Bilder, die bewegend erzählen
Der Ausruf „O mein Gott!“brachte eine Fotoklasse der Hochschule Augsburg zum Nachdenken. Was acht Studenten heute irritiert und zur Stellungnahme inspiriert
Die Internet-Gemeinde kennt diese Abkürzung: #OMG! Ausgeschrieben steht sie für „Oh My God!“und damit als Kommentar für alles, was uns in der Gegenwart Rätsel aufgibt und vor den Kopf stößt. Die Fotografie-Klasse des Dozenten Florian Jaenicke an der Hochschule Augsburg erwählte #OMG! als Titel für ein Semesterprojekt, das sowohl virtuell auf Instagram als auch in gedruckter Form als Magazin vorliegt. Am Dienstagabend präsentierten die acht Studierenden, die sehr persönliche Statements in ihren Bildern abgeben, was sie so bewegt.
Selina Alshawareb, Studentin aus Syrien, denkt an die Flüchtlingskinder, die aus ihrer Heimat jetzt nach Deutschland kamen. Zwei Wirklichkeiten legt sie übereinander, indem sie Ausschnitte von Pressefotos vom Krieg auf Transparentfolie kopiert und sie in die friedliche deutsche Gegenwart hält: den staubigen, blutenden Bub von der Bergung auf die Schaukel, das seilspringende Mädchen aus dem Camp vors Ka- russell, den im Meer ertrunkenen Dreijährigen aufs Kinderbett.
„Wir werden täglich bombardiert mit Informationen, Pressefotos zeigen alle die gleiche Ikonografie. So verfestigen sich Klischees, die dem Thema nicht gerecht werden und zu gefährlichen Folgerungen führen“, meint Dozent Jaenicke. Er forderte seine Studenten auf, andere Fotos zu erschaffen, solche, die wirklich bewegen. „Fotografie ist dann am besten, wenn sie Bilder im Kopf entstehen lässt. Sie funktioniert dann auf sehr emotionaler Ebene.“
Menschen in Beziehung setzen, Räume inszenieren und doch Freiraum für die Fantasie lassen – diesen Leitlinien folgen die acht Projektarbeiten. Lukas Janke beginnt ganz still mit „Klageliedern“– sowohl in klassischen Haltungen der Reue und Zerknirschung als auch mit dem sprichwörtlichen Lichtstreif am Horizont. Unter „Rituale“ordnet Alina Mirwald das alte Paar ein, darunter ein Geflecht an Namen, darüber ein ähnliches Muster mit Gummibären. Offensichtlich geht es um Kinder und Enkel und Zuneigung.
Lucia Schmid hat sich das islamische Kopftuch – „Ein rotes Tuch“– vorgenommen. Ihre Bilder greifen die widersprüchlichen Aussagen des Koran auf: Er preist die Schönheit und Anmut der Frau, verlangt aber deren Verhüllung in der Öffentlichkeit. Verdichtet zeigt die Fotografin eine weiß gewandete, weibliche Figur ohne Boden unter den Füßen, ihr Gesicht hinter einem Rosenstrauß verborgen.
Der irritierenden Zwischenwelt der Transgender widmet sich Sabine Banner: Gesichter, die nicht eindeutig Mann oder Frau sind und in der Modebranche deswegen gern als irisierende Models eingesetzt werden. Sabine Banners brillante Bilder halten die Identitäten gleichfalls in der Schwebe. Bruchstückhafte Informationen vermittelt Daniela Betz in ihrer Serie „Fallakte 467.03 XZ“. Fotografisch folgt sie als Ermittlerin den Spuren eines vermissten Kindes – führt der Leichenfund eines Kindes mit Plastikfolie um den Kopf zur Aufklärung? Und was ist wirklich geschehen, wer kommt als Täter infrage? Der Krimi erzählt sich im Kopf des Betrachters, die Bilder liefern bedrängende Impulse dazu.
Zwei Arbeiten begeben sich auf erotisches Gebiet. Lena Ertl erkundet an unterschiedlichsten Paaren, was Menschen zusammenhält oder in ihren Worten „whatever works“. Wenige Sätze ihrer Interviews liefern Infos zu artifiziell komponierten Stillleben, wo von der Ausstattung der Szene über die Haltung der Figuren bis zur Lichtführung nichts dem Zufall überlassen wurde. Mit ebenso hoher Präzision nähert sich Julie Colliou dem Thema „orgasm“. Es kommt ihr nicht auf aufreizende Pornografie an, sondern vielmehr auf das Spiel der nackten Körper.
Vorausgegangen ist #OMG! bereits ein anderes Fotoprojekt, das nur auf Instagram publiziert wurde und „weltweite Resonanz“(Jaenicke) fand. Deshalb wollte die Gruppe zusammenbleiben und jetzt einmal auch Dauerhaftes schaffen. Ihr Magazin wird auch bei der Werkschau der Fakultät für Gestaltung (10.–12. Februar.) zu haben sein.