In aberwitzigen Tonkaskaden
Immer wieder wird der Saxofonist Rudresh Mahanthappa mit seinem südindischen Erbe in Verbindung gebracht. Fest verwurzelt ist er allerdings in der amerikanischen Tradition
Es war einer der seltenen echten Sommertage heuer, an dem Rudresh Mahanthappa sein „Bird Calls“-Programm Open Air im Botanischen Garten vorstellen konnte. Internationale Kritiker feiern den 45-Jährigen als amtierenden Weltmeister am Altsaxofon. Sein junges Quintett aus New Yorker Spitzenmusikern begeisterte die zahlreichen, aber nicht alle Plätze füllenden Zuschauer mit zuweilen aberwitzig virtuosen Soli und EnsemblePassagen. Charlie „Bird“Parker, die genialisch tragische BebopGründerfigur und zugleich der Übervater aller modernen Altsaxofonisten war dabei das Thema.
Immer wieder wird das südindische Erbe von Mahanthappa betont, des amerikanischen Sohns indischer Einwanderer. Doch Mahanthappa ist zunächst und zuallererst in der amerikanischen Musik und im Jazz verwurzelt. Mit indischer Musik hat er sich erst auf dem College befasst. Allerdings haben tonale und vor allem rhythmische Elemente Südindiens Eingang in sein Spiel gefunden. Dennoch: Sein Säulenheiliger ist und bleibt Charlie Parker. Seine „Bird Calls“versteht er, wie er in einer Ansage in Augsburg klar machte, nicht als einen Tribut mit Parker-Stücken, sondern als eine eigenständige Geste der Verehrung. Parker-Themen kommen unmittelbar nicht vor, vielmehr nimmt er Elemente von Parkers Musik, montiert sie melodisch, harmonisch und neu aus einer modernen Denkweise heraus, sodass Eigenes, Neues entsteht.
Mit Rudy Royston am Schlagzeug brachte Mahanthappa einen alten Weggefährten aus frühen CollegeZeiten nach Augsburg. Mit ungeheurer technischer Finesse verstand es Royston, den weitgehend schnellen Tempi einen gewissen Drall zu geben, der sie in gekrümmter Metrik vital tänzeln ließ. Von Thomson Kneeland, dem Kontrabassisten, wurde er dabei in inniger Verzahnung unterstützt. Große, eigenständige Klasse zeigte der Pianist Bobby Avey. Mit pochenden Riffs im Bassbereich und äußerst farbigen Ak- kordballungen darüber schob seine Begleitung das Geschehen immer wieder an. Weitgehend im Zentrum der Darbietung standen aber der 45-jährige Leader und sein erst 21-jähriger Trompeter Adam O’Farrill. Meist leiteten sie im Wechselspiel die Stücke ein, aus dem sich mit gestochen scharfen Unisono-Passagen die ThemenVorstellungen erhoben, auf die ausführliche Solo-Exkursionen der Bläser folgten.
In seinen Soli, so hatte man mitunter den Eindruck, schien Mahanthappa sein Vorbild Parker an Virtuosität und Notendichte noch in den Schatten stellen zu wollen. Aufrhythmisch atmen ließ der Trompeter, der mit transparenter Klarheit und kräftigem Strahl immer wieder an Freddie Hubbard erinnerte. Drohte die Hochgeschwindigkeitsakrobatik im ersten Set die Hörer zu ermüden, so schuf das zweite ein wohl kalkuliertes Kontrastprogramm. Jetzt hatten Bass und Klavier auch große Soloanteile. Und vor allem Bobby Avey überraschte mit Klavierklängen, in denen Monk, Herbie Nichols und McCoy Tyner zu einer bislang nicht gehörten Synthese fanden. Großer Beifall nach einem ebenso anspruchsvollen wie beglückenden Konzert zeitigte eine hinreißende Zugabe.