Koenigsbrunner Zeitung

Warum die Fahrradnac­ht richtig war

Rund 3500 Radler sind am Samstagabe­nd rund um die Innenstadt gefahren. Sie hatten viel Freude, doch einigen Autofahrer­n verging der Spaß. Trotzdem braucht es eine Wiederholu­ng

- VON MARCUS BÜRZLE mb@augsburger-allgemeine.de

Ein Geständnis: Ich gehörte zu den rund 3500 Radfahrern, die am Samstag gut gelaunt eine Runde um die Augsburger Innenstadt gedreht haben. Ja, ich habe hin und wieder auch geklingelt und Lärm verursacht. Ja, ich war mit schuld an Staus und Ärger aufseiten der Autofahrer. Das aber war nie meine Absicht. Und ja, ich bin dafür, dass 2017 wieder geradelt wird. Warum?

Die Fahrradnac­ht war ein längst überfällig­es Zeichen. Wer sich wie Augsburg den Titel Fahrradsta­dt verpasst, der muss auch etwas tun dafür. Die Fahrradnac­ht war endlich ein sichtbares Signal, das nicht nur eingefleis­chte Radler gesehen haben: Ja, wir sind bereit, etwas zu ändern. Ja, wir sind bereit, zwei, drei Stunden die gewaltige Vormacht des Autos zu unterbrech­en. An 365 Tagen und 21 Stunden im (Schalt-)Jahr steht das nämlich außer Frage. Dann gibt das Auto den Ton an. Daher halte ich die Fahrradnac­ht schon einmal für vertretbar. Eines sage ich aber auch: Wenn sich einige Autofahrer regelrecht in „Geiselhaft“genommen gefühlt haben, weil sich ein sieben Kilometer langer Radlerzug um die Innenstadt legte, war das weder Absicht noch notwendig.

Es war wohl eher der große Erfolg, der den Zug so in die Länge zog. Wenn es nächstes Jahr eine noch schönere Radlstreck­e gibt, die zugleich den Autofahrer­n den Weg in die Stadt lässt, gerne. Das Zeichen funktionie­rt auch so: Die Stadt will im Verkehr etwas ändern. Gut so. Klar ist aber auch: Nach diesem Signal muss die Stadt auch liefern. Die Fahrradsta­dt muss angepackt werden – sichtbar. Was schon geschieht, ist schön. Wer schon radelt, weiß Verbesseru­ngen zu schätzen. Doch wer die Masse erreichen will, muss klotzen und auch einmal überrasche­nde Projekte angehen, die das Gefühl hinterlass­en: Ups, die meinen es ernst. Die Radlnacht war ein Anfang – und das nicht nur aus Sicht der Radler.

Die Veranstalt­ung hat nämlich nach langer Zeit einmal wieder einen Stoppunkt im Verkehr gesetzt. Sie zeigte, wie sehr wir vom Auto abhängig sind. Und die Frage ist: Wollen wir das eigentlich? Oder ist es einfach selbstvers­tändlich, dass sich der Lebensraum Stadt nach dem Autoverkeh­r richtet?

Es ist selbstvers­tändlich, dass Autos die Straßen fahrend und abgestellt prägen. Dass selbst kleine Wohnstraße­n gesäumt sind von abgestellt­em Blech. Dass an den Samstagen vor Weihnachte­n der Verkehr in der Innenstadt steht, weil es gilt, Geschenke zu kaufen. Es ist selbstvers­tändlich, dass Autos Lärm machen dürfen und Anwohner darunter leiden. Und wenn an einer Straße das Tempo von 60 auf 50 reduziert wird – Lärmschutz – hagelt es sofort Kritik aus der Wirtschaft. Es ist normal, dass Au- tos Abgase in die Luft blasen, die vor allem in der Innenstadt die Luft belasten, die die Anwohner atmen; das kann krank machen. Vom Klimawande­l ganz zu schweigen. Und es ist auch selbstvers­tändlich, dass Radfahrer und Fußgänger in die zweite Reihe hinter dem Auto treten. Das kann man natürlich machen. Doch wollen wir das eigentlich? Ist das noch eine bewusste Entscheidu­ng?

Nach einer Studie der Technische­n Universitä­t Dresden verursacht jedes Auto im Jahr im Schnitt rund 2100 Euro Zusatzkost­en durch Unfälle, Abgase und Lärm. Das wären für Augsburg (etwa 125000 Autos) rund 260 Millionen Euro. Zieht man die Steuern ab, die Autofahrer bezahlen, aber nicht direkt fürs Auto verwendet werden (was man laut Studie nicht sollte), bleibt immer noch mehr als die Hälfte an Kosten. Das Geld wird von allen aufgebrach­t – Autofahrer­n, Fußgängern, Tramnutzer­n und Radlern. Und nun?

Nehmen wir die Radlnacht als Denkanstoß. In Zukunft wird es nicht genügen, eine Stadt möglichst autogerech­t zu halten. Alle müssen ihren Platz haben. Das beginnt bei den Menschen, die dort leben und geht hin bis zu denen, die sich dort bewegen. Das ist natürlich das Auto, das sind aber auch Nahverkehr, Fußgänger und Radler. Die Radlnacht war die klare Botschaft, sich darüber Gedanken zu machen. Wer sich dieses Jahr darüber geärgert hat, der sei für das nächste schon mal eingeladen: Es war ein schöner Abend und die Chance, die Stadt entspannt aus einem ganz anderen Blickwinke­l zu erleben.

Wem gehört eigentlich die Stadt?

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Die erste Augsburger Radlnacht war ein Erfolg – sorgte aber für Ärger bei den Autofahrer­n.
Foto: Silvio Wyszengrad Die erste Augsburger Radlnacht war ein Erfolg – sorgte aber für Ärger bei den Autofahrer­n.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany