Sein Fehlschuss brachte Deutschland ins Finale
Gareth Southgate wurde bei der EM 1996 eher unfreiwillig berühmt. Jetzt ist er Englands Nationaltrainer und schreibt schon wieder Geschichte
Na klar, als Erstes fällt den deutschen Fußballfans beim Namen Gareth Southgate dieser klägliche Elfmeter ein. Im Halbfinale der Europameisterschaft 1996 trippelte Southgate derart unsicher zehn Schrittchen zurück, nachdem er sich den Ball zurechtgelegt hatte, dass der kümmerliche Schussversuch in den Armen Andreas Köpkes landen musste. Andreas Möller traf daraufhin für Deutschland, England war mal wieder ausgeschieden. Zur Ehrenrettung muss man erwähnen, dass die Briten große Erfahrung mit verschossenen Strafstößen haben. Außerdem haben die Engländer ja Humor. So wurde Southgate zusammen mit Chris Waddle und Stuart Pearce (die sechs Jahre zuvor gegen Deutschland aus elf Metern scheiterten) sogar von einer Pizza-Kette engagiert. Sie drehten ein paar selbstironische Spots ab. Der einstige Innenverteidiger Southgate ist auf der Insel aber nicht nur wegen seiner Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, beliebt. Während seiner aktiven Laufbahn spielte er lediglich für drei Vereine. Sowohl bei Crystal Palace als auch bei Aston Villa und dem FC Middlesbrough stieg er innerhalb kurzer Zeit zum Kapitän auf.
Mit seiner eleganten Art war er der Gegenentwurf zum in England vorherrschenden Typus Abwehrbrecher. Middlesbrough führte er 2004 zum Ligapokal und somit zum einzigen Titel in der mittlerweile 141-jährigen Vereinsgeschichte. Kurz darauf übernahm er dort erstmals ein Traineramt. Sein Team war aber schlicht überfordert von Southgates Vorhaben, allzu viele Anleihen am anspruchsvollen Spiel des FC Arsenal zu nehmen. Drei Jahre später standen Abstieg und Kündigung fest und Southgate schien den Weg vieler ehemaliger Profis zu nehmen. Er wurde Fernsehexperte und Zeitungskolumnist. Weshalb der englische Verband 2013 auf die Idee kam, ausgerechnet ihn zum Trainer der U21 zu ernennen, erschloss sich nicht zwingend. Und dann blieben auch noch die Erfolge aus. Weil die aber generell seit Jahren in Großbritannien selten sind, war die Verwunderung auch nicht allzu groß, als Southgate im vergangenen Jahr als Nachfolger von Sam Allardyce vorgestellt wurde. Allardyce war nur zwei Monate im Amt, ehe er vom Daily Telegraph abgehört wurde, als er erklärte, wie man Transferregeln umgeht.
In den wenigen Monaten seiner Amtszeit schärfte Southgate sein Profil auch unter anderem dadurch, dass er Englands Ikone Wayne Rooney den Stammplatz entzog. Heute gegen Deutschland steht der Stürmer erstmals seit 13 Jahren gar nicht erst im Kader, obwohl er fit ist. Dass Rooney noch die sieben fehlenden Länderspiele absolviert, die ihn zum Rekordspieler machen würden, ist unwahrscheinlich. Damit würde Southgate ein weiteres Mal massiv in die Geschichte des englischen Fußballs eingreifen. Tilmann Mehl