Wie sieht Gersthofens Zukunft aus?
Muss eine Villa aus den 1920er-Jahren einem Millionenprojekt weichen? Über die Goldene Mitte können die Bürger seit 10. Januar abstimmen. Wie viele das schon getan haben, bleibt geheim. In einer Woche sind dann alle dran
Gersthofen Gersthofens größtes Geheimnis lagert in einem Büro im Rathaus. Der Raum ist verschlossen, nur zwei Menschen haben einen Schlüssel. In dem Zimmer befinden sich die bisher abgegebenen Stimmzettel für den Bürgerentscheid über die Zukunft der Strasser-Villa im Herzen der Stadt. Darf das Gebäude zugunsten des Wohn- und Geschäftskomplexes Goldene Mitte abgerissen werden? So lautet im Kern die Frage, über die die Gersthofer bereits seit 10. Januar abstimmen können. Wie viele das bereits getan haben, darüber schweigt sich die Stadtverwaltung aus. Zu der Geheimniskrämerei bei der Wahlbeteiligung hat sich die Stadt aufgrund eines neuartigen Wahlverfahrens entschlossen, das erst dreimal in Bayern angewandt worden ist. Die Bürger bekamen gleich mit der Wahlbenachrichtigung die Briefwahlunterlagen mit ins Haus geschickt und müssen diese nicht erst eigens anfordern. Das soll für eine höhere Wahlbeteiligung sorgen.
Doch nicht nur das Wahlverfahren sorgte für Aufsehen. Zu den weiteren Zutaten dieses Gersthofer Bürgerentscheids gehören Ermittlungen der Kriminalpolizei, eine geplatzte Podiumsdiskussion und – so manchem Augsburger dürfte das bekannt vorkommen – eine reichlich vertrackte Fragestellung.
Das Thema selbst ist in Gersthofen hinreichend bekannt. Wieder geht es um die Bebauung des sogenannten Lochs – eines knapp 7000 Quadratmeter großen leeren Grundstücks in der Innenstadt. Die Brache allein ist dem Dasinger Geschäftsmann Peter Pletschacher nicht genug. Er will auch noch die angrenzende Strasser-Villa erwerben und abreißen, um anschließend die Vision von der Goldenen Mitte zu verwirklichen: Ein Wohn- und Geschäftskomplex, der zusammen mit Rathaus, Stadthalle und dem Einkaufszentrum City-Center auf der anderen Straßenseite die neue Stadtmitte darstellt. Investitionssumme: bis zu 40 Millionen Euro.
Mit einem ähnlichen Vorhaben ist Pletschacher schon einmal gescheitert: 2011 wollte er für ein damals Forum genanntes Einkaufszentrum die Strasser-Villa haben. Doch das nicht denkmalgeschützte Gebäude aus den 1920er-Jahren, das für viele aus dem Stadtbild nicht wegzudenken ist, wurde mit einer spektakulären Aktion gerettet. Die Bürgerinitiative (BI) „Werte erhalten, Neues gestalten“sammelte gut 3000 Unterschriften, unter deren Eindruck der Stadtrat zurückruderte.
Vergangenen Sommer kehrte Pletschacher mit überarbeiteten Plänen zurück und gewann nach langen Verhandlungen die Mehrheit des inzwischen neu gewählten Stadtrates dafür. Und die blieb diesmal standhaft, als wieder Unterschriften gesammelt wurden. Wie es der parteilose Bürgermeister Michael Wörle versprochen hatte, soll ein Bürgerentscheid die Entscheidung bringen. Wörle selbst hat sich für Pletschachers Pläne ausgesprochen. Die Gruppierungen, die den Bürgermeister normalerweise stützen, sind gespalten.
Doch in diesem Wahlkampf spielen die Stadtpolitiker ohnehin nicht die erste Geige. Um Zustimmung
werben vornehmlich der Investor Pletschacher und seine Gegenspieler von der BI. Ihre Plakate prägen das Stadtbild, an Samstagen stehen sie nur ein paar Schritte voneinander entfernt. Im Kirnerhaus erläutern Pletschacher oder sein Architekt Klaus Kehrbaum ihre Pläne für die Goldene Mitte, auf dem Rathausplatz stehen die Vertreter der BI.
Deren prominentester Kopf ist der frühere Bürgermeister Siegfried Deffner und der sorgt – wie zu seinen Zeiten als Rathauschef – für markige Töne, welche die Stimmung anheizen. Weil Pletschacher angekündigt hat, im Falle einer Niederlage das Loch weiter unbebaut zu lassen, wirft ihm Deffner „Erpressung“vor. Gersthofens Stadtratsmehrheit ist in den Augen des ExBürgermeisters zu schwach, um dem Geschäftsmann Paroli zu bieten. Die Stadträte würden nach der Pfeife eines auswärtigen Investors tanzen.
Dass alle Seiten derzeit öffentlich übereinander und nicht miteinander reden, liegt auch an der BI. Sie weigerte sich, an einer öffentlichen Podiumsdiskussion teilzunehmen, falls Pletschacher dort seine Pläne hätte erläutern dürfen. Daraufhin sagte unsere Zeitung die von ihr geplante Veranstaltung ab.
Am Rande der Auseinandersetzung spielt auch noch die Polizei mit. Sie ermittelt wegen eines Briefs, der – gespickt mit Beschimpfungen und Drohungen – dem Dasinger Unternehmer ins Haus flatterte. Pletschacher schaltete Strafverteidiger Werner Rubach und die Polizei ein. Ob die Fahnder den Verfasser finden, ist offen.
Sicher ist dagegen, wann Gersthofens größtes Geheimnis gelüftet wird. Am Sonntag, 12. Februar, öffnen zwei Wahllokale. Am Abend wird ausgezählt. »Kommentar
„Wahlkampf“mit Drohungen und Beschimpfungen