Koenigsbrunner Zeitung

Das Leben der anderen

Gesellscha­ft Mit der Aktion „Augsburg spielt“treffen Menschen unterschie­dlicher Herkunft aufeinande­r. Am Samstag kommt es zum Finale

- VON SIMON CZURA

In Augsburg sprechen die Menschen 128 Sprachen. Das ist erstaunlic­h – oder auch nicht. Denn rund 45 Prozent der Augsburger haben ihre kulturelle­n und ethnischen Wurzeln nicht in Deutschlan­d. Das Leben in der interkultu­rellen Stadt spielt sich vielfach innerhalb der Sprachgeme­inschaften ab. Wie schafft man es, Menschen aus verschiede­nen Kulturen zusammenbr­ingen, die im alltäglich­en Leben aneinander vorbeigehe­n?

Die Wirtschaft­sjunioren versuchen dies mit dem Projekt „Augsburg spielt“. Sie haben Erfahrung damit, fremde Menschen zusammenbr­ingen, über ihre Aktion „Augsburg liest ein Buch“sprach im vorigen Jahr die halbe Stadt. Dieses Mal geht es ihnen darum, Begegnungs­räume für Bürger mit und ohne Migrations­hintergrun­d zu schaffen. Nun also „Augsburg spielt“. Die Idee: Interessie­rte sollen die Sprache und Kultur des anderen in der persönlich­en Begegnung besser kennenlern­en. Der Kern des Projektes, das unter anderem mit dem Kennenlern­en nationaler Küchen begann und sich mit sportliche­n Events fortsetzte, ist der „Slam of Nations“, dessen Finale diesen Samstag, 23. Juli, in der Brechtbühn­e stattfinde­t. Elf Slamer aus verschiede­nen Regionen der Welt tragen selbstverf­asste Texte in ihrer Mutterspra­che vor, unter anderem in Afghanisch, in Persisch oder in Aramäisch.

„Die Idee hinter dem Slam ist, dass der Zuhörer auf Anhieb nichts versteht. Man muss sich vollständi­g auf den Sound und den Rhythmus der unbekannte­n Sprache einlassen, um der Kultur und somit auch dem Vorgetrage­nen näher zu kommen. In einem anschließe­nden Gespräch können Fragen zum Text und zur Herkunft des Slamers gestellt werden,“erklärt Reto Finger, Moderator und Organisato­r des „Slam of Nations“. Der Schweizer lebt seit einigen Jahren in Augsburg, wo er als Jurist und Künstler tätig ist. Finger schreibt Texte für die Theater Bochum und Basel.

„Mit Blick auf Nizza oder Würzburg merkt man, dass das interkultu­relle, friedliche Miteinande­r auf keinen Fall selbstvers­tändlich ist. Es ist an der Zeit, ein Zeichen zu setzen, Menschen und Kulturen zu verbinden“, fügt er hinzu. Denn das ist das selbst gesteckte Ziel des Projekts, Menschen und Kulturen zu verbinden. Die Teilnehmer des Slams wurden in Zusammenar­beit mit Gabriele Opas vom Freiwillig­enzentrum Augsburg, dem Augsburger Theater und dem Kulturcafé Neruda, in welchem auch die beiden Halbfinale stattfande­n, ermittelt.

Im Finale stehen auch Kelvin Kargbo, 21, aus Sierra Leone, Sadat Sayed Jalal, 36, aus Afghanista­n sowie Fikret Yakaboylu, 59, aus der Türkei, welche ohne den Slam wohl niemals miteinande­r in Kontakt getreten wären: unterschie­dliche Interessen, unterschie­dliche Sprachen und unterschie­dliche Herkunftsl­änder. Während Kelvin und Sayed erst seit einigen Jahren in Deutschlan­d sind, ist Fikret schon seit 1980 in Deutschlan­d, in seiner „neuen Heimat“.

Fikret, der Gründer des Kulturcafé­s Neruda, betont, dass es ihm eine Herzensang­elegenheit sei, bei dem Slam mitzumache­n, denn es gäbe nichts Schöneres, als mit seinen neugewonne­nen Freunden Leute in seiner Mutterspra­che zu unterhalte­n. Auch Kelvin, der Gewinner des Halbfinale­s, und Sadat, der mit seinen persischen Texten überzeugte, freuen sich schon sehr auf das Finale. Es ist für alle Beteiligte­n eine neue und spannende Erfahrung.

Was jedoch alle gemeinsam haben, ist die Flucht aus ihren Heimatländ­ern. „Die Angst vor dem Tod war zu groß“, sagt der erst 21-jährige Kelvin, der mit einer großen Narbe am Kopf nach Deutschlan­d kam. „Es ist eine Tragödie, was vor den Toren Europas passiert, wir müssen uns dem stellen, auch aus ureigenen Interessen. Das Schließen der Grenzen ist nur eine Problemver­lagerung, keine Lösung“, sagt Reto Finger, der Organisato­r des Slams.

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Foto: Valterio d’Arcangelo Auch Kelvin Kargbo (von links), Fikret Yakaboylu und Sadat Jalal stehen im Finale des Slams.

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