Koenigsbrunner Zeitung

„Essen ist für viele eine Ersatzreli­gion“

Was sind die größten Ernährungs­irrtümer? Expertin Ulrike Birmoser warnt vor populärem Falschglau­ben

- VON TOBIAS KARRER

Landkreis Augsburg Sind Kohlenhydr­ate schlechte Nährstoffe? Was bringen Nahrungser­gänzungsmi­ttel? Ulrike Birmoser von der Beratungss­telle Augsburg des Verbrauche­rservice Bayern kennt sich aus mit Fragen der Ernährung. Sie stellt „populäre Ernährungs­irrtümer“bei den neuesten Ernährungs­trends fest und findet, man sollte vor allem auf den eigenen Körper hören. Wir haben sie gefragt, welche die schwerwieg­endsten Irrtümer sind.

Frau Birmoser, was darf man denn unter „populären Ernährungs­irrtümern“verstehen? Ulrike Birmoser: Im Moment gibt es ganz viele verschiede­ne Ernährungs­formen, die in der Gesellscha­ft propagiert werden. Das beginnt bei veganer oder Paläo-Ernährung und geht bis zu Menschen, die glauben, dass ihnen bestimmte Mikronährs­toffe fehlen und deshalb verschiede­ne Nahrungser­gänzungsmi­ttel zu sich nehmen. Außerdem sind Nahrungsmi­ttel im Trend, die frei von irgendetwa­s sind.

Können Sie uns ein Beispiel nennen? Birmoser: Ein Beispiel ist Laktose. Außerdem sind glutenfrei­e Lebensmitt­el gerade sehr schick. Ein weiteres Beispiel ist der Low-CarbTrend. Wegen diesem Trend kommen immer mehr alternativ­e Süßungsmit­tel auf den Markt.

Das heißt also, dass Sie diese Trends nicht unterstütz­en? Birmoser: Ernährung wird heute als Möglichkei­t zur Selbstopti­mierung gesehen. Ein schlichter Akt der Nahrungsau­fnahme ist für viele zur Ersatzreli­gion geworden. Hier stimmt auch das Wort „postfaktis­ch“. Oft werden in diesem Bereich pseudowiss­enschaftli­che Er- kenntnisse über wirklich wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen gestellt.

Was ist denn der schwerwieg­endste Ernährungs­irrtum? Birmoser: Ich glaube, der schlimmste Irrtum ist im Moment die Tatsache, dass Kohlenhydr­ate von einem Großteil der Bevölkerun­g als schlechter Nährstoff angesehen werden. Dabei ist das Problem nicht der Nährstoff, sondern die Tatsache, dass wir ihn vornehmlic­h in der Form von Zucker zu uns nehmen.

Hat das denn mit einem Schlankhei­tswahn zu tun? Birmoser: Klar, vor einigen Jahren hieß es, dass Low-Carb-Diäten besser funktionie­ren würden. Dabei können sie zwar ein guter Ansatz sein, aber Abnehmen ist ein langfristi­ger Prozess und funktionie­rt nachhaltig nur über eine individuel­le Änderung des Lebensstil­s. Auch im Bereich der Ernährung muss man sich eben vor „Fake News“in Acht nehmen und darf sich nur auf wissenscha­ftliche Daten verlassen.

Gibt es etwas, auf das vor allem Senioren achten müssen? Birmoser: Bei meinen Vorträgen zu diesem Thema muss ich immer sehr individuel­l auf das eingehen, was die Leute betrifft. Bei Senioren sind Nahrungser­gänzungsmi­ttel weit verbreitet. Man versucht, Defizite durch Pillen auszugleic­hen, es gibt mittlerwei­le aber Metastudie­n, die davon abraten. Falls gewünscht gehe ich dann bei einem Vortrag vor Senioren auch auf Herz-Kreislauf-Beschwerde­n ein oder auf das Thema Diabetes und versteckte Zucker.

Und wie steht es um die jüngere Generation? Birmoser: Die sind im Bereich der Ernährung weniger interessie­rt. Für sie steht der Genuss im Vordergrun­d, was prinzipiel­l auch okay ist. Wenn ich Vorträge in Schulen oder vor Elternbeir­äten halte, spreche ich meist über gezuckerte Getränke und Fast Food. In jüngeren Generation­en ist das Problem oft, dass sie sich sehr einseitig ernähren.

Was ist in Ihren Augen denn das größte Problem? Birmoser: Das größte Problem ist eindeutig die Überernähr­ung. Zu viel Zucker und zu viel Alkohol machen unserer Gesellscha­ft zu schaffen. Außerdem sind Lebensmitt­el heutzutage immer stärker verarbeite­t und das ist nicht gesund. Vielen Menschen fehlen einfach die Kochkenntn­isse, um aus Grundnahru­ngsmitteln schmackhaf­te Mahlzeiten zuzubereit­en.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Birmoser: Es ist wichtig, sich nicht von großen Heilsversp­rechen leiten zu lassen. Es gibt nicht das Lebensmitt­el, das alle Probleme löst. Wir müssen uns abwechslun­gsreich und bunt ernähren. Wir sollten verstärkt auf Gemüse und pflanzlich­e Nahrungsmi­ttel setzen, das ist auch aus ökologisch­en Gründen wichtig.

Haben Sie noch einen Tipp für unsere Leser? Birmoser: Jeder sollte auf seinen eigenen Körper hören und nicht auf pseudowiss­enschaftli­che Erkenntnis­se vertrauen. Ernährung hat einen wichtigen Einfluss auf unsere Gesundheit, sie ist aber kein Allheilmit­tel zur Selbstopti­mierung. Bewegung, Umgang mit Suchtmitte­ln und genügend Schlaf sind mindestens genauso wichtig. Ansonsten darf man Essen auch einfach maßvoll genießen. »Aufgefalle­n

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Foto: Marcus Merk Gemüse und pflanzlich­e Nahrungsmi­ttel sind Bestandtei­l einer gesunden und abwechslun­gsreichen Ernährung.
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Ulrike Birmoser von der Beratungss­telle Augs burg des Verbrauche­rser vice Bayern ist Expertin für Ernährung.

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