche in London gespielt und da war mein Gag: Und wie schaut es aus mit dem Referendum? Keiner hat es ernst genommen. Nigel Farage hat 17 Jahre seines Lebens darauf verwendet, dieses Land aus der EU zu führen. Ohne Ziel, ohne Plan, ohne irgendein Backup. Das ist Wahnsinn – und der Populist hat gewonnen. In Österreich gibt es die FPÖ. Das ist eine ausländerfeindliche Partei, da brauchen wir uns nichts schön reden. Donald Trump könnte Präsident werden… Allein die Vorstellung ist wahnsinnig. Ich mag Hillary Clinton auch nicht, nur: Was willst du denn tun? Das Schlimme ist, dass wir überhaupt vor so einer extremen Wahl stehen. Das ist unfassbar, Comedy kann das nicht überbieten.
Das heißt aber auch, dass Sie das Programm immer wieder ändern und anpassen, je nachdem, was gerade passiert, um eben auch neue Ereignisse mit hineinzunehmen. Mittermeier: Ja, ich mache immer neue Sachen rein. Aber „Wild“ist jetzt kein Programm, in dem dauernd Nummern ausgetauscht werden, weil es ein sehr universelles Programm ist. Es geht auch viel um die Frage: Was macht dich wild im Alltag? Oder um Geschichten, die du auch in zehn Jahren noch erzählen kannst.
Wie lange brauchen Sie, um ein Programm zu schreiben? Mittermeier: Das kann man immer schwer sagen. Dieses Mal hatte ich beim ersten Try-Out (Anm. der Redaktion: Probeauftritt) für die Hälfte Notizen und Ideen – die andere Hälfte gab es nicht. Ich bin mittlerweile ein Fan davon, auf irgendeine Kraft in mir zu vertrauen, die mir ohne Nachzudenken den Weg weist. Ich gebe mir vorher Themen, schreibe vielleicht eine Nummer mit meinem Kurator, aber wenig im Wortlaut. Ich gehe auf die Bühne und entwickle live in der Situation. Aber das kannst du nur vor Menschen machen, die bezahlt haben. Sonst wirst du keine ehrliche Meinung bekommen. Das macht keinen Sinn. Nach ein paar Try-Outs ist das Programm meistens grob auf dem Weg. Und Feintunen tue ich immer, das macht dann auch Spaß.
Wie lange hat es denn gedauert, bis Sie diese Kraft hatten, das so zu machen? Oder hatten Sie die von Anfang an? Mittermeier: Nein, die hat sich entwickelt. Also die Kraft hast du schon in dir, das ist eigentlich fast wie bei Star-Wars: Du hast es in dir, du musst es ausbilden. Aber wenn du sie nicht hast, wirst du sie lernen. Dieses Vertrauen in so eine Kraft ist natürlich schon etwas, was man erst nach vielen Jahren lernt. Aber wieso sollte ich nicht einmal ohne Text in München im Vereinsheim durchkommen? Das ist ein kleiner Laden, in dem ich gerne ausprobiere. Da passen knapp 100 Leute rein und das Schöne ist: Das Publikum, das zu einem Try-Out kommt, mag das Unperfekte. Die wissen, dass da gerade etwas entsteht.
Viele Comedians widmen sich immer wieder demselben Themenspektrum, wenn sie merken: Das kommt jetzt gut an. Bei Ihnen ist das anders, warum? Mittermeier: Mich würde es langweilen. Ich bin keiner, der sagt: Das soll einer nicht machen. Wenn einer sagt: „Ich habe mein Thema gefunden und da bleibe ich jetzt 30 Jahre lang“– dann ist das halt so. Das ist wie ein Horrorfilm-Regisseur, der sagt: „Ich kann am besten Horrorfilme, also mache ich sie.“Mir wäre es zu langweilig. Diese Welt ist so verrückt, die ist absurd, die ist auch schlimm, die ist schrecklich, die ist lustig, die ist toll. Ich fände es total schade, nicht immer wieder Neues zu entdecken.
In Ihrem Programm soll sich das Publikum die Frage stellen, wann man selbst das letzte Mal wirklich wild war. Wie würden Sie diese Frage beantworten? Mittermeier: Ich bin ja schon zwangsläufig beruflich oft wild. Wenn du auf eine Bühne gehst und vor tausenden Leuten spielt, musst du das Wilde in dir rauslassen. Die Frage ist natürlich: Was ist wild? Ich habe gerade ein Buch – es erscheint am 30. September im Kiwi-Verlag – geschrieben und habe daran dreineinhalb Monate mit nur zwei freien Tagen gearbeitet. Das war nicht mehr wild, das ging schon in Richtung Maniac. Privat feiere ich immer wild, wenn ein runder Geburtstag ist. Dann habe ich das Gefühl, ich rutsche schön rein in ein nächstes Jahrzehnt. Und man kann auch mit 80 wild sein.
Interview: Ariane Attrodt