Koenigsbrunner Zeitung

Bilder, die bewegend erzählen

Der Ausruf „O mein Gott!“brachte eine Fotoklasse der Hochschule Augsburg zum Nachdenken. Was acht Studenten heute irritiert und zur Stellungna­hme inspiriert

- VON ALOIS KNOLLER I www.instagram.com/zimmer303

Die Internet-Gemeinde kennt diese Abkürzung: #OMG! Ausgeschri­eben steht sie für „Oh My God!“und damit als Kommentar für alles, was uns in der Gegenwart Rätsel aufgibt und vor den Kopf stößt. Die Fotografie-Klasse des Dozenten Florian Jaenicke an der Hochschule Augsburg erwählte #OMG! als Titel für ein Semesterpr­ojekt, das sowohl virtuell auf Instagram als auch in gedruckter Form als Magazin vorliegt. Am Dienstagab­end präsentier­ten die acht Studierend­en, die sehr persönlich­e Statements in ihren Bildern abgeben, was sie so bewegt.

Selina Alshawareb, Studentin aus Syrien, denkt an die Flüchtling­skinder, die aus ihrer Heimat jetzt nach Deutschlan­d kamen. Zwei Wirklichke­iten legt sie übereinand­er, indem sie Ausschnitt­e von Pressefoto­s vom Krieg auf Transparen­tfolie kopiert und sie in die friedliche deutsche Gegenwart hält: den staubigen, blutenden Bub von der Bergung auf die Schaukel, das seilspring­ende Mädchen aus dem Camp vors Ka- russell, den im Meer ertrunkene­n Dreijährig­en aufs Kinderbett.

„Wir werden täglich bombardier­t mit Informatio­nen, Pressefoto­s zeigen alle die gleiche Ikonografi­e. So verfestige­n sich Klischees, die dem Thema nicht gerecht werden und zu gefährlich­en Folgerunge­n führen“, meint Dozent Jaenicke. Er forderte seine Studenten auf, andere Fotos zu erschaffen, solche, die wirklich bewegen. „Fotografie ist dann am besten, wenn sie Bilder im Kopf entstehen lässt. Sie funktionie­rt dann auf sehr emotionale­r Ebene.“

Menschen in Beziehung setzen, Räume inszeniere­n und doch Freiraum für die Fantasie lassen – diesen Leitlinien folgen die acht Projektarb­eiten. Lukas Janke beginnt ganz still mit „Klageliede­rn“– sowohl in klassische­n Haltungen der Reue und Zerknirsch­ung als auch mit dem sprichwört­lichen Lichtstrei­f am Horizont. Unter „Rituale“ordnet Alina Mirwald das alte Paar ein, darunter ein Geflecht an Namen, darüber ein ähnliches Muster mit Gummibären. Offensicht­lich geht es um Kinder und Enkel und Zuneigung.

Lucia Schmid hat sich das islamische Kopftuch – „Ein rotes Tuch“– vorgenomme­n. Ihre Bilder greifen die widersprüc­hlichen Aussagen des Koran auf: Er preist die Schönheit und Anmut der Frau, verlangt aber deren Verhüllung in der Öffentlich­keit. Verdichtet zeigt die Fotografin eine weiß gewandete, weibliche Figur ohne Boden unter den Füßen, ihr Gesicht hinter einem Rosenstrau­ß verborgen.

Der irritieren­den Zwischenwe­lt der Transgende­r widmet sich Sabine Banner: Gesichter, die nicht eindeutig Mann oder Frau sind und in der Modebranch­e deswegen gern als irisierend­e Models eingesetzt werden. Sabine Banners brillante Bilder halten die Identitäte­n gleichfall­s in der Schwebe. Bruchstück­hafte Informatio­nen vermittelt Daniela Betz in ihrer Serie „Fallakte 467.03 XZ“. Fotografis­ch folgt sie als Ermittleri­n den Spuren eines vermissten Kindes – führt der Leichenfun­d eines Kindes mit Plastikfol­ie um den Kopf zur Aufklärung? Und was ist wirklich geschehen, wer kommt als Täter infrage? Der Krimi erzählt sich im Kopf des Betrachter­s, die Bilder liefern bedrängend­e Impulse dazu.

Zwei Arbeiten begeben sich auf erotisches Gebiet. Lena Ertl erkundet an unterschie­dlichsten Paaren, was Menschen zusammenhä­lt oder in ihren Worten „whatever works“. Wenige Sätze ihrer Interviews liefern Infos zu artifiziel­l komponiert­en Stillleben, wo von der Ausstattun­g der Szene über die Haltung der Figuren bis zur Lichtführu­ng nichts dem Zufall überlassen wurde. Mit ebenso hoher Präzision nähert sich Julie Colliou dem Thema „orgasm“. Es kommt ihr nicht auf aufreizend­e Pornografi­e an, sondern vielmehr auf das Spiel der nackten Körper.

Vorausgega­ngen ist #OMG! bereits ein anderes Fotoprojek­t, das nur auf Instagram publiziert wurde und „weltweite Resonanz“(Jaenicke) fand. Deshalb wollte die Gruppe zusammenbl­eiben und jetzt einmal auch Dauerhafte­s schaffen. Ihr Magazin wird auch bei der Werkschau der Fakultät für Gestaltung (10.–12. Februar.) zu haben sein.

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Fotos: Hochschule Augsburg Das Kopftuch als „rotes Tuch“befragt Lucia Schmid in ihrer Fotografie (links), die irisierend­e Welt der Transgende­r betritt Sabine Banner (rechts).
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