Eine Auferstehung für Hamlet
Das Festival gräbt Franco Faccios vergessene Oper über den Dänenprinzen aus. Das Publikum jubelt
Bregenz Sein oder Nichtsein, so lautet die zentrale Frage von Hamlet in William Shakespeares gleichnamiger Tragödie. Dieselbe Frage stellt sich auch für die Oper „Hamlet“von Franco Faccio. Nach der Uraufführung 1865 wurde sie – überarbeitet – 1871 noch einmal gespielt und geriet zum Fiasko, weil der Tenor indisponiert war. Faccio zog das Werk zurück; es verschwand für 150 Jahre in der Versenkung. 2003 machte sich der italo-amerikanische Komponist Anthony Barrese daran, die Oper aus Fragmenten zu rekonstruieren; 2014 führte er sie auf.
Nun lebt, irrt und stirbt der innerlich zerrissene Dänenprinz wieder auf dem Alten Kontinent. Die Bregenzer Festspiele haben sich der Oper angenommen und knüpfen damit an eine Tradition an, die dem Festival in den 2000er Jahren großes Renommee verschaffte: das Ausgraben reizvoller, aber selten gespielter oder vergessener Werke.
Nach der Premiere im Festspielhaus ist nicht nachvollziehbar, warum die 150-minütige „lyrische Tragödie in vier Akten“in Vergessenheit geriet. Franco Faccio, der sich vom gefeierten KomponistenKollegen Verdi absetzen und neue Musiktheater-Wege gehen wollte, ist eine packende, farbige und anrührende Grand Opera gelungen. Sehr bildhaft und mit viel romantischem Klangzauber hat er Shakespeares Geschichte in ein musikalisches Gewand gesteckt.
Man spürt sein Streben, den Text noch plastischer in Töne zu kleiden als der große Verdi, noch feinfühliger zu erzählen, Arien, Duette und Ensembles noch inniger zu gestalten. Ihre Seelenqualen verströmen die vier Protagonisten in ergreifenden Arien. Und der Trauermarsch für die tote Ophelia ist zum Weinen schön. Paolo Carignani am Dirigentenpult bringt mit den Wiener Symphonikern die Farbigkeit und Geschmeidigkeit von Faccios Musik zum Leuchten.
Weshalb scheiterte Faccio angesichts dieser guten Voraussetzungen überhaupt? Wenn es nicht allein am indisponierten Tenor lag, dann vielleicht am Fehlen von Gassenhauern. Oder ist die Hamlet-Geschichte ein allzu düsteres Psychodrama? Den Liebenden gönnt es jedenfalls nur wenige Momente des Glücks.
Regisseur Olivier Tambosi macht es dem Bregenzer Premieren-Publikum mit einer auf den MainstreamGeschmack zugeschnittenen Inszenierung leicht, Zugang zu „Hamlet“zu finden. Er hat, unterstützt von feinem Lichtdesign, eindringliche Bilder mit starken Farben und einigen grellen Effekten geschaffen. Viele setzt er wie altmeisterliche Gemälde in Szene. Wenn Hamlet anfangs unter abgesenkten Scheinwerfern auf dem glänzenden Bühnenboden liegt, soll das zeigen: Die Welt ist eine Theaterbühne, das Leben ein (Rollen-)Spiel.
Der Tscheche Pavel Cernoch als Hamlet ist unglaublich präsent. Ganz in existenzialistischem Schwarz gekleidet, irrt der Königssohn als Zweifelnder und Verzweifelnder in einer Welt voller Intrigen und Grausamkeiten umher. Sein Hamlet weiß nicht, ob er sein soll oder nicht sein möchte. Vor allem sein Racheschwur liegt schwer wie ein Stein auf seinem Herzen – was Regisseur Tambosi mit einem riesigen Felsblock symbolisiert.
Der Tenorstimme verlangt Faccio Höchstleistungen ab. Cernoch liefert grandios. Er singt und spielt so suggestiv den Hamlet, dass man ihm gern und gebannt auf seiner psychischen Odyssee folgt. Erschütternd, wie er über Sein oder Nichtsein sinniert, über das Sterben, Schlafen und Träumen. Sängerisch ist Cernoch – vom Publikum euphorisch bejubelter – Primus inter Pares. Die Bregenzer haben wieder einmal ein exquisites internationales Ensemble einschließlich des phänomenalen Prager Philharmonischen Chors zusammengestellt. Als Beispiel sei Sopranistin Iulia Maria Dan als Ophelia genannt, die atemberaubend ihren Wahnsinn auslebt.
Ob „Hamlet“150 Jahre nach der Uraufführung doch noch ein nachhaltiger Erfolg beschieden sein wird? Wenn es nach dem Bregenzer Publikum geht, ja. Frenetisch feierte es die Wiederbelebung. Im Saal saßen auch etliche Regisseure, um sich zu informieren.
Wer nicht da war, kann sich später mittels CD und DVD die neue Ausgrabung ansehen. Dann wird sich wohl das Schicksal der FaccioOper entscheiden. Sein? Oder Nichtsein? Nochmals am 25. und 28. Juli. Karten-Telefon: 0043/5574/4076.